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Die gelbe Mafia. Will Berthold
Читать онлайн.Название Die gelbe Mafia
Год выпуска 0
isbn 9788711726952
Автор произведения Will Berthold
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
In freundlichen wie in feindlichen und in neutralen Ländern unterhielt das Camp geheime Residenturen als Spionagestützpunkte. Selbstverständlich war dem Kamikaze die Adresse der getarnten BND-Filiale in Hongkong bekannt. Man hatte ihm in Pullach versichert, daß nach der verpfuschten Ouvertüre der »Operation Taifun« alle daran beteiligten Mitarbeiter abgelöst und durch andere Agenten ersetzt worden seien. Das konnte stimmen, doch auch nur eine Beruhigungspille sein. Aber dann erinnerte er sich, daß diese Information von Blaurock stammte, und sein Chef log ihn nicht an.
Der Barkeeper schaute auf Parkers leeres Glas.
»Später, Charly«, sagte der Gast und beobachtete die neu eintretenden Besucher.
Dr. Zweibein, den Arzt aus Hamburg, der ihm mit seinen ewigen Leitartikeln auf die Nerven ging, hatte er längst erkannt, aber der Mann sah ihn erst jetzt und winkte ihm vom anderen Ende der Bar aus zu. Nicht gerade einladend erwiderte der Kamikaze den Gruß durch ein Kopfnicken. Dann erinnerte er sich, daß der Mediziner mit vier weiteren Passagieren erst in Bangkok zugestiegen, die geschlossene Reisegesellschaft aber bereits in Frankfurt gestartet war. Änderungen des Rundreiseprogramms waren möglich und üblich. Der Mann, der gelegentlich seinem eigenen Gesicht mißtraute, registrierte Dr. Zweibeins Auftauchen automatisch. Er hatte ein fotografisches Gedächtnis, das Einzelheiten wie einen Film aufzeichnete, den er bei Bedarf abspulen konnte.
Seine Aufmerksamkeit wurde einen Moment lang abgelenkt – nicht nur seine. Es war, als hätte ein unhörbarer Gong den Eintritt einer Außergewöhnlichen angekündigt: Eine ungemein attraktive Eurasierin, flankiert von zwei Herren, schritt durch den Raum und setzte sich auf der anderen Seite der Theke neben Dr. Zweibein. Sie hatte ein pikantes Gesicht mit beherrschenden Augen. Sie wirkte intelligent und distanziert, ladylike und doch verführerisch. Parker, der sie in seiner blicklosen Art betrachtete, stellte fest, daß er nicht der einzige war, auf den sie diesen Eindruck machte. Die Eurasierin war eine Augenweide, die nicht nur die Augen der männlichen Besucher abgrasten. Sie schien es nicht zu bemerken. Die Blickte prallten von ihr ab wie stumpfe Pfeile; dabei wirkte sie eher gleichgültig als hochmütig.
»Diese Lady kommt beinahe täglich hierher, aber selten mit denselben Herren«, beantwortete Charly halblaut eine ungestellte Frage. »Li Williams, eine Journalistin vom ›Hongkong Standard‹. Außerdem noch Korrespondentin mehrerer britischer Blätter.« Er merkte, daß sein Gast interessiert war, und fuhr fort: »Ihr Büro liegt gleich nebenan, deshalb haben wir so oft das Vergnügen, Miss Williams bei uns zu sehen.«
Er ging auf die Eurasierin zu. Sie begrüßte ihn vertraut-burschikos. Charly hielt betont auf Abstand, bediente dann andere Gäste und kam wieder zu Parker zurück: »Vater Chinese, Mutter Engländerin«, sprudelten seine Informationen weiter. »Eurasierinnen gibt es zu Tausenden in Hongkong. Sie sind besonders attraktiv, klug und begehrenswert, aber Li Williams ist die schönste von allen, die ich kenne, und dazu noch wohlhabend und erfolgreich.«
»Sie brauchen die Reklametrommel nicht zu rühren«, erwiderte der Gin-Tonic-Trinker lächelnd. »Ich fürchte nur, daß weder Sie noch ich bei Miss Williams landen werden.«
»Und noch mancher andere Kamerad«, versetzte der Keeper und lächelte verzichtend.
Die Bar war jetzt bis auf den letzten Platz besetzt. Neue Gäste blieben an der Tür stehen und zogen mit enttäuschten Gesichtern wieder ab. Eine junge Frau zwängte sich durchs Gewühl; es war Babs, und sie genoß es, einen Unerschütterlichen durch ihre Erscheinung einen kurzen Augenblick lang verblüfft zu haben.
