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Abstand, soweit ihn seine Arme nur erlaubten, hatte Herr Pendel mit einer Hand am Euter gestrippt, mit der andern das Töpfchen darunter gehalten, stets bereit zur Flucht. So hat er eigentlich den ganzen Tag über gemolken, nun ein achtel Liter und jetzt ein viertel Liter, und der streitsüchtigen Erikuh hatte er damit bestimmt ebensoviel Vergnügen gemacht wie dem Hellapferdchen mit seinen Bergfelder Ausfahrten.

      Aber für einen gelernten Landwirt wie den Schreiber dieser Zeilen waren das natürlich untragbare Zustände. Meine Kuh wurde dreimal am Tage gemolken, wie sich das gehörte. Wir wollten uns doch nicht lächerlich machen! Wir waren neu zugezogen am Ort, und das ganze Dorf amüsierte sich über den Stadtmenschen, der mit seiner Kuh nicht fertig wurde! Ich ließ bekanntmachen, daß, wer meine Kuh melken könne und wolle, einer fürstlichen Belohnung teilhaftig werden solle.

      Und sie erschienen, die Melkfrauen aus dem Dorf. Triumphierend, mit dem Eimer klappernd, ein Lächeln aus Überlegenheit und Mitleid auf den Lippen, so verschwanden sie im Stall. Spätestens fünf Minuten später tauchten sie wieder auf, die Stirne schweißnaß, das Haar in Zotteln hängend, das Kopftuch verrutscht. Hinter ihnen drein klang das triumphierende Brüllen der Erikuh! Die Zornigen empfahlen mir, dieses Mistvieh mit einer Axt aus der Welt zu schaffen, die Sanften schworen darauf, das Aas sei verhext!

      Oh, was haben wir mit der Erikuh herumexerziert! Es fand sich ein mutiger Mann, ich setze seinen vollen Namen hierher, er hieß Wilhelm Schmidt, er war schon bejahrt und von Beruf Landarbeiter. Jeden Tag dreimal bestand er den Kampf mit der Erikuh. Er kam aus diesem Kampf schweißtriefend, oft mit zerrissener Weste, mit blutender Hand. Ach, was hat ihm die Erikuh alles versetzt. Aber er hielt durch, er melkte sie dreimal am Tage, wie es sich gehörte! Ein wahrer Held!

      Um ihm seine schwere Arbeit zu erleichtern, ersannen wir ein listiges System aus Seilen: um jedes Hinterbein der Erikuh wurde eine Seilschlinge gelegt, am Ende von jedem Seil stand ein Mann. Wollte Erikuh ausschlagen, riß der Mann am Seil dagegen, und Erikuh bekam das Bein nicht hoch. Aber sie war listiger, zog später jemand am Seil, so schmiß sie sich hin – und welches Theater, sie wieder hochzukriegen! Zudem ist das Melken einer Kuh mit drei Männern etwas kostspielig.

      Aber schließlich kriegten wir sie doch! Wir zogen ihr einen Ring durch die Nase, wie man es bei Bullen tut, und in der Wand vor ihr, ziemlich hoch über ihrem Kopfe, wurde ein zweiter Ring eingemauert. Vor dem Melken nun wurde die Kuh an diesen Ring in der Wand mit dem Nasenring eingehängt, und zwar so, daß sie den Kopf sehr hoch halten mußte. Wollte sie nun ausschlagen, so tat es einen Riß in der Nase, der ihr wehtat, und sie ließ das Ausschlagen.

      Natürlich versuchte sie nach kurzem, das Anhängen an den Wandring zu vereiteln, aber da kriegten wir sie jedesmal. Schwierig und anstrengend blieb das Melken immer. Nachdem wir Sieger geblieben waren, hatten wir deswegen beschlossen, sie dem Fleischer zu verkaufen, wenn sie sich nicht besserte. Wir hofften auf die demnächstige Geburt, auf die milderen Gefühle der Mutter. Aber war sie vor der Geburt eine Teufelin gewesen, so war sie nach ihr des Teufels Großmutter selbst – wir molken sie ein wenig ab, und dann bekam sie der Fleischer. Wir haben Pendels Erikuh keine Träne nachgeweint.

      Ich habe es schon früher gesagt: man hat glückliche Zeiten im Stall und unglückliche. Eigentlich kann man wenig dazu tun. Es folgten ruhige Jahre, in denen der Kuhstall kein Problem war, in denen ein nie versiegender Strom Milch sich ins Haus ergoß, Tag für Tag, als könnte es gar nicht anders sein. Es folgte jene treffliche Kuh, die ein freundlicher Landwirt mich aus den sechzig Kühen seines Musterbestandes aussuchen ließ, und ein guter Engel ließ mich seine beste finden. Nach Jahren mußten wir uns von ihr trennen, weil sie sich weigerte, wieder Mutter zu werden. Sie blieb namenlos, all unsere Kühe hießen von da an nur Olsch. An dem Namen Erikuh hatten wir genug.

      Der einen Olsch folgte eine andere Olsch, die noch besser war. Wieder war das Glück mit uns gewesen. Tief in der Forst, in einem Waldarbeiterhaus, das Saugarten hieß, begegneten wir einem wahren Ungetüm von Kuh, die frischmelkend zum Verkauf stand. Selten habe ich eine so häßliche Kuh gesehen. Sie war ein wahrer Kleiderständer: überall aus ihrem Leib standen Knochen hervor, an denen man mit Bequemlichkeit Mantel und Hut aufhängen konnte. Aber eine Ahnung sagte mir: Kauf diese Kuh! Du wirst es nicht bereuen!

