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wenn unsere Seele, nach dem Tode ihres Leichnams, noch lebet und denkt, wird sie nicht auch alsdann, so wie in diesem Leben, nach der Glückseligkeit streben?

      Wahrscheinlich dünkt michs, sprach Simmias; allein ich traue meiner Vermuthung nicht mehr, und wünschte deine Gründe zu hören.

      Meine Gründe sind diese, versetzte Sokrates: Wenn die Seele denkt, so müssen in ihr Begriffe mit Begriffen abwechseln, so muß sie diese Begriffe gerne, jene ungerne haben wollen, das heißt, einen Willen haben; hat sie aber einen Willen, wohin kann dieser anders zielen, als nach dem höchsten Grade des Wohlseyns, nach der Glückseligkeit?

      Dieses war allen deutlich. Aber wie? fuhr Sokrates fort: das Wohlseyn eines Geistes, der nicht mehr für die Bedürfnisse seines Leibes zu sorgen hat, worinn bestehet dieses? Speise und Trank, Liebe und Wollust kann ihm nicht mehr behagen; was in diesem Leben Gefühl, Gaumen, Augen und Ohren ergetzt, ist allda seiner Achtung unwürdig; kaum daß ihm noch eine schwache, vielleicht reuvolle Erinnerung von den Wollüsten bleibet, die er in Gesellschaft seines Leibes genossen. Wird er wohl nach diesen sonderlich streben?

      So wenig als ein Taubgeborner nach einer schönen Musik, sprach Simmias.

      Wird etwa ein großes Vermögen das Ziel seiner Wünsche seyn? Wie könnte dieses in einem Zustande möglich seyn, wo, allem Ansehen nach, kein Eigenthum besessen, kein Gut genossen werden kann?

      Die Ehrbegierde ist zwar eine Leidenschaft, die, dem Ansehen nach, dem abgeschiedenen Geiste noch bleiben kann; denn sie scheinet wenig von den Leibesbedürfnissen abzuhängen: allein, worinn kann der körperlose Geist den Vorzug setzen, der ihm Ehre bringen soll? Gewiß nicht in Macht, nicht in Reichthum, auch nicht in den Adel der Geburt: denn alle diese Thorheiten läßt er mit seinem Körper auf der Erde zurück.

      Freylich!

      Es bleibet ihm also nichts, als Weisheit, Tugendliebe und Erkenntniß der Wahrheit, was ihm einen Vorzug geben und über seine Nebengeschöpfe erheben könnte. Außer dieser edlen Ehrbegierde ersetzen ihn noch die geistigen, angenehmen Empfindungen, die die Seele auch auf Erden ohne ihren Körper geneußt, Schönheit, Ordnung, Ebenmaß, Vollkommenheit. Diese Empfindungen sind der Natur eines Geistes so anerschaffen, daß sie ihn niemals verlassen können. Wer also auf Erden für seine Seele Sorge getragen hat, wer sie sich in Weisheit, Tugend und Empfindung der wahren Schönheit hat üben lassen, der hat die größten Hoffnungen, auch nach dem Tode in diesen Uebungen fortzufahren, und von Stufe zu Stufe sich dem erhabensten Urwesen zu nähern, welches die Quelle aller Weisheit, der Innbegriff aller Vollkommenheiten, und vorzugsweise die Schönheit selbst ist. Erinnert euch, meine Freunde, jener entzückten Augenblicke, die ihr genossen, so oft eure Seele, von einer geistigen Schönheit hingerissen, den Leib samt seinen Bedürfnissen vergaß, und sich ganz der himmlischen Empfindung überließ. Welcher Schauer! welche Begeisterung! Nichts als die nähere Gegenwart einer Gottheit kann diese erhabenen Entzückungen in uns erregen. Auch ist in der That jeder Begriff einer geistigen Schönheit ein Blick in das Wesen der Gottheit; denn das Schöne, Ordentliche und Vollkommene, das wir wahrnehmen, ist ein schwacher Abdruck dessen, der die selbstständige Schönheit, Ordnung und Vollkommenheit ist. Ich erinnere mich, diese Sätze bey einer andern Gelegenheit deutlich genug auseinander gesetzt zu haben, und will gegenwärtig nur diese Folge daraus ziehen: Wenn es wahr ist, daß nach diesem Leben Weisheit und Tugend unsern Ehrgeiz, und das Bestreben nach geistiger Schönheit, Ordnung und Vollkommenheit unsere Begierden ausmachen: so wird unser fortdaurendes Daseyn nichts als ein ununterbrochenes Anschauen der Gottheit seyn, ein himmlisches Ergetzen, das, so wenig wir jetzo davon begreifen, den edlen Schweiß des Tugendhaften mit unendlichem Wucher belohnt. Was sind alle Mühseligkeiten dieses Lebens gegen eine solche Ewigkeit! Was ist Armuth, Verachtung und der schmählichste Tod, wenn wir uns dadurch zu einer solchen Glückseligkeit vorbereiten können! Nein, meine Freunde! wer sich eines rechtschaffenen Wandels bewußt ist, kann sich unmöglich betrüben, indem er die Reise zu dieser Seligkeit antritt. Nur wer in seinem Leben Götter und Menschen beleidiget, wer sich in viehischer Wollust herumgewälzt, oder der vergötterten Ehre Menschenopfer geschlachtet, und an andrer Elend sein Ergetzen gefunden, der mag an der Schwelle des Todes zittern, indem er keinen Blick in das Vergangene ohne Reue, keinen in die Zukunft ohne Furcht thun kann. Da ich aber, Dank sey der Gottheit! mir keine von diesen Vorwürfen zu machen habe, da ich in meinem ganzen Leben die Wahrheit mit Eifer gesucht, und die Tugend über alles geliebt habe: so freue ich mich, die Stimme der Gottheit zu hören, die mich von hinnen ruft, um in jenem Lichte zu genießen, wornach ich in dieser Finsterniß gestrebt habe. Ihr aber, meine Freunde! überlegt wohl die Gründe meiner Hoffnungen, und wenn sie euch überzeugen, so segnet meine Reise, und lebet so, daß euch der Tod dereinst abrufe, nicht mit Gewalt von hinnen schleppe. Vielleicht führet uns die Gottheit dereinst in verklärter Freundschaft einander in die Arme. O! mit welchem Entzücken würden wir uns alsdann des heutigen Tages erinnern!

