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      In Deutschland und Frankreich gibt es eine kleine Tradition, die als »inverse Ethnografie« beschrieben worden ist. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg haben Julius Lips, Hans Himmelheber, Michel Leiris, Jean Rouch, Fritz Kramer und Michael Harbsmeier und andere sich für die Frage interessiert, wie die Konfrontation mit fremder Fremderfahrung europäisches – und vor allem – koloniales Selbstverständnis erschüttern konnte. Sie kehrten die Perspektive um, vertauschten die kolonialen Positionen von Beobachter und Beobachteten und thematisierten in verschiedenen Medien, wie die Kolonisierten die Kolonisatoren, deren Lebensweise und Technologien zum Objekt ihrer eigenen Ethnografien machten. Diese Figur der Umkehrung, des inversen Blicks der Ethnografierten auf die Ethnografin und ihre Forschung, liegt auch diesem Bericht zugrunde und treibt ihn an. Welche Kategorien bemühten die Subjekte meiner Forschung, um mich und meine Arbeit zu bezeichnen? Welche Möglichkeiten der Eingliederung boten sie mir als einer zunächst Fremden an? Wann und unter welchen Bedingungen wurde ich als Person angenommen oder zurückgewiesen? Welche Grenzen setzten sie mir? Gab es Augenblicke, in denen sich ihre und meine Perspektiven trafen oder sogar zur Deckung kamen? Welches Wissen, welche Begriffe und Theorien schenkten sie mir? Welche Allianzen gingen wir ein, und welche Widerstände bildeten sich bei ihnen wie bei mir heraus? Konnten sie sich in meinen Texten wiedererkennen? Und wie ging ich mit den Namen um, die sie mir gaben? Affe, Närrin oder Clown, Hexe, Spionin, böser Geist und Kannibale – diese irritierenden Bezeichnungen, die mir während meiner Aufenthalte in Afrika gegeben wurden, verunsicherten, verwirrten und trafen mich. Welche Kraft und Dynamik gewannen diese Namen während der Forschung und im Schreiben darüber?

      Wie ich im weiteren Verlauf meiner ethnografischen Arbeit feststellte, hatten die Namen bereits eine lange Geschichte. Sie waren mehr oder weniger klassische Stereotype der Fremdheit, die in interkulturellen Begegnungen, beschrieben in Reiseberichten bereits aus dem 19. Jahrhundert (manchmal sogar weit früher), auftauchen und von den Beteiligten – Kolonisatoren und Kolonisierten – hin und her gespielt wurden. »Alterisierung« ist eine Praxis, die nicht nur (koloniale) Ethnologen betrieben haben, auch die Subjekte ihrer Forschung haben Fremde – Ethnologen eingeschlossen – »verandert«, sie als Kannibalen bezeichnet, als Fremdgeister in Ritualen der Besessenheit tanzen lassen, als Colon-Figuren auf Altäre gestellt oder mit Namen verspottet.

      Die Namen, die mir gegeben wurden, gewähren also Einblick in fremde Fremderfahrung und zeigen, wie die Subjekte meiner Forschung mich in ihren Kategorien in Besitz genommen haben. Gegen eigene Selbstwahrnehmung, Intentionen und Forschungspläne vervielfachten sie Versionen von mir, die ich mir nicht im Traum vorgestellt hätte. Vielleicht sind es aber gerade diese eher destabilisierenden Erfahrungen, die ein Verständnis des Differenten ermöglichen.5

      Ich präsentiere mich dem Leser also weniger als autonomes Subjekt und Beobachterin, sondern vielmehr als sehr genau beobachtetes Objekt in einem Feld von Zufällen, Unsicherheiten, Konflikten und höchst unterschiedlichen Machtverhältnissen. Dennoch bin ich es, die schreibt und beschreibt. Ich bin es, die sich als erinnerndes Subjekt in einer Beziehung der Differenz zu den vielen fremden Versionen meines Selbst befindet. Und ich bin es, die dem Genre der Reise– und Forschungsliteratur folgt – dieser »Schundliteratur«, wie Lévi-Strauss sie genannt hat –, ihre Konventionen manchmal aber auch bricht oder persifliert. Ich bin beides, Opfer und Akteurin in fremden Komödien und Dramen, und steige, als Affe oder Kannibalin, in immer niederere Genres hinab – ohne eine erhabene Umkehr am Ende.

