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Die Dame mit der bemalten Hand. Christine Wunnicke
Читать онлайн.Название Die Dame mit der bemalten Hand
Год выпуска 0
isbn 9783946334835
Автор произведения Christine Wunnicke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das Schiff dümpelte zwischen Panvel-Hafen und der Insel Gharapuri, die den Blick nach Manbai verdeckte. Der Schiffer lamentierte ein wenig, dann legte er sich in den spärlichen Schatten des Segels zum Schlafen. Seine Burschen schliefen schon längst.
»Großmächtiger Ruderschlag im präzisen Jetzt!«, schrie Meister Musa. Er versuchte seinem Sanskrit einen marathischen Tonfall zu geben, doch der Schiffer verstand ihn nicht. Musa trommelte mit den Fingern auf der Reling. Das Dümpeln des Schiffes schlug sich ihm auf den Magen. »Hör auf zu zappeln!«, schrie er Malik an. Malik begann vor Schreck zu zappeln.
Und plötzlich war es Musa zufrieden. Wem nützte die Eile, all die sinnlose Eile? Ein Leben lang, so schien es ihm, war er ständig gerannt, zeternd und zankend, von Kunde zu Kunde, von Geschäft zu Geschäft, zum alten Fürsten und zum jungen Fürsten, auf betriebsamen Wegen zwischen Mauerquadrant und Azimut-Yantra, während Mond und Sonne ungerührt durch den Tierkreis rückten, immer nur gerannt und gerannt.
Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel. Dann schaute er nach Gharapuri hinüber. Die Insel war borstig und grau, von Gestrüpp überwuchert, dazwischen ein paar Sauerdattel- und Mangobäume. Palmen, deren nutzloseste Sorte, streckten lange, triste Wurzeln ins Meer. Kein Haus, kein Mensch war zu sehen. Ein Affe kreischte, ein zwitscherndes, helles Kreischen, viel zu laut, viel zu lang, viel zu wichtig in der dunstigen Stille. Niemand rannte auf Gharapuri umher. Niemand, so schien es, hatte dort etwas zu schaffen. Leer und grau schwamm ein wenig Land im Meer zwischen Panvel und Manbai. In seiner neuen philosophischen Stimmung fand Musa das liebenswert.
Er wollte anlegen und warten, bis Wind kam, oder bis die Gezeiten wechselten. Er wollte den Strand mit freundlicher Ruhe betrachten, vielleicht ein paar Steine nach Affen werfen, er wollte Schatten suchen und essen, was in Maliks Essenskorb übrig war, und danach mit zufriedenem Magen auf dem Festland ein wenig schlafen. »Gott ist mit dem Geduldigen«, sagte Musa zu Malik, und auf Sanskrit zum Schiffer: »Die Scholle befahren mit geschwindem Gang«, was der Schiffer sofort verstand.
Das Boot hatte kaum Tiefgang. Einer der Burschen stakte mit einer Stange und sie glitten fast auf den Strand.
Das meiste im Essenskorb war verdorben. Meister Musa musste sich mit ein wenig Rettich in Essig begnügen. Auch das Bewerfen der Affen befriedigte nicht. Sie waren wendiger als die Affen von Jaipur. »Wind?«, fragte Musa den Schiffer. Der Schiffer zeigte auf die Sonne und dann, mit trauriger Miene, nach Westen. »Abend? Abend? Abend?«, fragte Musa in mehreren Sprachen. Seine Stimme wurde schon wieder lauter. Der Schiffer legte die Hände zusammen und verneigte sich. Malik starrte entgeistert die Affen an, als habe er noch nie Affen gesehen. Eine Ziege erschien. Sie blickte sich um und verschwand wieder im Gestrüpp. Malik gaffte ihr hinterher, als habe Gott soeben die Ziegen geschaffen, nur um ihn zu erstaunen. Er löste eine Muschelschale aus dem Sand, hob sie dicht an die Augen, roch daran und befingerte sie versonnen. Und da schrie schon wieder ein Affe. Und da kam schon wieder die Ziege mit ihrem blöden Ziegengesicht. Und Musas Geduld war am Ende.
Er steckte Wasser, Augenglas und den letzten Sirupkuchen ein, nahm seinen Stock und stand auf. Es musste hier etwas geben, das besser war als dieser Strand. Ein Haus mit Menschen darin. Einen Ziegenhirten zur Ziege. Eine portugiesische Kirche. Einen Piratenschatz. Zumindest eine Aussicht. Gharapuri wölbte sich wie ein Schildkrötenpanzer, in der Mitte leicht eingekerbt. Dort oben, wenn man hinaufstieg, wäre man wenigstens oben und könnte hinunterblicken. Man könnte über die Lagune blicken. Das wäre vielleicht unterhaltsam. Eine Art Weg teilte vom Strand her das graue Gestrüpp. Dorthin brach er auf mit schnellem Schritt, den entgeisterten Malik auf den Fersen. Er wollte ihn nicht auf den Fersen haben. »Bleib beim Schiff«, herrschte er ihn an, »pass auf, dass es nicht wegfährt!« Er duldete keine Widerrede. Und bald waren Maliks Gejammer und das Gekreisch der Affen in der Ferne verhallt.
