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nickt zerstreut, steht auf.

      „Gehen wir frühstücken?“ sagt er abrupt. „Kommen Sie mit, Vera?“

      Sie antwortet mit einem Lächeln.

      Sie gehen zu dritt. Vera in der Mitte, Vera zwischen zwei jungen, sympathischen Männern, die die gleiche Uniform tragen und die gleichen Gefühle für sie haben. Aber diese Gefühle bleiben im Schatten des Falles Malmedy stecken. Drei Menschen werden sich Tag und Nacht den Kopf zerbrechen, wie sie das Netz von Mord, Lüge, Betrug und Verbrechen aufrollen können.

      Indessen aber wird ein junger, unschuldiger Mensch namens Werner Eckstadt auf den Henker warten …

      „Ich kann Ihnen nicht viel sagen“, beginnt der Major, „ich bin erst seit einer Woche hier. Mein Vorgänger ist bereits in den Staaten.“

      Evans nickt.

      „Der Betrieb hier ist korrekt. Die Häftlinge erhalten anständiges Essen, werden zweimal täglich an die frische Luft geführt und dürfen lesen. Wir sind kein KZ.“

      Wiederum nickt der Colonel.

      „Die Strafanstalt ist mit 468 Insassen besetzt … Die Gefängnisverwaltung hat mit der Untersuchung nichts zu tun. Die einzelnen Untersuchungskommissionen rufen die Leute auf, sie werden in eigenen Vernehmungszimmern zusammengebracht.

      „Und Sie haben nie Unregelmäßigkeiten festgestellt?“ unterbricht ihn der Oberst.

      „Wissen Sie“, erwidert er, „ich bin ja auch in den USA in der Gefängnisverwaltung tätig. Eine Strafanstalt ist schließlich kein Sanatorium. Immer werden die Häftlinge behaupten, daß sie mißhandelt worden sind. Ich habe es mir abgewöhnt, diese … Aussagen wörtlich zu nehmen.“

      „Ich bin Rechtsanwalt“, antwortet Evans, „Sie brauchen mir das nicht zu erklären … Es handelt sich auch nicht um gewöhnliche Mißhandlungen.“ Der Oberst steht auf, geht im Zimmer hin und her. „Wenn es stimmt, was man mir sagte“, fährt er fort, „dann wurden hier, in Ihrer Anstalt, die größten Scheußlichkeiten verübt, die sich je eine amerikanische Untersuchungskommission zuschulden kommen ließ.“

      „Sprechen Sie mit den Leuten“, versetzt Wheeler betroffen.

      „Gut“, erwidert der Colonel, „zunächst hätte ich gern den Häftling Eckstadt. Werner Eckstadt.“

      Der Major drückt auf einen Klingelknopf auf seinem Schreibtisch. Ein Sergeant tritt ohne Eile ein. Wheeler hat den Namen auf einen Zettel geschrieben und übergibt ihn dem Unteroffizier.

      „Diesen Mann will ich haben“, sagt er, „sobald wie möglich.“ Er wendet sich wieder dem Colonel zu: „Man soll sich mit diesen verdammten Krauts nicht einlassen. Die meisten lügen, und die nicht lügen, sagen nur die halbe Wahrheit … Oder haben Sie schon einmal einen getroffen, der zu seinem Verbrechen stand?“

      „Nein“, entgegnet der Colonel ruhig. „Aber schließlich … alle Deutschen können keine Verbrecher gewesen sein.“

      In diesem Augenblick kommt der Sergeant zurück.

      „Tut mir leid“, sagt er, „Eckstadt ist gestern verlegt worden. Nach Dachau.“

      Zufall? überlegt der Colonel. Er verabschiedet sich zerstreut. Seine Gedanken sind schneller als sein Wagen. In zwei Stunden kann er in Dachau sein.

      Und er wird sich nicht vom Weg abbringen lassen.

      An diesem Tage werden weitere Maschen des unsichtbaren Netzes, das die blonde Vera umgibt, zugezogen. Um neun Uhr ist sie beim Wohnungsamt vorgeladen. Sie fragt sich zu einem rundlichen Inspektor durch, der aussieht, als ob er seine Stellung unter Kaiser Wilhelm angetreten hätte und unter Adenauers Enkel sie noch ausüben würde. Er langt mechanisch nach einem Aktenstück, schlägt es auf und sagt, ohne Vera anzusehen:

      „Sie sind also Fräulein Eckstadt?“

      „Ja.“

      „Sie müssen ausziehen.“

      „Warum?“

      „Die Wohnung ist beschlagnahmt.“

      „Und weshalb ist sie beschlagnahmt?“

      Der Mann zuckt die Achseln.

