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Welt, auch in Westasien. Darum möchte ich diese Geschichte von Simone Beck stellvertretend auch für sie erzählen.

      Wer dieses Buch liest, sollte es tun wie ein Bergsteiger: ruhig und gleichmäßig die Höhe gewinnen. Dort, das sei schon gesagt, wird er auf eines jener Rätsel stoßen, die auf Erden nicht gelöst werden können.

      Ich wünsche mir, dass Gott jeden Leser segnen, berühren und ermutigen möge.

      Sr. Heidemarie Führer

       Villingen, im November 2019

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      PROLOG

      Nun öffnete das Lamm das fünfte Siegel.

       Da sah ich am Fuß des Altars die Seelen derer,

       die umgebracht worden waren, weil sie an Gottes Wort festgehalten

       und sich zur Botschaft von Jesus bekannt hatten.

      Mit lauter Stimme riefen sie:

       »Du heiliger und gerechter Herrscher!

       Wie lange dauert es noch,

       bis du über die Bewohner der Erde Gericht hältst

       und sie dafür zur Rechenschaft ziehst,

       dass unser Blut an ihren Händen klebt?«

      Daraufhin

       erhielt jeder von ihnen ein weißes Gewand,

       und es wurde ihnen gesagt,

       sie sollten noch eine kurze Zeit Geduld haben.

       Ihre Zahl sei noch nicht vollständig;

       denn auch unter ihren Geschwistern,

       die wie sie Gott dienten, gebe es noch solche,

       denen es bestimmt sei,

       dasselbe Schicksal zu erleiden

       und für ihren Glauben zu sterben.

      Offenbarung 6,9-11 (NGÜ)

      Mai 2017. Es ist Nacht in Kabul. Eine milde Wärme liegt über der dunklen Stadt. Kaltes Mondlicht fließt über die Hügel und die schneebedeckten Gipfel der Berge ringsum. Ein heftiger Wind rüttelt schon seit Stunden an den klapprigen Türen und Fensterläden der Häuser. Im siebten Polizeidistrikt haben sich die Bewohner eines Compounds in ihre Wohnungen zurückgezogen. Der Wachmann genießt hinter dem Tor, das zu dem Wohnkomplex führt, sein einfaches Abendbrot.

      Ein Auto hält vor dem Tor. Türen werden zugeschlagen. Es wird energisch an die metallene, blau gestrichene Tür geklopft. Der Wächter öffnet. Sie töten ihn schnell und lautlos.

      Zwei Frauen sitzen gemütlich beim Abendessen. Sie haben sich viel zu erzählen. Eine von ihnen hört verdächtige Geräusche, die andere meint, es sei der Wind. Doch schon stehen dunkle Gestalten im Türrahmen. Ein gellender Schrei zerreißt die Stille. Drei Schüsse aus nächster Nähe treffen eine der beiden Frauen tödlich, die andere wird betäubt und schnell weggeschleppt. Der Wagen fährt mit quietschenden Reifen davon.

      Grauweiße Wolken schieben sich wie ein Schleier vor den bleichen Mond.

      Es ist 19:30 Uhr, Ortszeit.

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      1. TRÄUME. WÜNSCHE. SCHMERZEN.

      Denn ich weiß wohl,

       was ich für Gedanken über euch habe,

       spricht der Herr:

       Gedanken des Friedens

       und nicht des Leides, dass ich euch gebe

       Zukunft und Hoffnung.

      Jeremia 29,11

      Sie lag schon eine Weile im Bett, als sie die Schritte der Mutter hörte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Was würde die Mutter zu ihrem großen Traum sagen? Wie jeden Abend sprachen sie noch eine Weile über den vergangenen Tag. Dann beteten sie miteinander und wünschten sich eine gute Nacht. Die Mutter war schon auf dem Weg zur Tür, da sagte Simone plötzlich:

      »Mama, ich will Missionarin werden. Darf ich das?«

      Völlig überrascht machte die Mutter kehrt, setzte sich noch mal zu Simone ans Bett und nahm ihre Hand.

