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Die Rose Feuerzauber. Paul Oskar Höcker
Читать онлайн.Название Die Rose Feuerzauber
Год выпуска 0
isbn 9788711445617
Автор произведения Paul Oskar Höcker
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Julius Bottschau nannte das Pfeifen unweiblich. Doch sooft er das ohrfällige Ankunftssignal hörte, huschte ein Lächeln über sein braunes Gesicht. Nicht weil er sich je am Kampf um Richard Wagner beteiligt hätte — in der Königlichen Oper war er ja überhaupt noch nie gewesen —, sondern weil er sich über Fränze und ihr keckes Zwanzigjahrschnäuzchen freute. So lange hatte er hier allein gesessen, auch abends immer. Seit dem Tode seiner Frau hatte es für ihn nur Arbeit gegeben. Mit Berlin besass Treptow kaum Verbindung. Ja, durch eine Pferdebahn, aber die klingelte nur jede Stunde einmal durch die entsetzlich langen Vorstadtstrassen. Solange Fränze in Charlottenburg wohnte, als sie die neue Gartenbauschule für Frauen besuchte, hatte sie immer nur auf ein paar Sonntagsstunden hier herauskommen können. Dann war sie in Trier und Köln und Hamburg in modernen Blumengeschäften in Stellung gewesen. Von dem grossen Leben dort draussen wusste sie nun Wunderdinge zu erzählen, über die man eigentlich staunen konnte. Aber Julius Bottschau liess sich so leicht nicht verblüffen. Theoretisch wusste er über viel mehr Bescheid als über Dinge aus dem Grossstadtleben. Er war eine unersättliche Leseratte. Und seine Rosenzucht stellte ihn stets vor fremde Wunder und Rätsel, die ihm doch noch wichtiger schienen als etwa das neuerfundene Telephon, die Quasselstrippe, an der man auf dem Postamt in der dunklen Zelle hören konnte, was Müller und Schulze am andern Ende von Berlin sagten. Er war ja froh, wenn er das gar nicht erfuhr ...
Fränze erstattete Bericht über die Arbeiten, die heute am Baumschulenweg in den Rosenplantagen erledigt worden waren. „Peter versteht die Sache, ist ordentlich und fleissig, auch wenn man ihm nicht auf die Finger guckt. Aber den Edu musst du dir mal wieder vorbinden. Mit dem schaff’ ich’s alleine nicht.“
„Ist er frech geworden?“
„Dann ging’s noch eher. Dem wär’ ich gewachsen. Das Unglück ist grösser: Er ist erstens dumm und zweitens verliebt.“
„Etwa in dich?“
„Dann hätt’ ich doch nicht an seiner Intelligenz gezweifelt. Wie? So viel Eva steckt doch auch wieder in mir. Obwohl ich Klugheit und Verliebtheit noch selten vereint gesehen hab’.“
Sie lachten beide. Julius Bottschau erhob sich mit einem leisen Ächzen und tat ein paar Schritte am Stock durch das kleine Treibhaus. „Sobald ich wieder humpeln kann, komm’ ich anmarschiert. Taugt er nischt, dann fliegt er achtkantig zum Tempel ’raus.“ Er wies durchs Fenster nach der dicken Wolke, die über dem Berliner Südosten und seinen Fabrikschornsteinen lag. „Es muss Regen kommen, das merk’ ich im Knie. Im Herbst wird’s ein Vierteljahrhundert, dass sie mir die Franzosenkugel herausgeschnitten haben, und noch jedesmal, wenn das Wetter umschlägt — — Olle Kamellen!“ unterbrach er sich. Er folgte Fränze in die kleine Küche, in der sie flink die von der Aufwartefrau getroffenen Vorbereitungen für die Abendmahlzeit besichtigte, Teewasser aufsetzte und Brot schnitt. „Aber weisst du, Mädel, so vor dem Siebziger Krieg damals, da hat deine Mutter, die Helma, ebenso hochnäsig wie du jetzt über die Verliebtheit geschwatzt. Und nach dem Truppeneinzug? Hat sie richtig ihren strammen Vizewachtmeister Daus geheiratet.“
„Ei, der Daus!“ Fränze winkte ihm überlegen mit dem Brotmesser ab. „Ja, du, so hast du gerufen, als Mutter mit ihm ankam. Die Geschichte kenn’ ich nun schon. Kann mir aber nicht passieren. Keine Angst!“
„Vizewachtmeister? Nee. Dafür hast du viel zuwenig Subordination in den Knochen.“
„Stimmt. Väterliches Erbe. Wie?“
Er setzte sich an den Abendbrottisch. „Von deinem Vater hast du sogar eine ganze Menge mit. Nee, im Ernst, Mädel. Nicht nur die hellen Augen, die mausgrauen. Er war ein Durchgänger und Draufgänger, aber man konnte ihn riesig gut leiden. Wär’ deine Mutter nicht so früh gestorben, wer weiss —“
