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      »Nein, das hab ich noch nie gehört«, antwortete der Propst. Zugleich aber stand er von seinem Stuhl auf und legte das Kirchenbuch und einen kleinen hölzernen Abendmahlskelch bereit, den er bei seinen Krankenbesuchen im Kirchspiel mitzunehmen pflegte.

      »Er ist es auch gewesen, der meine Mutter ins Wasser gejagt hat«.

      »Das war allerdings das Schlimmste von allem«, sagte der Propst. »Und lebt dieser Starke Bengt noch? Hast du ihn gesehen?«

      »Nein, ich habe ihn nicht gesehen«, antwortete das Kind, »aber gewiss lebt er. Seinetwegen haben wir in den Wald und in die Einöde hinaufziehen müssen. Dort haben wir seither Ruhe vor ihm gehabt, bis zur vergangenen Woche; da hat Vater sich in den Fuß gehackt.«

      »Und du meinst also, auch daran wäre der Starke Bengt schuld?«, fragte der Propst mit der ruhigsten Stimme, während er zugleich die Tür öffnete und seinem Knecht zurief, er solle das Pferd satteln.

      »Vater sagte, der Starke Bengt müsse die Axt verhext haben, sonst hätte er sich sicher nicht in den Fuß gehackt. Es war auch gar keine gefährliche Wunde; aber heute sagte der Vater, jetzt sei der kalte Brand in den Fuß gekommen. Er sagte, nun müsse er sterben, denn der Starke Bengt habe ihm jetzt den Garaus gemacht, und deshalb schickte er mich hierher in die Propstei, um den Herrn Propst zu bitten, er möchte selbst kommen, sobald es ihm nur möglich wäre.«

      »Und ich werde auch kommen«, sagte der Propst. Er hatte, während er mit dem Mädchen sprach, den Reitermantel angezogen und den Hut aufgesetzt. »Ich kann aber durchaus nicht verstehen, warum dieser Starke Bengt deinem Vater so viel Böses antun sollte. Bård muss ihm wohl einmal etwas zuleid getan haben.«

      »Ja, das leugnet Vater auch gar nicht«, erwiderte das Kind. »Aber er hat weder mir noch meinem Bruder je gesagt, worum es sich eigentlich handelt. Und ich glaube, das ist es, worüber er jetzt mit dem ehrwürdigen Herrn Propst reden will.«

      »Ja, wenn es so ist«, sagte der Propst, »dann können wir nicht rasch genug zu ihm kommen.« Er hatte jetzt die Reithandschuhe angezogen und verließ mit dem Mädchen das Zimmer, um sich aufs Pferd zu setzen.

      Während des ganzen Rittes zu der Alm hinauf sprach der Propst kaum ein Wort. Er dachte nur immerfort über das Merkwürdige nach, das ihm dieses Kind erzählt hatte. Er selbst war in seinem Leben nur mit einem Manne zusammengetroffen, den die Leute den Starken Bengt nannten. Aber es konnte ja sein, dass das Mädchen gar nicht von ihm, sondern von einem ganz andern Menschen gesprochen hatte.

      Als er die Alm erreicht hatte, kam ihm ein junger Bursche entgegen. Es war Ingilbert, Bård Bårdssons Sohn. Er war ein paar Jahre älter als seine Schwester, hoch gewachsen wie sie und ihr auch in den Gesichtszügen ähnlich; aber er hatte tieferliegende Augen und sah nicht so freimütig und gutmütig aus wie sie.

      »Das war eine weite Reise für den Herrn Propst«, sagte er, während er diesem vom Pferd half.

      »O ja«, entgegnete der alte Mann, »aber es ist rascher gegangen, als ich gedacht hatte.«

      »Eigentlich hätte ich den Herrn Propst holen sollen«, sagte Ingilbert, »ich bin aber noch spät am Abend beim Fischen draußen gewesen. Erst als ich vor Kurzem heimkam, erfuhr ich, dass in Vaters Fuß der Brand ausgebrochen ist und dass er nach dem Herrn Propst geschickt hat.«

      »Märta hat ihre Sache so gut wie ein Mann gemacht«, sagte der Propst. »Alles ist gutgegangen. Aber wie steht es nun mit eurem Vater?«

      »Er ist recht elend, aber bei klarem Bewusstsein, und er freute sich, als ich ihm sagte, dass der Herr Propst schon am Waldrand zu sehen sei.«

      Der Propst ging nun zu Bård hinein, und die Geschwister setzten sich auf zwei breite Steinblöcke vor der Hütte und warteten. Sie fühlten sich feierlich gestimmt und redeten von ihrem Vater, der nun sterben würde. Sie sagten, er habe sich immer nur als gütiger Vater gezeigt. Aber glücklich sei er seit dem Tage, an dem der Mellomhof abbrannte, nie mehr gewesen, und so sei es wohl am besten, wenn er nun aus diesem Leben scheiden dürfe.

