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nicht schlapp machen! »Drei, zwei, eins!«

      Mit einem Schrei stürzte sich Vincent in die Tiefe. Moritz stand oben. Sah, wie die Freunde den Bräutigam auffingen. Hörte das Kreischen und Johlen. Plötzlich wurden die Geräusche leiser. Das Bild vor seinen Augen verschwamm, bis es ganz erlosch. Als hätte jemand den Stecker aus einem Fernsehgerät gezogen.

      *

      Elena Rauch, Pflegedienstleitung an der Behnisch-Klinik, saß im Schwesternzimmer und brütete über dem Therapieplan eines Patienten, als ihre Freundin Fee gut gelaunt herein wirbelte. Sie hatte extra einen Umweg in Kauf genommen, um Elena zu überraschen.

      »Schau mal, was ich uns Schönes aus Tatjanas Bäckerei mitgebracht habe!« Sie trat hinter Elena und hielt ihr eine Tüte unter die Nase. »Drei Mal darfst du raten, was drin ist.«

      »Bienenstich. Bienenstich. Bienenstich.«

      »Huh.« Fee richtete sich auf. Das Lächeln auf ihren Lippen verblasste. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

      »Eine Laus namens Eric.« Ein Schubs mit den Füßen und der Stuhl drehte sich herum.

      Felicitas erschrak.

      »Du siehst aus wie ein Gespenst.«

      »Ich fühle mich auch so.« Elena seufzte. »Eric sei Dank.«

      Die Tüte mit den Leckereien landete auf dem Tisch. Fee zog sich einen Stuhl heran.

      »Ich dachte, ihr hättet eine Lösung für euer Problem gefunden.«

      »Das dachte ich auch.« Elena kratzte an einem unsichtbaren Fleck auf ihrem Kittel. »Aber als ich gestern – wohlgemerkt pünktlich – nach Hause gekommen bin, ging es schon wieder los. Er wolle keine Geschichten aus der Klinik mehr hören. Außerdem warf er mir vor, dass ich ihm nicht zuhören, mich nicht mehr für ihn interessieren würde.«

      »Und? Stimmt das?«

      Elena sah nicht hoch. Mit gesenktem Kopf saß sie da und starrte Löcher in den Kittel.

      »Nur, weil ich nicht weiß, an welchem Gebäude sie gerade arbeiten, heißt das doch noch lange nicht, dass er mir egal ist«, platzte sie heraus. »Oder findest du auch, dass das ein Grund ist, unsere komplette Ehe in Frage zu stellen?«

      Fee zog es vor, sich in eine Gegenfrage zu retten.

      »Was ist denn deiner Ansicht nach wichtig in einer Beziehung?«

      »Liebe« erwiderte Elena ohne Zögern. »Aber selbst darin sind Eric und ich uns nicht mehr einig. Ich verstehe überhaupt nicht …«

      Auf dem Flur näherten sich Schritte. Fee wartete, bis sie vorüber waren. Doch sie gingen nicht etwa vorbei.

      »Wow, noch mehr krasse Bräute!« Ein Mann steckte den Kopf durch die Tür. Schwarze Locken, griechisches Profil, glühende Kohleaugen. Er wirbelte herein. Verbeugte sich, als wollte er mit seinem bunten Schal den Boden wischen. »Kein Wunder, dass mein Bruderherz quasi in der Klinik wohnt.«

      »Ihr Bruder?«, platzte Fee heraus. Das konnte eigentlich nur einer sein.

      Obwohl sie Milan Aydin noch nie in zerrissener Jeans, ausgeleiertem Pullover und buntem Schal gesehen hatte, stach die Ähnlichkeit ins Auge.

      »Sie meinen nicht etwa Dr. Aydin?« Elena schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben.

      Der Fremde strahlte sie an, als wäre sie die Frau seines Lebens.

      »Deniz Aydin«, stellte er sich vor. »Milan ist mein älterer Bruder. Aber pssst.« Er legte den Zeigefinger auf die vollen Lippen. Seine Augen blitzten vor Vergnügen. »Ich will ihn überraschen. Wissen Sie, wo er steckt? Ich habe schon die halbe Klinik abgeklappert.«

      Elena und Felicitas konnten die Augen nicht von Deniz wenden. Er bemerkte es und lachte.