„Jetzt kommt die Sache mit der Wirtschafterin — ich ahne Schreckliches, Onkelchen. Weswegen mich Tante Elfriede aus der Westender Rennbahn herausgeholt hat. Wie Vater dann nach Ostpreussen gezogen ist als Bereiter. Wie er gestürzt und gestorben ist. Und wie Tante Elfriede durchaus ’ne Lehrerin hat aus mir machen wollen.“ Sie bediente ihn geschickt, denn sie war mit ihren Händen ebenso flink wie mit ihren Gedanken, ihrer Rede. Er merkte kaum, dass sie ihn davon abbrachte, ihr wieder einmal zu schildern, was sie so ungern hörte. „Ja, ja, ja, die strenge Tante Elfriede. Wär’s nach ihr gegangen, armer Onkel Julius, dann hättest du ja auch aufs Lehrerseminar gemusst. Und bist doch gottlob immer so ein miserabler Schüler gewesen.“
„Hier übertreibst du wieder wesentlich, du kleine Kröte!“
„In einer schwachen Stunde hast du’s mir einmal verraten. Vorige Weihnacht. Wo du mir vorgeheuchelt hast, du brauchtest kein Wasser in den Grog, weil so eine starke Erkältung in dir steckte.“
„Ist sie hernach etwa ausgebrochen, die Erkältung? Bewahre!“
„Nur ein mächtiger Katzenjammer.“
„Was für einen grauenvollen Rum hattest du aber auch in den Grog getan, Fränze! Mit Fleiss. Ganz wie die Elfriede immer bei meinem alten Herrn.“
„Onkel Julius, ich schwöre dir ewige Fehde, wenn du mich noch ein einziges Mal mit Tante Elfriede vergleichst! Erstens war sie zehn Jahre älter als du, für eine Schwester schon schlimm genug, und zweitens hast du sie nie ausstehn können. Oder hast du etwa? Gestehen Sie, Angeklagter!“ Sie stützte Messer und Gabel neben ihrem Teller auf und sah ihn funkelnd an.
„Wenn dich bloss die Ilse jetzt noch erlebt hätte, Mädel! Als meine Frau starb, warst du fünfzehn. Schreckliches Gestell warst du damals eigentlich. Fahrig, mager — wusstest nicht, wohin mit Armen und Beinen. Und was du deiner armen Tante Ilse beim Abwaschen alles zertöppert hast! Losmäulig warst du dabei auch noch. Und hieltest du den Mund, du kleiner Rabanter, dann hast du einen angeguckt ... Ja, genau so frech wie eben! Warte, das müsstest du bloss im Spiegel sehn!“
Sie lehnte sich zurück und lachte. „Gar nicht nötig! Ach, Onkel Julius, viel Schelte haben wir gekriegt. Aber es war doch sehr gut, dass wir Tante Ilse hatten. Ja, und Tante Elfriede vielleicht auch. Ruhig, Onkelchen, jawohl, ich nenn’ sie in einem Atem. Bei Tante Elfriede haben wir doch beide Hochdeutsch gelernt —“
„Ich habe noch für jedes ‚ick‘ und jedes ‚det‘ von ihr ’ne Backpfeife bezogen.“
„Siehste! Und Tante Ilse hat dir den Grog abgewöhnt und mich zu einem so mustergültigen Hausfrauenersatz ausgebildet.“
„Unvollkommen, liebes Kind. Denn heute trink’ ich bombensicher ein Glas. Der mustergültige Hausfrauenersatz wird sich doch nicht etwa damit herausreden wollen, dass kein Rum in der Küche ist?“
„Bewahre, Onkelchen. Ich hab’ nämlich heute mittag gesehn, wie du die Rumflasche in deinem Kleiderspind versteckt hast.“
„Spionage treibst du also auch noch? Zur Strafe trinkst du heute mit, Fränze!“
‚So leben wir, so leben wir!‘ pfiff sie, während sie abräumte und den Grog vorbereitete.
Behaglich sah er ihr zu und rauchte. Er hatte sich die kurze englische Pfeife angewöhnt, die sie ihm aus Hamburg mitgebracht. Als sie sich dann mit ihren Näharbeiten an den Tisch setzte, zog er die Zeichnungen und Preislisten aus der Schublade, die ihm von der Firma Heinrich Nidders & Co. ins Haus gebracht worden waren. Seine verstorbene Frau Ilse war eine geborene Nidders gewesen, hatte aber keiner der in Berlin ansässigen Familien dieses Namens angehört, aus der ein paar führende Industriefirmen hervorgegangen waren. Die Bauglaserei von Heinrich Nidders & Co., die Treibhäuser, Wintergärten und Frühbeete herstellte, hatte ihren Fabrikbetrieb noch immer im Südosten Berlins, in der Schlesischen Strasse; das Hauptgeschäft war nach der Innenstadt verlegt worden. Der Vertreter, der heute hier gewesen war, hatte ganz besondere Sorgfalt für den Auftrag zugesichert, als er — zufällig — hörte, dass Bottschaus Frau einer Familie Nidders entstammte.
„Zufällig, hm.“ Es war unwiderstehlich, wie Fränze so ein halb der Verlegenheit entstammendes Wort wiederholen konnte.
Onkel