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den Angeklagten Sigismondo Enea Deruga, sind aber mit ihm nicht verwandt. Wollen Sie so gut sein und mit Vermeidung alles Überflüssigen erzählen, wann und unter welchen Umständen Sie ihn kennenlernten?“

      „Mit Vergnügen will ich das“, sagte Frau Hauptmann Schmid lebhaft. „Alles will ich sagen, was ich weiß, denn dazu bin ich ja hergekommen. ,Und wenn ich bis ans Ende der Welt reisen müßte‘, sagte ich zu meinem Mann, ,ich täte es, um dem Dodo aus der Patsche zu helfen. Das hat er um mich verdient, so lieb und gut wie er immer war‘. Und getan hat er es auch nicht, denn wenn er auch etwas toll und originell war, der Topf voll Mäuse, gemordet hat er sicherlich keinen Christenmenschen und am wenigsten die gute Seele, seine Frau.“

      „Wie kommt es, daß Sie den Angeklagten einen Topf voll Mäuse nennen?“ fragte Dr. Zeunemann.

      „So nennt man doch“, erklärte Frau Schmid, „die Figur, die bei den Feuerwerken gewöhnlich zuletzt kommt, wo es so kracht und prasselt, daß man glaubt, einen feuerspeienden Berg vor sich zu haben. Es war eine Art Kosename, den seine Frau ihm gegeben hatte, weil er zuweilen Anfälle von Wut bekam, wo er Rauch und Feuer spuckte, so daß sie sich vor ihm fürchtete.“

      „Sonderbarer Kosename“, meinte der Vorsitzende.

      „Ach, Herr Präsident“, sagte die Frau Hauptmann lachend, „er meinte es ja im Grunde nicht böse, so wenig wie ein Topf voll Mäuse gefährlich ist. Darum paßte der Name gerade so gut, und wir nannten ihn alle so, obgleich es sich für mich, so ein junges Mädchen, wie ich war, kaum recht schickte.“

      „Ich bitte zu beachten“, sagte der Staatsanwalt, „daß nach Aussage der Zeugin die damalige Frau Deruga sich vor ihrem Mann fürchtete.“

      Frau Hauptmann Schmid drehte sich schnell nach dem Sprecher um und sagte, während ihr das Blut ins Gesicht stieg: „Wenn Sie glauben, Sie hätten damit einen Vorteil über den Herrn Doktor gewonnen, daß ich gesagt habe, er sei aufbrausend, so sind Sie gewaltig im Irrtum. Die Aufbrausenden sind die Schlimmsten nicht, und das sagt ja auch das Sprichwort: Hunde, die bellen, beißen nicht. Ich habe oft zu meinem Manne gesagt: ,Meinetwegen möchtest du schimpfen und fluchen, ja, sogar in Gottes Namen zuschlagen, nur das Maulen und Scheelblicken, das Brummen und Nachtragen, das ist mir zuwider‘, und ich glaube, daß einer, dem es nie überläuft, das Herz nicht auf dem rechten Flecke hat.“

      Der Vorsitzende machte eine abschließende Handbewegung und sagte: „Ihre Mitteilungen, Frau Hauptmann, sind uns sehr wertvoll. Vielleicht erzählen Sie uns zunächst, auf welche Weise Sie die Bekanntschaft des Angeklagten machten!“

      „Sehr gern, sehr gern“, sagte Frau Hauptmann, „ich habe auf der langen Reise immer an jene Zeit gedacht, darum ist mir alles gegenwärtig, obschon es jetzt vierundzwanzig Jahre her ist. Ja, einundzwanzig Jahre ist es her, und einundzwanzig Jahre war ich damals alt. Die Großmutter hatte gerade viel Geld bei der Lotterie verloren. Denn, obwohl sie sich einbildete, ein Muster von Vernunft zu sein, konnte sie doch nicht leben, ohne zu spielen. Und wenn sie sich das Geld hätte zusammenbetteln müssen, gespielt mußte werden. Weil nun der Großvater ärgerlich war, was er zwar nicht aussprach, denn das traute er sich nicht, aber er machte ein langes Gesicht und manchmal eine spöttische Bemerkung, wollte die Großmutter es wieder einbringen und richtete das alte Lusthäuschen am Gartenzaun zum Vermieten ein, und es wurde eine Anzeige für die Zeitung gemacht. Ich weiß noch wie heute, wie wir abends spät um den Tisch der Lampe saßen und uns abrackerten, um die Sache in richtiges Deutsch zu bringen. Denn der Großmutter war das Schriftliche nicht geläufig, und der Großvater wollte nichts damit zu tun haben. Erstens, sagte er, schicke es sich für den Offiziersstand nicht, Zimmer zu vermieten — er war nämlich Hauptmann, aber schon lange nicht mehr im Dienst —, zweitens möchte er keine Fremden im Hause leiden, und drittens sei es eine Schande, arglosen Leuten die alte Baracke als Wohnung aufzuschwatzen.“

      „Ihre Großmutter war offenbar keine Deutsche“,schaltete der Vorsitzende ein, „da ihr das Deutsche nicht geläufig war?“

      „Nein, natürlich nicht“, antwortete Frau Schmid, „sie war ja aus Bosnien; aber sie war eine sehr schöne Frau und übrigens auch gebildet, nur nicht in den Wissenschaften.“

      „Und Ihre Eltern?“ fragte der Vorsitzende.

