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hast. Und was nun deine Praxis betrifft, so müßte ich doch wirklich schwachköpfig sein, wenn ich einen Herrn, der nach Jodoform riecht, auf dessen rechtem Zeigefinger ein schwarzer Fleck von Höllenstein prangt, während die Erhöhung seiner linken Brusttasche deutlich das Versteck seines Stethoskops verrät, nicht auf der Stelle für einen praktischen Arzt halten würde.«

      Ich mußte lachen, mit welcher Leichtigkeit er diese Folgerungen entwickelte. »Wenn ich deine logischen Schlüsse anhöre, erscheint mir die Sache lächerlich einfach, und ich glaube es ebensogut zu können«, bemerkte ich. »Und doch überrascht mich jeder Beweis deines Scharfsinnes aufs neue, bis du mir den ganzen Vorgang erklärt hast. Nichtsdestoweniger sehe ich genau so gut wie du.«

      »Sehr richtig«, entgegnete er, steckte sich eine Zigarette an und warf sich in den Lehnstuhl. »Du siehst wohl, aber du beobachtest nicht. Der Unterschied ist ganz klar. Du hast z. B. häufig die Stufen gesehen, die vom Flur in dies Zimmer hinaufführen.«

      »Sehr häufig.«

      »Wie oft?«

      »Nun sicher einige hundertmal.«

      »Dann wirst du mir wohl auch sagen können, wieviel es sind?«

      »Wieviel? Nein, davon hab' ich keine Ahnung.«

      »Siehst du wohl, du hast zwar gesehen, aber nicht beobachtet. Das meine ich ja eben. Ich weiß ganz genau, daß die Treppe siebzehn Stufen hat, weil ich nicht nur gesehen, sondern auch beobachtet habe. – A propos, da ich dein Interesse für meine kleinen Kriminalfälle kenne, – du hattest sogar die Güte, eine oder zwei meiner geringen Erfahrungen aufzuzeichnen, – wird dich vermutlich auch dies interessieren.« Er reichte mir einen Bogen dicken, rosenfarbenen Briefpapiers, der geöffnet auf dem Tisch lag. »Dies Schreiben kam mit der letzten Post an, bitte lies vor.«

      Der Brief, der weder Datum noch Unterschrift und Adresse trug, lautete: »Ein Herr, der Sie in einer sehr bedeutungsvollen Angelegenheit zu sprechen wünscht, wird Sie heute abend um dreiviertel acht aufsuchen. Die Dienste, die Sie unlängst einem regierenden europäischen Hause erwiesen, geben den Beweis, daß man Ihnen Dinge von allerhöchster Wichtigkeit anvertrauen kann. Dies Urteil wurde uns von allen Seiten bestätigt. Bitte also zur bezeichneten Zeit zu Hause zu sein und es nicht falsch zu deuten, wenn Ihr Besucher eine Maske trägt.«

      »Dahinter steckt ein Geheimnis«, bemerkte ich. »Kannst du dir das erklären?«

      »Bis jetzt habe ich noch keine Anhaltspunkte. Es ist aber ein Hauptfehler, ohne dieselben Vermutungen aufzustellen. Unmerklich kommt man so der Theorie zuliebe zum Konstruieren von Tatsachen, statt es umgekehrt zu machen. Doch was schließt du aus dem Brief selbst?«

      Ich prüfte sorgfältig Schrift und Papier.

      »Der Schreiber lebt augenscheinlich in guten Verhältnissen«, meinte ich, bemüht, das Verfahren meines Freundes so getreu als möglich zu kopieren. »Das Papier ist sicher kostspielig, es ist ganz besonders stark und steif.«

      »Ganz richtig bemerkt«, sagte Holmes. »Auf keinen Fall ist es englisches Fabrikat. Halte es mal gegen das Licht.«

      Ich tat es und sah links als Wasserzeichen ein großes E. und C. und auf der rechten Seite ein fremdartig aussehendes Wappen in das Papier gestempelt. »Nun, was schließt du daraus?« fragte Holmes.

      »Links ist der Namenszug des Fabrikanten.«

      »Gut, aber rechts?«

      »Ein Wappen als Fabrikzeichen, ich kenne es jedenfalls nicht«, antwortete ich.

      »Dank meiner heraldischen Liebhaberei, kann ich es dir verraten«, sagte Holmes. »Es ist das Wappen des Fürstentums O.«

      »Dann ist der Fabrikant vielleicht Hoflieferant«, meinte ich.

      »So ist's. Doch der Schreiber dieses Briefes ist ein Deutscher. Fiel dir nicht der eigentümliche Satzbau auf? ›This account of you we have from all quarters received.‹ Ein Franzose oder Russe kann das nicht geschrieben haben, nur der Deutsche ist so unhöflich gegen seine Verben. Ha, ha, mein Junge, was sagst du dazu?«

      Seine Augen funkelten, und aus seiner Zigarette blies er große, blaue Triumphwolken.