Der Weg wurde schmäler und schmäler und zunehmend unsichtbar. Meister Musa wollte keinen besseren suchen. Er wollte bergauf durchs Dickicht. Mit seinem Stock, einem schön geschnitzten Handstock aus Birkenholz, schlug er ins Gestrüpp. Es wuchs nicht nur aus der Erde, es verflocht und verfilzte sich auch von Baum zu Baum. Er schimpfte vor sich hin. Für den Kundenbesuch in Panvel hatte er seine besten Stiefel angezogen und nun verdarb er sie sich. Das Gestrüpp krallte sich in seinen Mantel. Ein schlaffes Gewächs, das von einem Baum herabhing, wickelte sich ihm feucht um den Turban. Auch hier hatte es wohl geregnet, gegen die Astronomie. Etwas Kleines, Klebriges heftete sich an seine Hand. Dabei war es sehr still. Es war so still im Gestrüpp der Insel Gharapuri, dass er sich unwohl zu fühlen begann.
Musa al-Lahuri, der den größten Teil seines Lebens in Jaipur zugebracht hatte, einer ordentlichen und äußerst modernen Stadt, hörte auf zu schimpfen und trat etwas leiser auf. Er wusste nicht, was diese Wälder bewohnte. Menschen schienen es nicht zu sein. Vielleicht schlief nahebei ein Tiger. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Der Astronom aus Jaipur hatte keine Ahnung, was im Wildwuchs der Inseln vor Manbai möglicherweise alles schlief. Seinen Birkenholzstock trug er nun vorsichtig vor sich her. Die Langeweile machte Besorgnis Platz. Besorgnis verwandelte sich allmählich in Spannung. Er erinnerte sich an all die Geschichten, welche die Inder über Gestrüppe und Wälder erzählten. Sie gingen selten gut aus, zumindest nicht nach Musas Verständnis. Was die Inder unter Gutem und Schlechtem verstanden, war unpräzise und rätselhaft. Inder, die in den Wald gingen, um dort auf indische Art ihre Sünden zu büßen, verwandelten sich in Dämonen. Darauf kamen all ihre Götter hervor und verwandelten sich in Dämonen und Menschen. Sie verwandelten sich auch in sich gegenseitig, in schwindelerregender Weise. Niemand kehrte aus Wäldern und Gestrüppen zurück, wie er dort hineingegangen war, in den Geschichten der Inder.
Der Schweiß lief al-Lahuri in die Augen, über die Wangen und in den Bart. Bis vor kurzem hatte er den Schnauzbart der Jungen getragen. Jetzt trug er den Vollbart der Alten. Er ärgerte sich, dass er schwitzte, nur weil es ein wenig bergauf ging.
Hinter zwei Mangobäumen kam eine erbärmliche Hütte zum Vorschein. Dahinter duckten sich zwei, drei weitere Hütten. Sie waren mit dem Erdreich verwachsen, als hätte dieses sie ausgebrütet und sie seien erst halb geschlüpft. Keine Menschenseele war zu erblicken. Er hielt sich rechts, umrundete die verlassene oder schlafende Siedlung und stieg weiter den Berg hinauf.
Das Gestrüpp wurde dichter und dichter. Sehnsuchtsvoll dachte er an den langen Basar von Jaipur. Sechs Elefanten, so hatte der Fürst bei der Planung bestimmt, mussten nebeneinander darauf einhergehen können, ohne sich zu berühren. Auch hatte er rechte Winkel für alle Straßen verfügt und krumme Kurven verboten. Die ganze Welt, dachte al-Lahuri, sollte den Vorschriften des alten Fürsten von Jaipur gehorchen. Da fuhr er jäh zurück.
Der Kopf einer Ziege war plötzlich vor ihm aufgetaucht und glotzte ihn an. Er schien zwischen Blättern im Nichts zu hängen; erst allmählich kam die ganze Ziege zum Vorschein. Sie trat geradewegs aus dem Berg hervor. Eine zweite Ziege drängte ihr nach. Darunter rannte ein kleines Tier, zu schnell, um es bestimmen zu können, und schoss ins Gebüsch. Etwas flatterte, hoch oben, in spitzblättrigen Zweigen. Dann spuckte der Berg eine Schlange aus. Sie kringelte sich im Geäst, glitt zu Boden, richtete den Kopf auf und spreizte die Haube.
»Pest und Hundeaas!«, schrie Musa. Er hob den Stock und schlug zu und verfehlte und schlug ein zweites Mal zu und schlug in ein leeres Gestrüpp. Zweige brachen. Blätter flogen. Die Schlange war fort. Die Ziegen waren ebenfalls fort. Der Berg hatte alles wieder eingesaugt, was er zuvor ausgespien hatte. Vorsichtig näherte er sich dem schwarzen Loch, das halb verborgen hinter Blättern und Astwerk in der Flanke der Insel klaffte.
Es ging dort sehr tief hinein: ein Höhlengang, mit altem Gemäuer befestigt. Er war schwarz wie die Nacht, doch in der Ferne wurde es wieder hell. Etwas trabte und etwas knisterte und etwas quiekte und alles war voller Vogeldreck. Meister Musa steckte Kopf und Stock neugierig tief in den Stollen, doch seine Beine wollten nicht mit. Er klopfte mit dem Stock ans Gemäuer. Es klang hohl. Er lächelte über seine eigene Feigheit. Dann ging er hinein.
Der Gang war feucht und erdig. Er tastete mit dem Stock wie ein Blinder. Allerlei Gestrüpp wuchs auch hier, oder es war totes Gestrüpp, das Tiere hereingezerrt hatten. Knatternd flog etwas auf, ein Vogel, eine Fledermaus, dann war es wieder still wie das Grab. Es wurde kühler, wärmer, kühler. Die Helligkeit