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die sie bei ihrem Vater auf der Kommandobrücke verlebt hatte, tauchten in ihr auf.

      Die Herren drüben rauchten. Alle vier hatten die Arme auf das ziemlich hohe Geländer aufgestützt. Gegen den Nordwind schützte sie der Aufbau des Kompasshauses mit den anstossenden Staatskabinen.

      Mit dem ihr vertrauten Rhythmus der Schiffsschraube, dem Gurgeln und Poltern der See und dem Rauschen in ihrem Ohr, das so klang, als spräche jemand in eine Muschel, vermischten sich die Stimmen der Herren drüben. Die der beiden Seeleute hatten den behaglichen, leicht ans bremische Platt erinnernden Beiklang. Die der beiden Gäste waren grundverschieden: die eine, etwas nasal, mit einem Anflug von englischer Trübung der Vokale, die andere sehr klangvoll und frisch, dabei warm und herzlich. Sie stellte sich unwillkürlich vor, dass ihr Besitzer — von dem sie in der Dunkelheit nur die Umrisse sah — ein offenes Bajuvaren- oder Rheinländergesicht mit blondem Haar und freundlichen Augen haben müsste. Unbedingt besass er Humor.

      So gab er gerade eine höchst drollige Schilderung des Arabervolks. Sie widersprach durchaus den Darstellungen, die Jutta bisher von den Vergnügungsreisenden gehört hatte.

      „Man muss sich eben nur vorstellen: sie sind Kinder geblieben“, sagte er lebhaft. „Sie haben alle Untugenden unerzogener Kinder — aber auch alle Vorzüge. Ich möchte meine arabischen Arbeiter um keinen Preis mit europäischen vertauschen. Trotz ihrer fast märchenhaften Faulheit. Diese Naivität, diese Liebenswürdigkeit und Geschäftigkeit — und ihre putzige Art, Ehrgeiz zu betätigen. Nein, ich komme mit meinen Eingeborenen vorzüglich aus.“

      „Die Reisenden versündigen sich viel an ihnen“, sagte der Kapitän in seiner etwas bedächtigen Art, „wenigstens in den grösseren Städten, in den Häfen. Die Korruption kommt von Europa.“

      „Nicht die Korruption. Aber bedenken Sie: die Bibel, der Schnaps und der Assessor — für ein Naturvolk ist das zu viel Kultur auf einmal.“

      Die Herren lachten, und das Gespräch ging weiter. Jutta verstand nicht alles, hatte auch nicht die Absicht zuzuhören, obwohl sie’s fesselte. Noch mehrmals gab’s ein gemütliches Lachen von allen vier Herren.

      „Verleben Sie den Sommer denn auch dort?“ fragte jetzt der Kapitän drüben.

      „Juli und August am Libanon, sonst das ganze Jahr in Bedracheïn bei Kairo. Unweit vom alten Memphis.“

      Der Libanon — Memphis. Was das für Klänge waren! Sie hatte sich nun auch mit beiden Ellbogen auf das Geländer aufgestützt und atmete tief die Luft ein. Dabei beugte sie sich unauffällig ein wenig vor, um ihn zu sehen.

      „Wenn er doch nur weitererzählen wollte!“ sagte sie zu sich.

      Auch drüben schien der Wunsch zu bestehen. Sie hörte den Kapitän in gemütlichem Ton etwas sagen, worauf die andern Herren wieder lachten. Und der „Ägypter“ fuhr zu plaudern fort.

      „Gut, meine Herren. Ich sagte Ihnen schon, ich habe da einen arabischen Diener, den kleinen Achmed. Ein kluger Bursche. Treu wie ein Hund — gegen mich demütig, ohne dabei zu kriechen, und im Grunde doch von einem brennenden Ehrgeiz und Stolz. Und wollen Sie mir’s glauben: mit seinen feinen Bemerkungen — er radebrecht ein bisschen Deutsch und Englisch — beschämt der kleine ‚Wilde‘ oft manchen Kultureuropäer.“

      „Die Geschichte aus Bremen, erinnern Sie sich noch?“ warf der Erste Offizier ein. „Die müssen Sie sich auch mal erzählen lassen, Herr Kapitän.“

      „Eine Moritat von Achmed?“

      „So was Ähnliches. Wir hatten ihn an Land mitgenommen, und im Hotel — es war da eine grössere Herrengesellschaft in ziemlich vorgerückter Stimmung — umzingelt ihn plötzlich eine Kette von befrackten Gentlemen, die einen Tanz rund um ihn herum ausführen, ihm die Zunge zeigen und in eine Art Kriegsgeschrei ausbrechen. Es sollte ein Scherz sein. Aber mein Achmed blieb sehr ernst. Und als ich dazukam und ihn befreite, fragte er mich ganz traurig: ‚Oh, Sir, warum glauben diese Gentlemen, dass ich schlecht bin? Weil ich dunkel bin? Achmed dunkle Haut, aber weisses Herz.‘“

      Sie lachten.

