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durch.«

      Ich hatte meinen Onkel und seine Familie vor sieben oder acht Jahren zum letzten Mal gesehen. Damals war Rian gerade erst ein paar Monate alt gewesen, ein dünnes, zartes, ewig quengelndes Baby. An Sally erinnerte ich mich kaum noch. Sie hatte sich immer schüchtern im Hintergrund gehalten. Das Einzige, was mir im Gedächtnis geblieben war, waren ihre großen, scheu wirkenden Augen.

      Von Exeter sah ich nicht viel. Ich lehnte mich in den bequemen Sitz zurück und hielt die Augen meist geschlossen.

      Bis Onkel Harald sagte, es wäre besser für mich, wenn ich sie aufmachte. »So wirst du die Übelkeit nicht los«, meinte er.

      Da hatten wir die Stadt schon hinter uns gelassen und fuhren übers offene Land, hinein ins Dartmoor, das ich mir immer als öde, düstere Gegend vorgestellt hatte, mit Nebelschwaden und Sumpflöchern, in denen ausgebrochene Sträflinge herumirrten und versanken, untermalt vom schaurigen Geheul des Hundes von Baskerville.

      Doch es war ganz anders. Die Moor- und Heidelandschaft war von melancholischem Liebreiz, mit kleinen Bächen und Tümpeln zwischen Felsbrocken und Schafen, die friedlich im Heidekraut weideten. In der Ferne ragten Hügel auf, die wie Zuckerhüte geformt waren. Und mitten in der Heide erhoben sich bizarre Türme aus Granit, Tors genannt, wie Onkel Harald mir erklärte.

      Der Wind trieb pastellfarbene Wolken über den Himmel, sodass das Licht ständig zwischen gleißender Helligkeit und jagenden Schatten wechselte. »Hier gibt es wild lebende Pferde, wusstest du das?«, sagte mein Onkel. »Aber warte, bis du das Meer siehst. Die Küste von Cornwall ist atemberaubend, wenn man sie zum ersten Mal sieht. Schade, dass man sich an alles so rasch gewöhnt, selbst an die Schönheit.«

      Er steuerte den Wagen an einem Bus vorbei, der mitten auf der Fahrbahn stand. Ein Trupp kahlköpfiger Männer in Shorts und mehrere alte Damen mit bläulichem Silberhaar fotografierten die fernen Zuckerhüte.

      »Nicht allzu weit von hier ist auch ein See, Dozmare Pool. In den soll Bedivere das Schwert Excalibur geworfen haben. Früher hielt man Dozmare Pool für unergründlich tief.«

      »Excalibur? Ist das nicht dieses Zauberschwert? Das hat doch etwas mit König Arthus zu tun, oder?«

      Onkel Harald nickte. »Excalibur war König Arthus’ magisches Schwert.«

      »Hat es König Arthus eigentlich wirklich gegeben?«, fragte ich.

      »Darüber streiten sich die Wissenschaftler. Der Überlieferung nach war Arthus ein keltischer Stammesfürst, dem es gelang, mit einem Heer von etwa zehntausend Männern die Invasion der Angelsachsen aufzuhalten. Es heißt, er wurde christlich erzogen, soll aber auch von Merlin, dem Zauberer, in die ›Anderwelt‹ der Kelten eingewiesen worden sein.«

      »Das klingt aber, als hätte er tatsächlich gelebt«, sagte ich.

      »Vermutlich schon. Er war wohl ein großer Heerführer, dem im Laufe der Geschichtsüberlieferung immer mehr Wunderdinge angedichtet wurden. So sind ja viele Sagen entstanden.«

      Er begann, von Merlin, dem Zauberer, zu erzählen und von Arianrhod, der Herrin des Turms zum Jenseits. Seine Stimme war angenehm gleichmäßig und einschläfernd, der große Wagen fuhr schnurrend dahin. Ich begann, mich zu entspannen, und schloss die Augen wieder. Mein Magen beruhigte sich. Ich döste ein und erwachte davon, dass jemand meine Schulter berührte.

      »Wir sind da, Fanny«, sagte Onkel Harald.

      4

      Das Haus hieß Rhiannon Hall nach einer alten walisischen Göttin, die eine weiße Stute besaß und selbst Pferdegestalt annehmen konnte. Das erklärte mir Onkel Harald, während wir aus dem Wagen stiegen.

      Es war viel größer, als ich vermutet hatte, ein lang gestrecktes Gebäude aus grauem Naturstein, mit grauem Schieferdach, sieben Kaminen und einer Menge weiß gestrichener Fenster.

      Der Rasen, der das Haus umgab, wirkte ungepflegt. Er war begrenzt von wild wuchernden Rhododendronbüschen und Hecken aus Lorbeer, Stechpalmen und schwarzgrünen Eiben. Abends, wenn ich aus dem Fenster schaute, musste ich oft zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass diese gespenstischen Schatten keine Monster waren. Auch die Kinder hatten es bei Einbruch der Dunkelheit immer eilig, die Vorhänge zuzuziehen, um »sie« auszusperren.