      Ich kaufte diese Kuh, und ich bereute es nicht. Zwar, sie fraß so viel, wie sonst keine zwei Kühe fressen – und das war auch der Grund, warum der Waldarbeiter sie verkauft hatte: diese Kuh fraß einen kleinen Mann arm! Aber dafür gab sie auch Milch, frischmelkend gab sie fast vierzig Liter am Tag, und sie fraß alles, was ihr vors Maul kam, sie war nicht wählerisch. Dabei blieb sie immer knochig und scheußlich anzusehen! Aber welche Milchfülle, und wie leicht kalbtest du!

      Ja, mit dem Kalben habe ich immer Glück gehabt, nicht nur bei diesem Knochensack, sondern bei allen meinen Kühen. Von jenen Jugendtagen an im Thüringer Rittergutsstall hatte ich Geschick für die Geburtshilfe beim Vieh. Meine Kühe und ich, wir machten die Geburten stets untereinander ab, nie brauchten wir einen Tierarzt oder andere Hilfe.

      Aber wie bei allen Dingen meines Lebens mischte sich ein Tropfen Wermut in jedes Glück. Nur Glück habe ich nie gehabt, immer war irgendein Haken dabei. Ja, bei meinen Kühen gingen die Geburten stets glatt, aber wie erging es mir dabei –?

      »Junge«, sagte Suse zu mir, »die Olsch muß nun bald kalben. Bitte, paß ein bißchen mit deinen Sachen auf, zieh in den nächsten Tagen nicht grade deinen besten Anzug an!«

      »Natürlich nicht«, antwortete ich. »Ich pass' schon auf, diesmal soll sie mich nicht drankriegen!«

      Und immer kriegten sie mich dran, meine Olschen! Sie vertrödelten ihre Geburt ganz unbegreiflich, oder sie beeilten sich viel zu sehr. Im Hause saß mir irgendein feudaler Besuch, dem zu Ehren ich mich festlich gewandet hatte. Eine Ahnung trieb mich in den Stall – und da schauten mich schon die wachsgelben Klauen des Kälbleins aus dem Leibe der Kuhmutter an. Sanft, Hilfe erheischend, muhte die Olsch.

      Da gab es kein Zögern, da war keine Zeit zum Umziehen mehr, da hieß es zugegriffen und los! Erst wenn ich das Kalb, säuberlich mit Schrot bestreut, der Olschen zum Trockenlecken unter die Nase gelegt hatte, besann ich mich wieder auf meinen Anzug. ›Knep und Schet‹ sagen sie auf Rügen. ›Schietig‹ sagen sie bei uns im Dorf. »Als wenn ich es mir nicht gedacht hätte!« sprach meine Geduldige. »Ich werde den Anzug erst einmal waschen und dann zum Reinigen schicken. So kann ich ihn nicht aus dem Hause geben. Aber das muß dir klar sein, ein neuer Anzug wird dies nie wieder!«

      »Na ja!« antwortete ich ein wenig verlegen. »Dafür ist mit dem Kalb aber alles prima gegangen.«

      »Es könnte ja mit den Kälbern auch einmal prima gehen«, wurde nun gesagt, »ohne daß du deinen besten Maßanzug einsaust!« –

      Als ich vor nun achtzehn Stunden mit der Niederschrift dieses Abschnitts begann, sagte ich, daß meine Stube widerhallte vom Gebrüll der hungernden und dürstenden Olsch. Hat der Leser meine dem Sauerfutter abgeneigte Kuh vergessen? Ich nicht eine Stunde lang! Alle diese Zeit hat sie meine Ohren mit ihrem Gebrüll angefüllt, mahnend, schmerzlich.

      Nun ist es still geworden. Hat sie etwa nachgegeben und Saures gefressen? Oder habe ich nachgegeben und ihr andere Speise vorgelegt?

      Ehe ich weiter berichte, wie nach den langen glücklichen Jahren mit Wahlkuh und Knochensack das Unheil mit immer schwärzerem Gewölk über meinem Kuhstall aufzog, will ich kurz erzählen, was wir in diesen achtzehn Stunden vorgenommen haben, warum die Olsch plötzlich ruhig geworden ist.

      Auf den Rat eines erfahrenen Mannes salzten wir das Sauerfutter und boten es ihr in dieser Form. Sie hob die Nase und brüllte.

      Auf den Rat eines anderen erfahrenen Mannes stellten wir eine Mischung aus Heu, Stroh und Sauerfutter her, ließen diese Mischung die Nacht durch stehen und boten sie dann der Kuh an: sie hob die Nase und brüllte.

      Über Nacht war mir selbst noch etwas eingefallen: wir haben einen Mann im Dorf, einen echten Hiob, den alle Plagen der Landwirtschaft heimsuchen. Nie hat dieser Mann genug Futter für sein Vieh. Seine Kühe, die wie schulpflichtige Kälber aussehen, werden nie satt. Jetzt, zum Ausgang des Winters, da es noch nichts Grünes gibt, hungern sie meistens.

      Zu diesem Mann bin ich heute

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