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besser als ich.«

      »Für welche Rolle?«

      »Für die eines unschuldigen Mädchens, das noch nicht ganz siebzehn ist.«

      »Aber ich bin ein Jahr älter als du.«

      »Na gut, aber so siehst du bestimmt nicht aus.« Christine lachte kurz auf und fügte dann hinzu: »Eines weiß ich gewiß, außer dem Drachen würde dich niemand als Lehrerin anstellen, und sie würde dich ausnützen.«

      Nina seufzte.

      »Das habe ich mir auch schon gesagt.«

      »Also, wenn du mich fragst«, meinte Christine, »siehst du wie etwa vierzehn aus. Ich bin sicher, daß dies dem niederträchtigen Marquis gefallen wird.«

      »Aber er würde mir nicht glauben. Vielleicht hat er schon einmal ein Foto oder ein Gemälde von dir gesehen.«

      Christine lachte.

      »Die einzigen Fotos, die je von mir gemacht worden sind, entstanden zu Hause. Ich sehe darauf aus, als ob ich aus der Waschküche käme, weil sie unscharf sind. Und gemalt worden bin ich noch nie.«

      »Aber meine Kleider sind nicht so elegant wie deine«, sagte Nina mit schwacher Stimme.

      »Das ist ein wirklicher Grund«, gab Christine zu. »Deine Kleider sind sehr hübsch, aber ein Mann, der sich in der weiblichen Garderobe so gut auskennt wie der Marquis, würde merken, daß sie nicht teuer sind.« Sie schwieg kurz und rief dann: »Ich habe eine Idee. Erinnerst du dich an die Kleider, die mir zu klein geworden sind und die auch viel zu jung wirkten, wie ich jedenfalls dachte?«

      »Ich glaube, ich erinnere mich.«

      »Nun, letztes Jahr habe ich mir in den Sommer- und in den Weihnachtsferien eine vollständig neue Garderobe gekauft«, berichtete Christine. »Hannah hat alle meine alten Sachen in einen Koffer getan. Wir hätten sie zu Ostern mit nach Hause genommen, aber in der Kutsche war kein Platz mehr. So ließ ich sie hier. Soviel ich weiß, sind sie noch auf dem Speicher.«

      Ninas Augen leuchteten interessiert auf, denn die reiche Christine trug immer die geschmackvollsten und teuersten Sachen, die den Neid aller Mitschülerinnen erregten.

      Als Christines Mutter noch am Leben war, ging sie mit ihr in die besten Geschäfte der Bond Street. Ihre Stiefmutter beschwerte sich später über eine so unnötige Extravaganz. Aber Christine fuhr fort, ihre Kleider in den alten Geschäften in Auftrag zu geben.

      Nicht alle Mädchen, die Mrs. Fontwells Pensionat besuchten, kamen aus reichen Familien. Aber es herrschte ein reger Wettbewerb unter ihnen. Ein Teil der Älteren versuchte, mit Christine im Hinblick auf ihre äußere Erscheinung zu konkurrieren. Aber sie hatte eine erstklassige Figur und einen sicheren Geschmack. In ihren Bond-Street-Kleidern blieb sie die unübertroffene Königin der Schule.

      Christine stand vom Bett auf.

      »Ich gehe jetzt zu Hannah und sage ihr, sie soll die Diener anweisen, den Koffer herunterzubringen«, erklärte sie. »Wäre ich nicht so egoistisch gewesen, hätte ich vielleicht schon damals daran gedacht, dir die Kleider zu geben.«

      »Ich war mit meinen eigenen Sachen vollkommen zufrieden«, erwiderte Nina. »Vielleicht passen mir deine auch gar nicht.«

      »Doch, doch, sie passen«, meinte Christine. »Im letzten Jahr bin ich ein ganzes Stück gewachsen, aber du hast anscheinend noch dieselbe Größe.« Plötzlich legte sie ihre Arme um Nina. »Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Liebste«, sagte sie, »jemand wie Harry. Ich verspreche dir, daß ich, wenn du nach unserer Heirat zu uns kommst, einen charmanten und liebenswerten Ehemann für dich suchen werde.«

      »Im Augenblick kommt es nur darauf an, daß du glücklich wirst, Christine, und frei leben kannst. Ich möchte nicht heiraten. Vermutlich bekäme ich Angst, es sei denn, ich wäre sehr verliebt.«

      »Wenn du verliebt bist, hast du keine Angst, sondern findest alles wunderbar«, erwiderte Christine. Sie ging zur Tür und sagte: »Pack deine Sachen zusammen! Ich spreche inzwischen mit dem Drachen und informiere ihn, daß ich dich mitnehmen will. Du kannst sicher sein, daß Mrs. Fontwell ihren Entschluß, die unglückliche Smith zu entlassen, rückgängig machen wird. Sie braucht jemand, den sie quälen kann.«