Er stand auf, ging ihr entgegen: »Toll siehst du aus«, begrüßte er sie mit einem Handkuß. »Wie machst du das bloß, Prinzessin?«
»Ganz einfach«, erwiderte sie lachend, während ihr Parker auf seinen Hocker half und neben ihr stehenblieb. »Ich bin meine eigene Zofe, meine eigene Visagistin und meine eigene Coiffeuse.«
»Gleich drei Berufe auf einmal«, entgegnete der Kamikaze lachend. »Wie eine echte Hongkong-Chinesin.«
»Sind die so fleißig?«
»Notgedrungen«, erwiderte er.
»Vertreten wir uns ein bißchen die Beine«, regte Babs an. Sie legte die Hand auf Parkers Arm. »Sieh nicht hin«, sagte sie dann. »Uns schräg gegenüber sitzt Dr. Zweibein, dieser Quacksalber – nicht daß er uns den Abend vermiest.«
Sie tranken ihren Cocktail aus. Der Kamikaze nickte Charly zu.
Beim Verlassen der Bar stellte er fest, daß die hübsche Miss Williams ihn aufmerksam musterte, vielleicht weil er der einzige Mann im Raum war, der ihr nicht demonstrativ seine Huldigung erwies. Oder gab es womöglich einen anderen Grund? Er hatte zu gute Nerven, um Gespenster zu sehen, sosehr er auch auf alles gefaßt war.
Beim Durchqueren der Halle überlegte er erneut, wer von all diesen angeblichen Müßiggängern auf ihn angesetzt sein könnte. Parker ließ den Film zurückspulen, und da fiel der Groschen: nur einer der fünf Bangkok-Zusteiger war im Flugzeug hinter ihm gesessen, und zwar der einzige der geschlossenen Gesellschaft, der jetzt offensichtlich ebenfalls ins ›Mandarin‹ übersiedelt war.
»Entschuldige mich«, sagte der Kamikaze zu seiner Begleiterin. »Nimm bitte einen Moment in der Halle Platz.«
Er ging auf die Portiersloge zu. »Sagen Sie mal: Täusche ich mich, oder habe ich hier einen alten Bekannten gesehen?« sprach er den Mann mit den gekreuzten Schlüsseln auf dem Kragenspiegel an und schob ihm einen Geldschein zu. »Einen gewissen Dr. Zweibein …«
»Sie täuschen sich nicht, Sir«, entgegnete der Mann unverzüglich. »Wir hatten einige Probleme mit ihm, denn Dr. Zweibein wollte unbedingt in unserem Haus wohnen, aber wir sind restlos ausgebucht. Schließlich taten wir den Kollegen vom ›Ambassador‹ den Gefallen. Leider konnte Dr. Zweibein nur ein kleines Zimmer bekommen, ohne Ausblick.« Er sah zum Schlüsselbrett, stellte fest, daß der Gast im Haus war. »Soll ich Sie verbinden, Sir?« fragte er und griff zum Hörer.
»Nein, danke«, erwiderte der Gast. »Aber vielleicht könnten Sie im ›Jumbo‹ einen Tisch für zwei Personen auf meinen Namen reservieren lassen.«
»Wird erledigt, Sir«, antwortete der Portier.
Über Parkers Gesicht dümpelte ein Lächeln und verschwand so schnell wie die Beute eines Taschendiebs.
Er hatte die Drahtzieher der Operation Taifun II zum zweitenmal ertappt und konnte sich einen weiteren Joker in den Ärmel stecken.
4
Der Wagen des Bundeskriminalamts war mit Blaulicht und Sirene von Wiesbaden nach Frankfurt gerast. Kudemann, dem solcherlei Auftritte im allgemeinen verhaßt waren, mußte es hinnehmen. Eile tat not, und die Schnellstraße war wie immer verstopft.
Er drehte sich nach Salewsky und Blaurock um. »Viel kann ich noch nicht sagen – aber es sieht so aus, als hätten wir es mit einer Wiederholung des Doppelmords von Hamburg zu tun. Roland«, wandte er sich direkt an den Spezialisten aus Pullach, »erinnerst du dich noch an die beiden Chinesen, einen 54jährigen Chef und seinen 37jährigen Assistenten, die in der Hansestadt gefoltert und unter schauerlichen Umständen hingerichtet wurden?«
»Ja, ich weiß, Doktor«, entgegnete Blaurock, »der Fall Li Tiexiong und Zhang Yongqing.«
Der HOKO-Chef lächelte verstohlen. Auf Blaurocks Gedächtnis konnte er sich so gut verlassen wie auf das eigene.
Der Fahrer schlängelte sich geschickt durch, fuhr Slalom