      »Da draußen lauern sie«, sagte Rian manchmal; keiner konnte ihm ausreden, dass das Haus von jeder Menge schauriger Wesen umgeben war, sobald es finster wurde.

      Jetzt, bei hellem Tageslicht, wirkte alles nur etwas vernachlässigt, so als wäre das Anwesen schon seit längerem unbewohnt. Doch während wir über den Trampelpfad gingen, der von der Auffahrt zur Gartenseite des Hauses führte, tat sich eine der Terrassentüren auf, und Tante Helen erschien auf der Schwelle.

      Sie trug einen Kimono aus blauer Seide, der sie wie einen Schmetterling aussehen ließ. Neben ihr tauchte rechts und links je ein Kinderkopf auf. Zwei dunkle Augenpaare spähten mich aus sicherer Deckung hervor an.

      »Hi!«, sagte ich, aber sie antworteten nicht.

      »Entschuldige«, sprudelte Tante Helen hervor. Ihre Haare waren zerzaust und türmten sich wie ein Vogelnest abenteuerlich schief auf ihrem Kopf. »Ich bin nicht besuchsfein. Mein Kopf schmerzt mir heute so, ich habe gerade erst aus die Bett gekrochen.«

      Sie blinzelte in die Helligkeit wie eine verirrte Eule. Wir umarmten uns. Sie roch ganz wie früher, als ich noch ein Kind war, nach Zitrone und italienischem Puder. Auch ihr Deutsch war genauso witzig wie damals. Sie und Onkel Harald hatten mehrere Jahre in Bonn gelebt, ehe sie in Tante Helens Heimat zurückkehrten; daher stammten Tante Helens Deutschkenntnisse.

      Rian und Sally waren verschwunden. »Meinetwegen brauchst du nicht hier herumzuwandern«, sagte ich. Sie war wirklich sehr blass. Ihr zartes, dünnes Gesicht wirkte fast durchscheinend, die Augen lagen tief in den Höhlen und waren von einem Kranz feiner Fältchen umgeben. »Leg dich wieder hin. Soll ich Tee für dich kochen?«

      »O nein!«, erwiderte sie entsetzt. »Harry zeigt dich jetzt dein Zimmer und du packst deine Rucksack aus. Du schaust auch nicht gerade sehr fit aus, Darling.«

      »Sie hat das Fliegen nicht vertragen«, erklärte Onkel Harald, nahm sie um die Schultern und zog sie ins Haus. »Wo sind die Kinder hin?«

      »Die haben sich versteckt, denke ich. Dabei sind sie so neugierig auf dir, Fanny.«

      Nach einigem Sträuben ließ sich Tante Helen überreden, wieder ins Bett zu gehen. Barfuß tappte sie über die Steinfliesen der Halle und flatterte in ihrem blauen Kimono die Treppe hinauf, während Onkel Harald und ich mit meinem Rucksack folgten.

      Allein der Hausflur und der breite Treppenaufgang waren ungefähr so geräumig wie ein normales Einfamilienhaus, voll gestellt mit dunklen Möbeln. Überall hingen Spiegel und Wandteppiche und Bilder, Porträts irgendwelcher Leute, die ich ziemlich finster und hässlich fand. Ein Geruch von Staub und Moder und Mäusedreck hing in der Luft.

      Während wir nach oben gingen, wurde ich das Gefühl nicht los, aus jedem Winkel und hinter jedem Schrank hervor von Kinderaugen beobachtet zu werden. Wahrscheinlich hielten sich Rian und Sally irgendwo verborgen und musterten mich, wie ich an der Seite ihres Vaters über die Galerie ging, von der man in die Halle hinuntersah, und weiter durch verwinkelte Gänge, über Stufen, Zwischengeschosse und um dunkle Ecken herum. Tante Helen war längst hinter einer der vielen Türen verschwunden.

      »Wie viele arme Teufel haben sich hier schon verirrt und sind irgendwo in einem Winkel verschmachtet?«, fragte ich.

      Onkel Harald lachte laut. »Man gewöhnt sich daran«, sagte er. »Aber du könntest anfangs Reis oder Brotkrumen streuen, bis du den Weg nach unten kennst.«

      Das Zimmer, das ich während der kommenden Wochen bewohnen sollte, wirkte jedenfalls sehr hell und gemütlich, trotz des dumpfen Geruchs, der auch hier in der Luft hing.

      Es war ungefähr fünfmal so groß wie mein Zimmer zu Hause. In einer Nische stand das Bett, ein Himmelbett mit gedrechselten Säulen und einer Art Baldachin aus durchsichtigem weißen Stoff. Es gab einen Schreibtisch

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