      »Nun müssen wir noch herausfinden, was dieser Deutsche wünscht, der auf diesem fremdartigen Papier schreibt und es vorzieht, sich unter der Maske vorzustellen. Wenn ich nicht irre, kommt er jetzt selbst, um den Schleier des Geheimnisses zu lüften.«

      Der scharfe Ton von Pferdehufen und das knirschende Geräusch von Rädern ließ sich hören, dann wurde draußen sehr stark geläutet. Holmes pfiff. »Das klingt ja, als wären es zwei Pferde«, sagte er. Er blickte aus dem Fenster. »Ja«, fuhr er fort, »ein hübscher Brougham und ein Paar Prachtgäule, jeder mindestens seine hundertundfünfzig Guineen wert. Na, Watson, wenn auch sonst nichts an der Sache ist, jedenfalls ist da Geld zu holen.«

      »Ich glaube, es ist wohl besser, ich gehe jetzt.«

      »Auf keinen Fall, Doktor, du bleibst, wo du bist; was sollte ich wohl ohne dich anfangen? Außerdem verspricht die Geschichte interessant zu werden, und warum willst du dir das entgehen lassen?«

      »Aber dein Klient?«

      »Darüber mach' dir keine Skrupel. Vielleicht brauchen wir beide wirklich deine Hilfe. Er kommt jetzt. Setz' dich ruhig in den Lehnstuhl und paß auf.«

      Ein langsamer, schwerer Tritt, den man auf der Treppe und dem Gang gehört hatte, hielt plötzlich vor der Tür an. Gleich darauf wurde laut und energisch geklopft.

      »Herein!« sagte Holmes.

      Ein Mann trat ins Zimmer, dessen Größe wohl sechs Fuß sechs Zoll betragen mochte, er hatte die Brust und die Glieder eines Herkules. Seine Kleidung war auffallend reich, aber kein feiner Engländer hätte sie für geschmackvoll gehalten. Breite Streifen von Astrachan schmückten die Ärmel und den Kragen seines doppelreihigen Rockes, der tiefblaue Mantel, den er über die Schultern geworfen hatte, war mit flammendroter Seide gefüttert und wurde am Halse durch einen funkelnden Beryll zusammengehalten. Seine Stiefel reichten bis zur halben Wade und waren oben mit reichem braunem Pelzwerk besetzt; sie vervollständigten den Eindruck fremdartiger Pracht, den seine ganze Erscheinung hervorbrachte. Er trug einen breitkrempigen Hut in der Hand; die schwarze Halbmaske, die den oberen Teil seines Gesichtes bedeckte, mußte wohl eben erst angelegt sein, denn seine Hand hielt sie noch beim Eintritt gefaßt. Die starke, etwas vorstehende Unterlippe und das lange, gerade Kinn sprachen von Entschlossenheit, wenn nicht Eigensinn.

      »Sie haben meinen Brief erhalten?« fragte er mit tiefer, rauher Stimme und ausgeprägt deutschem Akzent. »Ich habe Sie auf mein Erscheinen vorbereitet« – er blickte ungewiß von einem zum andern.

      »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Holmes. »Dies ist mein Freund und Kollege Dr. Watson, der die Güte hat, mir gelegentlich bei schwierigen Fällen zu helfen. Mit wem habe ich die Ehre?« »Nennen Sie mich Graf von Kramm – aus X. Ich nehme an, daß ich in Ihrem Freunde einen Mann von Ehre und Diskretion vor mir habe, dem ich eine Sache von höchster Wichtigkeit anvertrauen darf. Sonst würde ich es vorziehen, mit Ihnen allein zu verhandeln.«

      Ich erhob mich sofort, um das Zimmer zu verlassen, doch Holmes ergriff mich am Handgelenk und drückte mich auf meinen Sitz nieder. »Entweder beide oder keiner«, erklärte er fest. »Was Sie mir zu sagen haben, darf dieser Herr ebensogut anhören.«

      Der Graf zuckte seine breiten Schultern. »Dann muß ich Sie beide auf zwei Jahre zu absolutem Schweigen verpflichten. Später hat die Sache bis auf meinen Namen keine Bedeutung mehr. Es ist aber nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß augenblicklich die betreffende Angelegenheit imstande wäre, einen Einfluß auf die europäische Geschichte auszuüben.«

      »Ich verpflichte mich zu schweigen«, sagte Holmes.

      »Ich ebenfalls.«

      »Sie entschuldigen diese Maske«, fuhr unser seltsamer Besucher fort, »doch ist es der Wunsch der hohen Persönlichkeit, in deren Auftrag ich handle, daß sein Agent Ihnen unbekannt bleibe. Gleichzeitig muß ich bekennen, daß ich mich unter falschem

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