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Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm
Читать онлайн.Название Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi
Год выпуска 0
isbn 9788726569650
Автор произведения Elsebeth Egholm
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie dachte kurz über das Bild mit der Geschichte nach. Es passte besser, als sie es sich hätte wünschen können. Sie wusste nicht, wann es passiert war, dass die Familie zu Hause in Dänemark sich plötzlich von ihr entfernt hatte oder umgekehrt sie sich von ihr. Es war nicht unmittelbar, nachdem sie ins Ausland gegangen war, passiert. Während ihrer Zeit als Korrespondentin für die Zeitung in Paris war sie oft zu Hause in Nyborg gewesen, und sie hatte sich selbst davon überzeugen können, dass alles war, wie es sein sollte. Aber irgendwann, vielleicht als sie sich in Jacques verliebt hatte und ein ganzes Jahr nicht nach Dänemark gekommen war, schien sie plötzlich eine Fremde geworden zu sein. Nicht länger eine von ihnen. Als sie nach dem Bruch mit Jacques endlich wieder Weihnachten zu Hause verbrachte, war alles anders. Kit und Henrik beschäftigten sich nur mit sich selbst, ihre und Kits Interessen waren unterschiedlicher denn je und ihre Eltern plötzlich älter und zerbrechlicher. Der unausgesprochene Vorwurf hatte klammheimlich Einzug gehalten; sie bemerkte es an Kleinigkeiten. Ein Blick, wenn sie begeistert von ihrer nächsten Aufgabe sprach; ein Seufzer, wenn sie nicht versprechen konnte, zu Geburtstagen und Gedenktagen da zu sein; Kits gequältes Gesicht, wenn sie das Gefühl hatte, eine Schwester zu haben, die nichts begriff.
Sie war ein Gast in ihrer eigenen Stadt geworden. Doch das war nicht alles. Da war auch noch das andere. Der Fluch, der wie eine Schlange zwischen sie gekrochen war und sich zusammengerollt hatte, bereit zuzuschlagen. Der die ganzen Jahre gelauert hatte und dem sie, solange sie sich erinnern konnte, verstanden hatte auszuweichen.
Sie folgte der Staubwolke mit den Augen. Jetzt konnte sie ein Motorrad erkennen und sie fragte sich, ob es der Weihnachtsmann mit seiner roten Kappe und dem in der Satteltasche versteckten Bart war.
»Vermisst du auch Tannenbäume und Marzipanschweine?« Henriette kam heraus und setzte sich neben sie. Unter den Armen hatten sich Schweißränder auf ihrem weißen T-Shirt gebildet, und das Haar wurde von einem Stirnband zurückgehalten, um nicht nass in sich zusammenzufallen.
Karen-Lis zuckte die Schultern. »Es ist so weit weg. Fast unwirklich.«
Henriette nickte. »Das ist das Gefährliche. Wenn man es sich nicht mehr vorstellen kann. Wenn unser kleines Gehirn und unsere abgestumpfte Seele nur noch eins nach dem anderen fassen können.«
»Was ist mit deiner Familie?«, fragte Karen-Lis und spürte die Unruhe. »Wie nehmen sie es auf? Ich meine, dass du so lange weg bist?«
Henriette war Krankenschwester und hatte auch Eltern und Geschwister in Dänemark. »Sie versuchen mir beharrlich weiszumachen, dass sie es verstehen. Aber sie sind es, die den Preis bezahlen.«
»Den bezahlen wir selbst doch auch«, sagte Karen-Lis und dachte an den Verlust, der wie ein schwarzes Loch im Magen arbeitete.
»Aber wir haben die Wahl«, meinte Henriette. »Wir sind es, die sie mit unserem Kommen und Gehen beherrschen.«
Karen-Lis verscheuchte eine Fliege. »Ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden beherrsche. Jedenfalls will ich das nicht. Ich lebe nur mein Leben.«
Henriette beobachtete sie sanft. »Warum bist du eigentlich hier?«
Es war keine inquisitorische Frage, kein Misstrauen. Nur Freundlichkeit, wie eine ausgestreckte Hand.
Vielleicht machte es das so schwer. »Weil ich ein Feigling bin«, sagte Karen-Lis zu dem See mit den toten Bäumen.
Henriette widersprach nicht. Ein Außenstehender hätte vielleicht protestiert. Hätte eingewandt, dass man Feiglinge nicht mit HIV-infizierten und AIDS-kranken Kindern arbeiten lassen würde. Aber Henriette hatte acht Jahre als Krankenschwester in Afrika gelebt. Sie wusste, dass Wohltätigkeit viele Gesichter haben und viele Formen annehmen konnte. Und dass Flucht die verbreiteteste war.