      Die Tür schloß sich hinter Christine. Nina fröstelte. Sie war sich bewußt, daß auch sie gequält würde, wenn sie an die Stelle von Miss Smith treten würde. Welche Demütigung zu wissen, daß einen die Mitschülerinnen bedauerten, weil man nicht mehr zu ihnen gehörte, sondern nur noch eine Angestellte war, die herumkommandiert und beschimpft wurde, wie es Mrs. Fontwell gerade gefiel! Alles war besser als das, dachte Nina. Dann bekam sie Angst. Ob sie sich überzeugend als Christine ausgeben konnte? Wie sollte sie es schaffen, bei dem Marquis von Ventnor zu wohnen, ohne gleich zu Beginn entlarvt zu werden? Aber auch wenn er das Täuschungsmanöver nicht bemerkte, war sie in einer unangenehmen Lage. Sie fragte sich, ob ein Mann wirklich so kaltblütig sein konnte, eine Frau zu heiraten, weil sie zu jung und zu dumm war, um sein Benehmen gegenüber anderen Frauen richtig einzuschätzen. Und war Lady Lydford tatsächlich so unmoralisch und intrigant, wie Christine ihr versicherte? Nina wußte, daß Christine oft übertrieb - bei geliebten wie bei ungeliebten Personen. Ihr gegenüber war sie allerdings immer ehrlich gewesen. Sie sah keinen Grund, warum sie die Geschichte erfunden haben sollte.

      Nina machte sich auch Sorgen wegen Christines Plan, durchzubrennen und ohne die Erlaubnis ihres Vaters zu heiraten. Aber Lord Lydford war ganz anders als ihr Vater. Bei dem Gedanken, daß sie ihn nie wiedersehen würde, füllten sich Ninas Augen mit Tränen. Als ersten bedeutenden Mann in ihrem Leben hatte sie ihn geradezu vergöttert. Seltsamerweise hatte sie gefühlt, daß sie ihn verlor, als er seine Reise ins Ausland antrat. Von da an weinte sie nachts, bis sie einschlief, denn sie ahnte, daß er nicht zurückkehren werde.

      »Papa, Papa«, schluchzte sie, »verlaß mich nicht! Komm zurück!«

      Da sie wußte, daß er sie nicht hören konnte, schickte sie inbrünstige Gebete zum Himmel, daß ihn nichts daran hindere, nach Hause zurückzukehren. Aber ihre Gebete waren nicht erhört worden, ihr Vater war gestorben, wie schon die Mutter.

      Der einzige nahe Verwandte war nun Onkel Osbert, den sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Er hatte ihren Vater immer geringschätzig behandelt, weil er nicht zum Militär gegangen war. Aber er wollte niemanden töten. Nina wußte, daß die seltsame Macht, die ihr Vater über Tiere hatte, von seiner Güte kam. Hunde und Pferde folgten ihm. Einmal zähmte er sogar einen Otter. Er wurde zutraulich und kam, wenn er sie rief. Aber sein Spezialgebiet waren die Vögel. Er erklärte Nina deren Gewohnheiten, und sie war begeistert, wenn er ihr Geschichten von Arten erzählte, die fast schon ausgestorben waren und die man nur noch in weitentfernten Gegenden antraf.

      Jetzt wünschte sie sich - wie schon tausendmal zuvor -, daß sie ihn begleitet hätte. Vielleicht hätte sie ihn retten können, als er krank war. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, wenn sie daran dachte, wie er litt, während seine einheimischen Diener nicht wußten, wie sie ihm helfen sollten.

      »Papa, Papa!« flüsterte sie. »Ach, wenn ich dich doch um Rat fragen könnte!«

      Sie versuchte, sich vorzustellen, was er sagen würde, wenn sie ihm von Christines Plan erzählte. Bestimmt wäre er nicht damit einverstanden, daß sie in dieselbe Situation käme wie Miss Smith. Denn Mrs. Fontwell war zu der jungen Lehrerin grausam, und ihr Vater verabscheute Grausamkeit. Er vertrat die Ansicht, einen Menschen in seinen Gefühlen zu verletzen sei genauso schlimm, wie ihm eine körperliche Wunde beizubringen.

      Während Nina ihre Tränen abtrocknete, dachte sie, daß ihr Vater, wenn er jetzt neben ihr säße, wahrscheinlich zu ihr sagen würde, sie müsse dieses Problem allein lösen, aber verstandesmäßig und nicht emotional.

      Sie dachte eine Weile angestrengt nach, und plötzlich schien es ihr, als sähe sie ihren Vater, wie er wißbegierig an der Küste Afrikas entlangging und alles als ein Abenteuer betrachtete.

      »Ein Abenteuer, das ist es. Christines Plan ist für mich ein Abenteuer, das ich bestehen muß«, sagte sich Nina entschlossen.

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