      »Missionarin? Natürlich darfst du das, Simone. Aber wie kommst du denn darauf?«

      In einigen Jungscharstunden war die Geschichte von Gladys Aylward erzählt worden. Die schottische Missionarin hatte mit vielen Vorurteilen zu kämpfen, ehe sie nach China ausreisen konnte. Da Simone auch täglich mit vielen Schwierigkeiten kämpfen musste, wurde Gladys für sie mehr und mehr zum Vorbild. Eine Missionarin wie Gladys, das wollte sie werden. Davon träumte sie.

      Simones Mutter lag in dieser Nacht noch lange wach. Sie war vom Wunsch ihrer Tochter berührt und bewegt. Wie in einem Film zogen die vergangenen Jahre an ihr vorbei. Sollte Gott ihre Gebete erhört haben?

      Anneliese, die Mutter von Simone, stammt aus dem Hohenlohischen, aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Crailsheim. Als es um die Berufswahl ging, war sie unschlüssig, ob sie Kindergärtnerin oder Krankenschwester werden sollte. Ihr Konfirmator riet ihr eher zu Kindern als zu Kranken und vermittelte ihr einen Ausbildungsplatz bei den Großheppacher Diakonissen. Das Leitwort der Schwesternschaft: »Wir können Gott nur dadurch dienen, dass wir den Menschen dienen«, ist Anneliese Beck bis heute wichtig. Nach ihrer Ausbildung und einiger Erfahrung im Beruf wurde sie von der Oberin gebeten, einen Kindergarten in Dettingen an der Erms zu übernehmen. Dafür waren Pioniergeist, Durchhaltevermögen und Kreativität gefragt. Dies alles brachte die junge Frau reichlich mit. Trotzdem war die Aufgabe nicht einfach. Dass sie bald ihren Mann kennenlernte, versüßte die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte.

      Es war damals üblich, dass auch die sogenannten Verbandsschwestern, die nicht der Diakonissen-Gemeinschaft angehörten, eine Tracht trugen. Deshalb erschien Schwester Anneliese an ihrem Dienstort im Outfit der Verbandsschwester. Walter Beck hatte als kleiner Junge von »seiner Großheppacher Kinderschwester Regine« geschwärmt. Inzwischen war er ein Industrie-Elektroniker, ein echter schwäbischer Tüftler. Sonntags besuchte er regelmäßig den Gottesdienst. Von der Empore aus, wo Anfang der 1960er-Jahre in der Dettinger Kirche noch alle Männer saßen, entdeckte er die Schwester mit ihrer weißen Haube. Die Dinge nahmen langsam, aber stetig, ihren Lauf.

      Am 9. September 1967 war die Hochzeit, zwei Jahre später wurde Tochter Christine geboren, ein Jahr danach kam der Umzug ins eigene Haus. Und dann, im April 1973, wurde die Geburt des zweiten Kindes erwartet.

      An einem regnerischen Mittwoch, es war der 25. April, setzten die Wehen ein, und Walter Beck fuhr seine Frau zur Entbindung ins Krankenhaus nach Bad Urach. Dort ging alles sehr schnell. Um 15:40 Uhr kam ein Mädchen auf die Welt, das schon längst die Stimme seiner Mutter gehört hatte. Doch als Anneliese Beck zum ersten Mal die Stimme ihres Kindes hörte, schrie es so sehr, dass sie bis heute diese nicht enden wollenden, verzweifelten Schreie im Ohr hat, sooft sie daran denkt. Das war nicht das erste natürliche Nach-Luft-Schnappen, damit sich die Lunge entfalten und das Neugeborene auf das Leben außerhalb des Mutterleibes einstellen kann. Nichts war, wie es sein sollte. Die kleine Simone schrie und schrie und schrie. Niemand wusste Rat, niemand vermochte das Kind zu beruhigen, niemand konnte sich erklären, was dem Kind fehlte.

      Die Mutter durfte das Kind nicht lang in den Armen halten. Um sie herum schnelle Schritte, ernste Mienen, gedämpfte Gespräche; zuckendes Blaulicht spiegelte sich in den Fensterscheiben. Eilig wurde ein Inkubator vorbereitet, eine Box, in der das Kind unter bestmöglichen Bedingungen nach Reutlingen in die Kinderklinik transportiert werden konnte. Die erschütterte Mutter blieb fassungslos zurück und bekam zunächst wenig Auskunft

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