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Über Sozialismus. John Stuart Mill
Читать онлайн.Название Über Sozialismus
Год выпуска 0
isbn 9783863935344
Автор произведения John Stuart Mill
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Es ist eines der merkwürdigsten Zeichen der Zeit, dass man solch einer Lehre in einer öffentlichen Zeitschrift, dem Organ einer Arbeiterverbindung (dem in Neuchâtel erscheinenden Blatt La Solidarité) begegnen kann. Von den Führern der englischen Arbeiter – deren Delegierte auf den Kongressen von Genf und Basel zu dem Quantum von gesundem Menschenverstand, welches daselbst anzutreffen war, weitaus die stärkste Beisteuer geliefert haben – steht es nicht zu erwarten, dass sie vorsätzlich mit der Anarchie beginnen werden, ohne sich eine Meinung darüber gebildet zu haben, welche neue Form der Gesellschaft an die Stelle der alten treten solle. Aber es ist klar, dass wir alle ihre etwaigen Vorschläge nur dann richtig würdigen und die Gründe unseres Urteils nur dann in einer für die Masse des Volkes überzeugenden Weise darlegen können, wenn wir zuvor die beiden gegnerischen Theorien – die des Sozialismus und die des Privateigentums – durchmustert haben, da wir einer von beiden notwendigerweise die Mehrzahl der Prämissen für unsere Untersuchung entnehmen müssen. Bevor wir daher mit Nutzen daran gehen können, diese Reihe von Fragen im Einzelnen zu erörtern, wird es rätlich sein, die allgemeineren Fragen, welche der Sozialismus aufwirft, von Grund auf zu prüfen. Bei dieser Prüfung sollten wir uns von jedem feindseligen Vorurteil fernhalten. Denn als so unwiderleglich auch die Argumente zu Gunsten der Gesetze des Privateigentums denen gelten mögen, in deren Augen sie den doppelten Zauber besitzen, welchen das unvordenkliche Herkommen und das persönliche Interesse verleiht, so ist doch nichts natürlicher, als dass sie einem Arbeiter, welcher über politische Dinge nachzudenken begonnen hat, in ganz anderem Lichte erscheinen. Nachdem die vom Glück minder begünstigten Klassen von „volljährigen Männern“ nach harten Kämpfen in einigen Ländern vollständig, in anderen nahezu die Grenze erreicht haben, über welche hinaus, wenigstens für sie, kein weiterer Fortschritt in Bezug auf rein politische Rechte möglich ist, sollten sie sich da nicht die Frage stellen, ob denn damit aller Fortschritt zu Ende sein müsse? Trotz alledem, was für die Ausdehnung freiheitlicher Rechte bisher geschehen ist und voraussichtlich noch geschehen wird, gibt es doch eine kleine Minderzahl, die zu großem Reichtum geboren ist, während die Mehrzahl zu einer Dürftigkeit bestimmt ist, die durch den Kontrast nur noch verschärft wird. Die große Mehrheit der Menschen ist zwar nicht mehr aufgrund der Gesetze geknechtet oder in einem Zustand von Abhängigkeit gehalten, wohl aber aufgrund ihrer Armut: sie sind immer noch an einen Ort, an eine Beschäftigung und an den beherrschenden Willen eines Arbeitgebers gekettet; und der Zufall der Geburt schließt sie sowohl von den Genüssen als von den intellektuellen und moralischen Vorteilen aus, welche andere ohne eigene Anstrengung und unabhängig von jedem Verdienste ererben. Mit Recht halten dies die Armen für ein Übel, kaum geringer als irgendeines, mit welchem die Menschheit bisher gerungen hat. Ist es ein notwendiges Übel? Dafür geben es diejenigen aus, welche es nicht fühlen, welche in der Lotterie des Lebens die großen Preise gewonnen haben. Aber auch die Sklaverei, der Despotismus, alle Vorrechte der Oligarchie wurden für notwendig erklärt. Alle die stufenweisen Errungenschaften der ärmeren Klassen, welche dieselben teils den edleren Gefühlen der Machthaber, teils ihrer Furcht verdanken, und zum Teil mit Geld erkauft oder als Gegenleistung für die Unterstützung erlangt haben, welche sie einem Teil der Mächtigen in seinen Streitigkeiten mit einem anderen gewährten, hatten von vornherein die stärksten Vorurteile gegen sich; aber ihre Erlangung war ein Zeichen der Erstarkung der unteren Klassen, mithin ein Mittel weiteren Machterwerbes; sie verschaffte diesen Klassen daher einen gewissen Anteil an dem Ansehen, das die Macht genießt, und rief eine entsprechende Wandlung in dem Urteil der Gesellschaft hervor. Alle Rechte, deren Erwerbung ihnen geglückt war, wurden nun als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachtet; derjenigen hingegen, die sie noch nicht erlangt hatten, galten sie immer noch als unwürdig. Daher haben die Klassen, welche das herrschende soziale System in eine untergeordnete Stellung versetzt, wenig Grund, irgendeinem der Sätze Glauben zu schenken, welche dieses selbige System als Prinzipien ausgestellt haben mag. Wenn man in Betracht zieht, wie wunderbar geschmeidig sich die Meinungen der Menschen erwiesen haben, wie sie immer darauf abzielten, das Bestehende zu heiligen und das noch nicht Bestehende entweder für gemeingefährlich oder für unausführbar zu erklären, da darf man wohl die Frage aufwerfen, welche Gewähr denn jene Klassen dafür besitzen, dass es mit der Unterscheidung zwischen Arm und Reich eine andere Bewandtnis habe, dass dieselbe auf einer zwingenderen Notwendigkeit beruhe als jene anderen altherkömmlichen Tatsachen, welche jetzt, da sie beseitigt sind, selbst von jenen verurteilt werden, welche ehemals aus ihnen Nutzen zogen. Die bloße Versicherung einer beteiligten Partei kann die Frage nicht entscheiden. Die arbeitenden Klassen haben das Recht zu verlangen, dass das ganze Gebiet der sozialen Einrichtungen von neuem geprüft und jede Frage so erwogen werde, als ob sie jetzt zum ersten Male aufgeworfen würde, wobei man nie vergessen darf, dass es nicht jene zu überzeugen gilt, welche ihr Lebensbehagen und ihr Ansehen dem gegenwärtigen Systeme verdanken, sondern jene, welche ohne jedes Sonderinteresse nur von dem Streben nach voller Gerechtigkeit und nach Förderung des Gesamtwohls beseelt sind. Es sollte das Ziel der Untersuchung sein, festzustellen, welcherlei Verfügungen in Bezug auf das Eigentum ein vorurteilsfreier, zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden völlig unparteiisch in der Mitte stehender Gesetzgeber treffen würde, dieselben nur mit solchen Gründen zu verteidigen und zu rechtfertigen, welche für einen derartigen Gesetzgeber wirklich bestimmend wären, und nicht mit solchen, die den Eindruck machen, dass sie zu Gunsten des bereits Bestehenden zusammengesucht sind. Alle Rechte oder Privilegien