      Ende des ersten Gesprächs.

      Zweytes Gespräch

       Inhaltsverzeichnis

      Unser Lehrer hatte ausgeredet, und gieng, wie in Gedanken vertieft, im Zimmer auf und nieder; wir saßen alle und schwiegen, und dachten der Sache nach. Nur Cebes und Simmias sprachen leise mit einander. Sokrates sahe sich um, und fragte: Warum so leise? meine Freunde! Sollen wir nicht erfahren, was an den vorgebrachten Vernunftgründen zu verbessern sey? Ich weiß wohl, daß ihnen zur völligen Deutlichkeit noch verschiedenes fehlet. Wenn ihr euch also jetzo von andern Dingen unterhaltet, so mag es gut seyn; redet ihr aber von der Materie, die wir vorhaben, so entdecket uns immer eure Einwürfe und Zweifel, damit wir sie gemeinschaftlich untersuchen, und entweder heben, oder selbst mit zweifeln mögen. Simmias sprach: Ich muß dir gestehen, Sokrates! daß wir beide Einwürfe zu machen haben, und uns schon lange einer den andern antreiben, sie vorzubringen, weil beide gerne deine Wiederlegung hören möchten, ein jeder aber sich scheuet, dir bey jetziger Widerwärtigkeit beschwerlich zu fallen. Als Sokrates dieses hörete, lächelte er, und sprach: Ey! wie schwer, o Simmias! werde ich andere Menschen bereden können, daß ich meine Umstände für so mißlich nicht halte, da ihr mir es noch immer nicht glauben könnet, und besorget, ich möchte jetzt unmuthiger und verdrießlicher seyn, als ich vormals gewesen bin. Man saget von den Schwänen, daß sie, nahe an ihrem Ende, lieblicher singen, als in ihrem ganzen Leben. Wenn diese Vögel, wie es heißt, dem Apoll geheiliget sind, so würde ich sagen, daß ihr Gott sie in der Todesstunde einen Vorschmack von der Seligkeit jenes Lebens empfinden läßt, und daß sie sich an diesem Gefühl ergetzen, und singen. Mit mir verhält es sich eben so. Ich bin ein Priester dieses Gottes: und in Wahrheit! er hat meiner Seele ein ahnendes Gefühl von der Seligkeit nach dem Tode eingeprägt, das allen Unmuth vertreibt, und mich, nahe an meinem Tode, weit heiterer seyn läßt, als in meinem ganzen Leben. Eröffnet mir also ohne Bedenken eure Zweifel und Einwürfe. Fraget, was ihr zu fragen habt, so lange es die eilf Männer noch erlauben. – Gut! erwiederte Simmias, ich werde also den Anfang machen, und Cebes mag folgen. Ich habe nur noch eine einzige Erinnerung voraus zu schicken: Wenn ich Zweifel wider die Unsterblichkeit der Seele errege, so geschieht es nicht wider die Wahrheit dieser göttlichen Lehre, sondern wider ihre vernunftmäßige Erweislichkeit, oder vielmehr wider den Weg, welchen du, o Sokrates! gewählt hast, uns durch die Vernunft davon zu überzeugen. Im übrigen nehme ich diese trostvolle Lehre von ganzem Herzen nicht nur so an, wie du sie uns vorgetragen, sondern so, wie sie uns von den ältesten Weisen ist überliefert worden, einige Verfälschungen ausgenommen, die von den Dichtern und Fabelerfindern hinzugethan worden sind. Wo unsere Seele keinen Grund der Gewißheit findet, da trauet sie sich den beruhigenden Meynungen, wie Fahrzeugen auf dem bodenlosen Meere an, die sie bey heiterm Himmel sicher durch die Wellen dieses Lebens hindurch führen. Ich fühle es, daß ich der Lehre von der Unsterblichkeit, so wie von dem Gerichte Gottes nach diesem Tode, nicht widersprechen kann, ohne unendliche Schwierigkeiten sich erheben zu sehen, ohne alles, was ich je für wahr und gut gehalten, erschüttert zu sehen. Ist unsere Seele sterblich, so ist unsere Vernunft ein Traum, den uns Jupiter geschickt

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