      „Weshalb?“ fragt Vera noch einmal.

      „Ihr Bruder ist schließlich Kriegsverbrecher“, erwidert der Beamte unwirsch.

      „Erstens ist Werner noch nicht verurteilt“, fährt ihn das Mädchen unwirsch an, „und zweitens ist es meine Wohnung und nicht seine.“

      „Es geht mich nichts an“, versetzt der Inspektor. „Es ist eine Anordnung … Sie müssen sie heute noch räumen.“

      Der tägliche Dienst hat ihn längst abgestumpft, Die Vorgesetzten befehlen, und die Untergebenen führen aus. Das ist seine Welt, seine verdammt einfache Welt. Manchmal hat sie Zwischenfälle. Davon zeugen noch die Schlaufen auf seiner Bürojacke, an denen er, ordentlich wie er war, das Parteiabzeichen aufgehängt hatte. Das Blechding lag jetzt in der Isar, und der Beamte saß wieder auf seinem Amtsstuhl. Nach seiner Meinung mit Recht. Schließlich hatte er nur seinen Beitrag bezahlt. Die Leute, die die Anweisungen trafen, wechselten wie Parteiabzeichen, ihre Vollstrekker blieben … Dafür gibt es 400 pro Monat, nebst Pensionsberechtigung.

      Vera geht vom Wohnungsamt zu ihrer Dienststelle. Auf ihrem Schreibtisch liegt ein Zettel, daß sie sich beim Personalbüro zu melden hat.

      Der Captain bietet ihr Platz und eine Zigarette an.

      „Es tut mir leid“, sagt er, „es tut mir wirklich leid …“

      „Was tut Ihnen leid?“ fragt Vera.

      „Ich habe hier die Order, daß ich Sie entlassen muß.“

      Er zuckt mit den Achseln. „Es ist mir unangenehm. Ich habe Sie sehr geschätzt.“

      „Und warum müssen Sie mich entlassen?“

      „No comment“, erwidert der Captain, „kein Kommentar.“

      Und so räumt Vera an diesem Tag Wohnung und Schreibtisch. Und sie muß an den Mann denken, der sie im Haus der CIC gewarnt hatte, sich weiterhin für ihren Bruder einzusetzen. Sie könnte ihre beiden Beschützer, Leutnant Tebster und Leutnant Morris, um Hilfe anrufen. Aber nicht ihr sollen sie helfen, sondern Werner, denkt Vera, und so nimmt sie die Schikanen hin. Sie sieht ihre beiden Freunde vor sich und lächelt. Harmlose, nette Burschen … olivgrüne Toggenburgs, die vielleicht nicht einmal wissen, wer der Ritter Toggenburg war.

      Vera hat nicht viel einzupacken. Die Familie Eckstadt wurde in ganz unglaublicher Weise vom Krieg betroffen. Der Vater entkam dem Ersten Weltkrieg mit einer Gasvergiftung. Er zog von Krankenhaus zu Krankenhaus, bis er 1929 in Bad Kissingen starb. Die englische Mutter besuchte unmittelbar vor Kriegsausbruch ihre Verwandten in London. Hitlers Einmarsch in Polen sperrte ihre Rückfahrkarte nach Deutschland. Sie wurde kurzfristig interniert, dann entsannen sich die britischen Behörden darauf, daß sie eine gebürtige Engländerin vor sich hatten, und entließen sie aus dem Lager. Sie lebte in London. Zweimal gelang es ihr, über die Schweiz Briefe an ihre Kinder zu schicken. Einmal erhielt sie Antwort darauf. Es war ein erschütterndes Dokument.

      Der Krieg beschied sich noch nicht damit, daß er den Vater getötet und die Mutter von den Kindern getrennt hatte. 1944 starb Veras Mutter an einer verirrten V 2. Kurz danach wurde Vera nach München dienstverpflichtet. Sie richtete sich eine kleine, bescheidene Wohnung ein und wartete auf Werner.

      Endlich war der Krieg zu Ende.

      Aber der Bruder kam nicht. Ein unberechenbarer Zufall machte ihn zum „Kriegsverbrecher“.

      Und ich bin seine Mutter und sein Vater gleichzeitig, überlegt Vera. Und dabei habe ich mich immer an ihn angelehnt, an den großen, starken Bruder. Und jetzt ist er der Schwächere.

      Veras Mut ist ungebrochen. Sie ist selbstsicher, gelöst, vernünftig und sauber … sauber wie ihr Gesicht.

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