»Man kann auch zu hart gegen sich selbst sein«, sagte sie nur.
Das Geräusch des Motorrads kam näher. Henriette stand auf. »Ob das unser Weihnachtsmann ist oder nicht, der Lärm muss aufhören. Er weckt sie alle auf.«
Karen-Lis beobachtete, wie sie schräg über den verstaubten Platz dem Mann entgegenging. Einen Augenblick später winkte ihr Henriette herüberzukommen.
»Für dich. Ein Telegramm. Du musst nur unterschreiben und bei Kasse eins bezahlen.«
Verwundert unterschrieb sie und gab dem Mann ein paar Münzen aus der Tiefe ihrer Shortstasche. Er nickte zum Dank, wünschte ihnen schöne Weihnachten und fuhr lautlos im Leerlauf den Hügel hinunter.
Sie riss das Telegramm auf, während Henriette diskret zurück zum Haus ging. Las die paar Zeilen und merkte, wie ihr ganzer mühsam aufgebauter Panzer plötzlich mit einem Knall in sich zusammenfiel. Die Worte flimmerten vor ihren Augen.
»Ich muss nach Hause!« Ihre Stimme brach, sie hatte noch nie so geklungen. »Mein Vater ... er ist krank.«
Henriette drehte sich um und wartete auf sie. Und als Karen-Lis sie erreichte, legte die Krankenschwester den Arm um sie, als würden sie sich schon jahrelang kennen und nicht erst eine Woche.
Später, als sie Seite an Seite standen und über den See und die toten Bäume blickten und sie sich wie einer von ihnen fühlte mit den Wurzeln im Dunkeln und den Armen im Licht und als sie still flüsternd betete, herausgezogen zu werden, fasste Henriette sie um die Schultern und zog sie an sich.
»Du bist kein Feigling«, sagte sie so sanft, dass Karen-Lis geweint hätte, wenn sie nur gewusst hätte, wie das ging. Aber das war nicht ihre Art. Hatte sie nicht schon früh gelernt, dass es galt, all die Hindernisse zu überwinden, die das Leben aufzuwarten hatte? Sie konnte nahezu die Stimme ihres Vaters in ihrem Ohr hören. »Nimm es wie ein Mann, Mädchen.«
Einen Augenblick später befreite sie sich aus der Umarmung und ging hoch Richtung Haus.
6
Die Müdigkeit war fort. Übersprungen.
Vor nur einer Stunde hatten sich Arme und Beine wie die Fünf-Kilo-Packungen Ton angefühlt, die sie gewöhnlich für das Atelier kaufte. Jetzt, als sie am ersten Weihnachtstag neben Henrik im Auto saß, wurde sie wieder unruhig und rastlos. Sie und ihre Mutter waren fast ständig im Krankenhaus gewesen und nur schnell nach Hause gefahren, um ein Bad zu nehmen und sich umzuziehen. Schlaf war eine Stadt in einem sehr fernen Land.
Henrik hatte nur den Weihnachtsabend bei seinen Eltern verbracht und war sonst an ihrer Seite geblieben. Er hatte sich treu und beharrlich wieder in ihr Leben eingeklinkt, obwohl sie ihm ansehen konnte, dass er darüber nachdachte, wie er sich später an Land retten konnte. Ob er noch eine Runde überleben konnte, noch eine Runde im Ring mit ihrem Vater und ihr.
Das Bild war vielleicht unpassend, da ihr Vater noch immer bewusstlos war. Trotzdem war es so. So, wie Henrik es vorher empfunden hatte, das wusste sie. Eine Runde in einem Boxring, wo er von einer Ecke in die andere geschubst und gestoßen und gleichzeitig näher herangelockt wurde.
Henrik bog in die Birchsallee ein, in der Großmutters Haus mit der hohen geschwungenen Steintreppe und der großen Haustür aus geschnitzter Eiche lag. Er ließ den Motor laufen, während sie ausstieg und die unregelmäßigen Steinplatten hinauflief, die wie kleine Inseln zwischen den Stauden des Vorgartens gelegt worden waren, die jetzt frierend in der winternassen Erde standen und auf den Frühling warteten. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass hier eine Grenze verlief. Als wäre die kleine Sackgasse eine Welt für sich. An dem Weg lagen fünf von den Häusern, die man Patriziervillen nannte. Auf jeder Seite gab es zwei Häuser mit wilden Gärten und dann das Kinderheim