      Tatsächlich geht es um mehr als Umkehrung. Denn die Namen, die mir gegeben wurden, brachten weniger das Andere der anderen zum Ausdruck – wie ich zumindest während meiner ersten Feldforschung annahm – als vielmehr die wechselseitigen Spiegelungen von Fremd- und Selbstbildern. In der langen Geschichte kolonialer Begegnungen und Konfrontationen sprang der Affe als Unruhestifter zwischen den verschiedenen Akteuren hin und her. Er war Beschimpfung und subversive Figur zugleich, eingelassen in eine Hierarchie von Alteritäten in einem kolonialen Mosaik von Anziehung und Abweisung. Als die Ältesten in den Tugenbergen mich »Affe« nannten, bezog sich diese Namensgebung eben nicht nur auf mein ungehobeltes, wildes und äffisches Benehmen, wie ich ursprünglich angenommen hatte, sondern war auch eine Replik auf die eigene koloniale Erniedrigung und Diskriminierung, die sie erlitten hatten. Offensichtlich stehen die Namen nicht mehr nur eindeutig in Relation zu dem, was wir »ihren eigenen kulturellen Kontext« nennen. Die scheinbar klare Trennung zwischen ihnen und uns und zwischen ihren und unseren Vorstellungen vom Anderen ist instabil geworden. Das eine ist mit dem anderen bereits verwoben. Die einfache Umkehrung der Perspektive, so wie ich sie am Anfang dieses Textes ins Spiel brachte, muss also vor dem Hintergrund einer langen Geschichte von Globalisierungs-, Austausch- und Aneignungsprozessen eher einer Vielfalt von miteinander verflochtenen Alteritäten Platz machen, die sich wie in einem Kaleidoskop brechen, spiegeln und umherwirbeln, aber nicht leicht zu isolieren sind und immer wieder neue Differenzen hervorbringen.6

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      Bronisław Malinowski, der Gründerheros der modernen Ethnologie, forderte von seinen Schülern einen mindestens zweijährigen Aufenthalt in der Fremde. Meine Forschungsaufenthalte in Ostafrika dauerten sehr viel länger; mit Unterbrechungen kehrte ich in einem Zeitraum von sieben bis acht Jahren immer wieder an denselben Ort zurück. Meist hielt ich mich nur zwei bis vier Monate am Stück in Afrika auf, weil ich Mann und Kind nicht zu lange alleinlassen wollte. Der Aufenthalt zu Hause erlaubte mir, Distanz zu gewinnen, zu lesen und nachzudenken, um mich dann mit neuen Fragen wieder nach Afrika zu begeben. Das Verschwinden und die wiederholte Rückkehr an den Ort der Forschung stellten sich als unerwartete Maßnahme der Vertrauensbildung heraus. Ich verschwand nicht auf Nimmerwiedersehen, sondern kam zurück; die Rückkehr war kein leeres Versprechen, denn ich brachte auch die Geschenke mit, die ich versprochen hatte. Was das Wiederkommen betraf, stellte ich mich als verlässlich heraus. Tatsächlich gab dieses Hin und Her zwischen Europa und Afrika meinem Leben einen festen Rhythmus der Zerrissenheit.

      Während die ethnografische Feldforschung auch als eine Art Besessenheit beschrieben werden kann – die fremde Kultur ergreift von mir Besitz und die Subjekt/Objekt-Relationen lösen sich teilweise auf –, so geht das Schreiben der Monografie zu Hause mit einem Rückgewinn der im Feld verlorenen Macht einher. Dieses Schreiben hat Michael Harbsmeier als »Heimkehrritual«7 bezeichnet, durch das die Heimgekehrte »gereinigt« wird und sich reintegriert. Während sich im Feld Ethnografin und Ethnografierte im Idealfall einander annähern und gemeinsam die zu ethnografierende Kultur erfinden8, vollzieht sich im Schreibprozess ein Exorzismus, der oft genug die Freunde und Gesprächspartner in der Fremde in den Hintergrund treten lässt. Stattdessen rücken die Kollegen, für die oder gegen die man schreibt, ins Zentrum. Im partiellen Ausblenden der Gesprächspartner im Feld behauptet sich die Ethnologin als Autorin; sie tritt wieder ganz und gar in den wissenschaftlichen Diskurs ein, den sie nie völlig verlassen hatte. Sie bleibt im Genre des Forschungsberichtes gefangen und damit im schriftlichen Diskurs mit seinen kolonialen und postkolonialen hierarchischen Ordnungen, auch noch oder gerade in der Umkehrung.

      Ich werde jedoch im Folgenden weniger über den Prozess des ethnografischen Schreibens als vielmehr über das Nachleben der ethnografischen Texte berichten. Sie zirkulierten nicht nur im akademischen Milieu, sondern kehrten auch – übersetzt – als Gegengabe zu den Ethnografierten zurück. Denn der Dialog und die Auseinandersetzung hören auch nach der Publikation einer Monografie nicht auf. Die Texte, die gefüllt sind mit dem Wissen der Ethnografierten, finden den Weg zu ihnen zurück; sie werden (hoffentlich) auch von ihnen gelesen, und dann können die Subjekte der Forschung, wenn sie wollen, Rache nehmen, Kritik üben, den Text umschreiben, ihn aufnehmen oder auch weiterschreiben.

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      Seit Langem erreichen wechselseitige Informationen und Wissen übereinander die Peripherien unserer Welt. Alle Regionen, in denen ich ethnografisch gearbeitet habe, waren bereits von anderen Ethnologen besucht und erforscht worden. In den Antworten meiner lokalen Gesprächspartner traf ich also nicht unbedingt nur auf vermeintlich authentisches Wissen, sondern manchmal auch auf die Spuren meiner Kollegen. Auf diese Weise sind Ethnologen und die Subjekte ihrer Forschung einander sowohl a priori vertraut und bekannt wie auch fremd. Ihre Geschichten und die der Ethnografierten sind lange schon eng miteinander verwoben und Transformationen

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