      »Oh, ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber glauben Sie mir: Milan war nicht immer so ein Schnösel wie jetzt.« Sein Blick fiel auf die Tüte auf dem Schreibtisch. Eine Quarktasche lugte heraus. »Darf ich? Ich habe seit gestern nichts gegessen.« Zeit für eine Antwort ließ er den beiden Frauen nicht. Papier raschelte. Im nächsten Moment regneten Brösel auf den Boden. »Hmmm. Lecker.« Deniz leckte sich einen Klecks Zuckerguss aus dem Mundwinkel. »Früher war mein Bruderherz ein richtiger Hippie. Glaubt ihr mir nicht, was?«

      Die beiden Freundinnen tauschten Blicke.

      »Schwer vorstellbar«, sprach Elena das laut aus, was Fee dachte.

      »Hat er euch nie von seiner Zeit als Straßenkünstler erzählt? Aber ich weiß schon.« Er winkte ab. »Die Feuerspucker-Nummer macht er nur, wenn er vier, fünf Bier intus hat.«

      Ein schrilles Quietschen zerriss die Luft. Milan rollte durch die Tür. Er war auf dem Weg zu einem Patienten gewesen, als die Wortfetzen über den Flur wehten.

      »Deniz? Was machst du denn hier?« Freude sah anders aus.

      »Bruderherz! Da bist du ja!« Deniz stopfte den Rest der Quarktasche in den Mund, beugte sich hinunter und presste Milan an sich. »If wollte den Füfen hier gerade erfählen, wie …«

      »Man spricht nicht mit vollem Mund!« Mit Gewalt befreite sich Milan aus der Umarmung.

      Deniz schluckte brav.

      »Ich wollte den beiden Süßen hier gerade erzählen, wie wir splitterfasernackt im Freibad …«

      »Das interessiert die beiden Damen mit Sicherheit nicht«, fiel Milan seinem kleinen Bruder wütend ins Wort.

      Fee überlegte nicht lange.

      »Also, ich würde die Geschichte schon gern hören«, erwiderte sie. Sie stieß Elena in die Seite. Wenn das nicht genau die richtige Therapie gegen Liebeskummer war!

      »Das kommt überhaupt nicht in Frage.« Milan packte seinen Bruder am Arm. »Komm! Wir gehen!«

      »Tut mir leid, Schatzis.« Deniz konnte gerade noch winken, ehe Milan ihn aus dem Schwesternzimmer zerrte.

      »Bist du total übergeschnappt?«, zischte der Neurochirurg auf der Suche nach einem Zimmer, in dem sie ihre Ruhe hatten.

      Mit einem Ruck machte sich Deniz los und blieb stehen.

      »Meine Güte! Immer noch derselbe Spießer!« Er machte ein Gesicht, als litte sein Bruder an einer unheilbaren Krankheit. »Hallo erst einmal. Ich freue mich auch, dich zu sehen.«

      »Ja, ja, schon gut.« Milan Aydin packte die Greifräder und schob an.

      Kurz bevor er um die Ecke verschwand, nahm Deniz die Verfolgung auf. Sein Blick glitt über die großformatigen Fotos an den Wänden. Die indirekte Beleuchtung. Den Vinylboden in Schiffsoptik.

      »Cooler Schuppen hier«, keuchte er.

      »Stimmt. Eine angenehme Arbeitsatmosphäre.« Ein Handgriff, und der Rollstuhl driftete um die Ecke.

      »Jetzt bleib doch mal stehen!«, rief Deniz seinem Bruder nach. »Ich habe dir auch was mitgebracht.« Wieder holte er Milan ein. Seine Hand verschwand in der Tasche. Zog und zerrte, ehe er ein T-Shirt ans Tageslicht beförderte. »Na, wie gefällt’s dir? Selbstgemacht. Das ist gar nicht so schwer«, erklärte er atemlos. »Du brauchst nur Computer und Drucker, ein Transferpapier und ein Bügeleisen. Wenn du willst, zeige ich es dir.«

      Endlich tat Milan ihm den Gefallen und hielt an. Er betrachtete die weiße Silhouette eines Cannabisblattes auf dem schwarzen Stoff.

      »Bist du völlig übergeschnappt?« Er riss Deniz das Shirt aus der Hand und stopfte es sich in den Rücken. »Was sollen die Kollegen von mir denken, wenn sie das sehen?«

      Statt einer Antwort legte Deniz den Kopf in den Nacken und lachte los.

      »Dich zu besuchen, war die beste Idee seit Jahren. Wir werden eine Menge Spaß haben.«

      Dasselbe befürchtete Milan auch. Er presste die Lippen aufeinander und fuhr weiter.

      *

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