      „Ja, meine Eltern waren auch von dorther“, sagte die Frau Hauptmann ein wenig errötend; „aber sie waren zu früh gestorben, als daß ich mich ihrer hätte erinnern können, und ich sah eigentlich den Großvater, und die Großmutter als meine Eltern an. Also, um in meiner Erzählung fortzufahren, als der Großvater das sagte, geriet die Großmutter in eine Furie und sagte, das Lusthaus hätte der Kaiser Joseph oder Ferdinand oder Maximilian, das weiß ich nicht mehr, für seine Geliebte gebaut, da in dieser Gegend noch lauter Wald und Heide gewesen wäre, und es wäre noch etwas Malerei an der Decke und eine steinerne Vase, wenn auch zerbrochen, an der Treppe. Außerdem wolle sie es den Leuten gar nicht aufschwatzen, nur zeigen; sie könnten ja die Augen auftun undmit Gott wieder heimgehen, wenn es ihnen nicht paßte. Wenn die Großmutter in der Furie war, sah sie sehr majestätisch aus; sie hatte eine gebogene Nase, wie ein Papagei, aber Augen, schöner wie Diamanten, und dickes weißes Haar, das wie ein Schneeberg über ihrem Kopf stand. Um sie zu begütigen, half der Großvater doch mit bei der Anzeige, und sie lautete schließlich so: , Hier ist ein fesches Sommerhaus zu vermieten, auch winters brauchbar, wenn es beliebt. Es liegt im Grünen und hat einige. Möbel. Besonders geeignet für ein junges Ehepaar‘. Die Großmutter wollte nämlich zuerst schreiben: ,für ein Liebespaar‘. Da wurde aber der Großvater beinahe böse und sagte, die Großmütter würde ihn noch um Ehre und guten Namen bringen, und sie wäre ärger als eine Zigeunerin. Da gab die Großmutter nach, denn sie hatte eine große Hochachtung für des Großvaters Vornehmheit und Weltkenntnis, und es wurde statt dessen das ,junge Ehepaar‘gesetzt.“

      „Und auf diese Anzeige hin kamen Herr Dr. Deruga und seine Frau?“ fragte der Vorsitzende. „Wann war das?“

      „Vor dreiundzwanzig Jahren, wie ich schon sagte“, antwortete Frau Schmid; „es mag im Mai gewesen sein.“

      „Juli war es“, sagte Deruga, „denn die Linde, unter der wir abends saßen, duftete, und der Rosentriumphbogen über der Gartenpforte blühte, als wir das erstemal hindurchgingen.“

      Alle blickten erstaunt nach dem Angeklagten, dessen wohllautende Stimme und melodischer Tonfall jetzt erst auffielen; was er sagte, hatte fast wie ein kleines Lied geklungen.

      Die farbenprächtige Frau zeigte wieder eine Neigung, auf ihn zuzulaufen, unterdrückte sie aber und sagte nur: „Recht haben Sie, es war Juli! Sie wissen es am besten und könnten überhaupt alles viel besser und schöner erzählen als ich.“

      „Schräg über unserm Pavillon stand das Sternbild des Wagens“, sagte Deruga, „und wenn wir nachts Hand in Hand nach Hause kamen, Mingo und ich, sah ich ihn an und dachte: Wie bald, fliegender Wagen der Zeit, wirst du uns von diesen schnellen, törichten Augenblicken fortführen in das namenlose Dunkel.“ „Ja, etwas Ähnliches muß ich wohl mal von Ihnen gehört haben“, fiel Frau Schmid lebhaft ein; „denn im folgenden Sommer, wenn der Wagen hoch am Himmel stand, sah er mir immer so leer aus, und doch hatte ich sonst auch niemand darin sitzen sehen, natürlich.“

      „Sie haben also noch zuweilen an uns gedacht, Brutta?“ fragte Deruga.

      Frau Hauptmann Schmid zog ihr Taschentuch und brach in Tränen aus.

      „Ach“, schluchzte sie, „das greift mir ans Herz, wenn Sie mich bei dem Namen anreden. Es nennt mich ja seit Jahren niemand mehr so, denn der Großvater und die Großmutter sind lange tot, und ich möchte gar nicht wieder hin nach dem alten Hause. Wer weiß, ob der Wagen noch darübersteht!“

      Der Vorsitzende nahm jetzt den Faden des Verhörs wieder auf, indem er Frau Schmid bat, sich zu beruhigen, und sie fragte, ob die Eheleute Deruga den Eindruck eines glücklichen Paares gemacht und ob sie ihren Großeltern gefallen hätten.

      „Und wie!“ sagte Frau Schmid, „besonders der Doktor. Das heißt, dem Großvater gefiel die Frau besser, aber er hielt sich zurück. Dagegen, wenn die Großmutter einen leiden mochte, dann merkte man’s. Und vom

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