      Da sagte die Schwester auf einmal, der Vater müsse doch etwas gehabt haben, was sein Gewissen schwer belaste.

      »Er!«, rief der Bruder. »Was sollte ihn denn bedrückt haben? Hat er denn gesagt, es sei da etwas, worüber er mit dem Propst vor seinem Tode noch reden wollte? Ich dachte, er hätte ihn nur rufen lassen, um das heilige Abendmahl zu empfangen.«

      »Als er mich heute Morgen fortschickte, sagte er, ich solle den Propst bitten, zu ihm zu kommen. Der Herr Propst sei der einzige Mensch auf dieser Welt, dem er seine große und schwere Sünde anvertrauen könnte.«

      Ingilbert überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »Das klingt ja sehr sonderbar. Ich möchte wissen, ob es nicht etwas sein kann, was er sich hier in der Einsamkeit eingebildet hat. Es ist gewiss damit, wie mit all dem andern, das er von dem Starken Bengt zu erzählen pflegt. Ich halte das alles nur für Einbildungen.«

      »Gerade über den Starken Bengt wollte er mit dem Propst sprechen«, warf das Mädchen ein.

      »Dann kannst du Gift darauf nehmen, dass alles miteinander Grillen sind«, erwiderte Ingilbert.

      Damit stand er auf und trat an eine kleine Luke in der Wand der Almhütte, die offen stand, damit etwas Licht in die fensterlose Wohnstätte eindringe. Das Bett des Kranken stand ganz nah dabei, und so konnte Ingilbert alles, was der Vater sagte, verstehen; und der Sohn lauschte den Worten des Vaters ohne die geringsten Gewissensbisse. Vielleicht hatte er nicht einmal gehört, dass es unrecht sei, eine Beichte mit anzuhören. Jedenfalls hätte der Vater keine gefährlichen Geheimnisse zu enthüllen, davon war er fest überzeugt.

      Nachdem Ingilbert eine Weile an der Luke gestanden hatte, ging er wieder zu seiner Schwester hin.

      »Was habe ich gesagt?«, begann er. »Der Vater erzählt gerade dem Propst, er und Mutter hätten dem alten General Löwensköld den Königsring gestohlen.«

      »Ach, Gott erbarme sich!«, rief die Schwester. »Sollen wir dem Propst nicht sagen, dass das eine Lüge ist und nur etwas, was er sich andichtet?«

      »Jetzt können wir nichts tun«, versetzte Ingilbert. »Jetzt muss man ihn reden lassen, was er will. Wir können ja nachher mit dem Propst sprechen.«

      Danach schlich er wieder an die Luke hin, um zu horchen. Und es dauerte lange, bis er aufs Neue zu der Schwester trat. »Jetzt sagt er, in derselben Nacht, da er und Mutter drunten in dem Grabe gewesen seien und den Ring gestohlen hätten, sei der Mellomhof abgebrannt. Und er glaubt, der General sei es gewesen, der das Haus angezündet hat.«

      »Ach, das ist nur so eine Grille, das merkt man gleich«, sagte die Schwester. »Uns hat er ja gewiss Hunderte von Malen gesagt, der Starke Bengt habe den Mellomhof angezündet.«

      Ingilbert stand schon wieder an seinem Horchposten, ehe sie ausgesprochen hatte. Er blieb lange dort stehen und horchte, und als er dann wieder zu der Schwester trat, war er beinahe aschgrau im Gesicht.

      »Er sagt, der General sei es, der ihm all das Unglück geschickt habe, um ihn zu zwingen, den Ring zurückzugeben. Er sagt, Mutter habe Angst bekommen und gewollt, dass sie nach Hedeby gehen und dem Rittmeister den Ring zurückgeben sollten. Vater hätte ihr auch nur zu gern gehorcht, aber er habe es nicht gewagt, weil er meinte, sie würden dann alle beide gehängt werden, wenn sie mit dem Bekenntnis herausgerückt wären, dass sie einen Diebstahl an einem Toten verübt hatten. Und dann habe es Mutter nicht mehr aushalten können, und so sei sie hingegangen und habe sich ertränkt.«

      Jetzt wurde auch die Schwester vor Entsetzen aschgrau im Gesicht.

      »Aber«, sagte sie, »Vater hat doch immer gesagt, es sei …«

      »Ja, gewiss, gerade jetzt hat er dem Propst erklärt, er habe es nie gewagt mit irgendeinem Menschen darüber zu sprechen, wer es gewesen wäre, der all das Unglück über ihn verhängt hätte. Nur zu uns Kindern, die nichts davon verstünden, habe er gesagt, es verfolge ihn einer, der der Starke Bengt genannt werde. Er sagte, die Bauersleute hätten den General Starken

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