      „Und bei den verehrten Landsleuten“, sagte der Kapitän, „war’s eben umgekehrt.“

      Jutta empfand sofort Zuneigung für Achmed — und auch für seinen Herrn.

      Der rauchte ein paar Züge, dann fuhr er in munterem Tone fort: „Als wir unsere Gastfreunde auf Rhodos verliessen — es waren da zwei ganz allerliebste Mädels von sieben und neun Jahren im Haus — da bat er mich um Vorschuss, der Boy. Anderthalb Pfund. ‚Hallo, Achmed, was soll’s damit?‘ frag ich. Denn das ist doch ein Vermögen für den Burschen — ich gab ihm monatlich achtzehn Schilling. Er druckst und schämt sich. Aber endlich kommt’s ’raus. In der Hauptstrasse hat er zwei Puppen gesehen, wunderschöne, blonde Puppen, die zusammen anderthalb Pfund kosten, und die will er zum Abschied den beiden kleinen Misses schenken. Das gefiel mir. ‚Zahl du ein halbes Pfund — hier, den Rest will ich beisteuern‘, sag ich. — ‚O no, Sir‘, wehrte er ängstlich. — ‚Was, Boy, du willst nicht annehmen?‘ — ‚Oh, Sir, es muss mir machen Arbeit, selbst zu verdienen — sonst es nicht Freude für mich, den Misses zu schenken‘, sagte Achmed, der kleine Wilde.“

      Am liebsten wäre Jutta jetzt hinübergegangen, um dem Fremden zu sagen, dass sie die ganze Geschichte von Achmed allerliebst fände.

      „Warum haben Sie den Boy diesmal nicht mit an Bord gebracht?“ fragte der Kapitän.

      „Der Klimawechsel bekommt ihm nicht. Er hütet nun meine Wirtschaft in Bedracheïn. Da ist er Koch und Mädchen für alles, Sekretär, Groom und Reitknecht. Jedenfalls: verlassen kann ich mich bombenfest auf den schwarzköpfigen kleinen Boy.“

      Bedracheïn — den Namen kannte sie aus dem Baedeker. Das war die Bahnstation am Nil für die Pyramiden von Sakkarah.

      „Sie leiten dort die Zuckerfabrik?“ fragte der Kapitän.

      „Stimmt. Das Dorf selbst ist aber nicht weiter sehenswert. — Lediglich Achmed.“

      In diesem Augenblick zündete sein Nachbar mit einem Sturmstreichholz seine kurze englische Holzpfeife an. Beim Aufflackern der prasselnden kleinen Flamme glitt der helle Schein über die Gesichter der Versammlung.

      Und Jutta durchfuhr ein jäher Schreck.

      Der „Ägypter“, den sie sich als blonden, jovialen Landsmann vorgestellt hatte, war brünett, er hatte ein glattrasiertes Gesicht mit sehr energischem Schnitt und grossen, klugen, hellgrauen Augen: es war Fritz von Succo — der von ihrem Gatten verleugnete Vetter.

      Es bedurfte nun für sie einer inneren Umformung. Was man ihr von seiner brutalen Tat gesagt hatte, das wollte mit dem Eindruck, den sie von ihm gewonnen hatte, nicht recht zusammenstimmen.

      Dennoch war von ihrem Gatten schon so viel Korpsgeist auf sie übergegangen, dass sie merkte: ihre Zuneigung für Achmeds Herrn und Gebieter geriet rasch wieder ins Sinken, ins Schwinden.

      Und ihr nächster Entschluss war der: sie wollte möglichst unbemerkt die Kommandobrücke verlassen.

      Die Herren sprachen so angeregt, dass keiner nach ihr hinsah, als sie sich der Treppe zuwandte.

      Aber noch auf der untersten Stufe zögerte sie und lauschte zurück. Es lag nahe, dass der Kapitän nun ein Wort über sie sagte. Und dann musste die doppelte Vertretung des Namens an Bord zwischen ihnen doch zur Sprache kommen. Man würde ihn nach Verwandtschaft oder sonstigen Beziehungen fragen — so wie vorhin ihren Mann. Was er dann wohl erwiderte?

      „Jutta?“ klang’s fragend aus dem Halbdunkel vor ihr. Ihr Mann stand an der Tür zum Kabinengang; er hielt die Klinke schon in der Hand. „Das erste Signal. Man muss sich schleunigst umziehen. Wo hast du denn gesteckt?“

      „Ich? — Oh, bloss da oben, auf der Kommandobrücke.“

      Sie wusste selbst nicht, weshalb sie ihm nicht sofort etwas über die Begegnung mit seinem Vetter sagte. Schwieg sie aus Schonung für ihren Mann? Um das leidige Gespräch, das ihm nun fast den ganzen Tag schon verdorben

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