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Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx. Alfred Schmidt
Читать онлайн.Название Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx
Год выпуска 0
isbn 9783863935368
Автор произведения Alfred Schmidt
Жанр Документальная литература
Серия eva taschenbuch
Издательство Bookwire
Nicht genug damit, daß bei Hegel dunkel bleibt, inwiefern die Idee in ihrem Übergang in die Natur sich gleichsam entdialektisiert, inwiefern sie, das sie als absolute immer schon bei sich selbst ist, dazu kommt, sich zu einer Welt gegenständlichmateriellen Daseins zu entäußern, zu zerstreuen – die einmal von der Idee hervorgebrachte Natur hebt stufenweise alle naturhaften Bestimmtheiten auf, geht in den Geist als ihre höhere Wahrheit über. Nicht umsonst erinnert die Weise, in der Hegel diesen Übergang von der Natur zum Geist darstellt, an das gerade von Marx kritisierte stofflose Ende der in der »Phänomenologie« ausgetragenen Dialektik des Wissens und seines Gegenstandes auf der Stufe des absoluten Wissens: »Wir haben in der Einleitung zur Philosophie des Geistes bemerklich gemacht, wie die Natur selber ihre Äußerlichkeit und Vereinzelung, ihre Materialität als ein Unwahres, dem in ihr wohnenden Begriffe nicht Gemäßes aufhebt, und dadurch zur Immaterialität gelangend in den Geist übergeht.«15
Insofern die Natur fortschreitend ihre Äußerlichkeit ablegt und die Seele hervorbringt, glaubt Hegel, von ihr auf den immateriellen Charakter der Natur überhaupt schließen zu können: »Indem so alles Materielle durch den in der Natur wirkenden ansichseyenden Geist aufgehoben wird, und diese Aufhebung in der Substanz der Seele sich vollendet, tritt die Seele als die Idealität alles Materiellen, als alle Immaterialität hervor, so daß Alles, was Materie heißt, – so sehr es der Vorstellung Selbstständigkeit vorspiegelt, – als ein gegen den Geist Unselbstständiges erkannt wird.«16
Diesem naturphilosophischen Idealismus Hegels hält Feuerbach, wie gesagt, abstrakt-antithetisch seinen Naturalismus entgegen. Ist für ihn Hegels Philosophie eine Philosophie auf dem Standpunkt der Philosophie, so versteht sich Feuerbach selbst als einen Philosophen auf dem Standpunkt der Nichtphilosophie. Anstatt mit Philosophie zu beginnen, um wieder mit Philosophie zu endigen, will er mit Nichtphilosophie beginnen, um durch Philosophie hindurch zur Nichtphilosophie zurückzugelangen. In den »Vorläufigen Thesen« umreißt Feuerbach sein Programm einer »Negation aller Schulphilosophie«17 folgendermaßen: »Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel nur zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen ... Die Philosophie hat daher nicht mit sich, sondern mit ihrer Antithese, mit der Nichtphilosophie zu beginnen. Dieses vom Denken unterschiedene, unphilosophische, absolut antischolastische Wesen in uns ist das Prinzip des Sensualismus.«18
Die neue Philosophie beansprucht gegenüber den übrigen Wissenschaften keine Sonderrolle mehr, sondern hat gleich diesen die Natur zur Voraussetzung, ein Gedanke, der sich bei Marx, entsprechend abgewandelt, bis ins »Kapital« verfolgen läßt: »Alle Wissenschaften müssen sich auf die Natur gründen. Eine Lehre ist solange nur eine Hypothese, solange nicht ihre natürliche Basis gefunden ist.«19
Die Natur, ohne welche die Vernunft stofflos wäre, gründet in sich. »Sein ist aus sich und durch sich.«20 Natur ist causa sui. Feuerbach kritisiert vor allem die Hegelsche Ansicht, daß die Natur eine Entäußerung der absoluten Idee sei: »Die Hegelsche Lehre, daß die Natur, die Realität von der Idee gesetzt – ist nur der rationelle Ausdruck von der theologischen Lehre, daß die Natur von Gott, das materielle Wesen von einem immateriellen, d. i. abstrakten Wesen geschaffen ist. Am Ende der Logik bringt es die absolute Idee sogar zu einem nebulösen ›Entschluß‹, um eigenhändig ihre Abkunft aus dem theologischen Himmel zu dokumentieren.«21
Aus einem absoluten Subjekt wird für Feuerbach das Denken, der Geist, zu einer Qualität des Menschen neben anderen Naturqualitäten. Alles Bewußtsein ist das Bewußtsein leibhaftiger Menschen. Die Wissenschaft vom Menschen als eines bedürftigen, sinnlichen, physiologischen Wesens ist daher die Voraussetzung aller Theorie der Subjektivität: »Nur der Mensch ist der Grund und Boden des Fichteschen Ichs, der Grund und Boden der Leibnizschen Monade, der Grund und Boden des Absoluten.«22
Beim Ausgang der klassischen deutschen Philosophie erweist sich das überempirische Ich, das »Bewußtsein überhaupt« endgültig als eine Abstraktion von den endlichen Subjekten. Schon in Kants Philosophie ist die Frage nach dem Verhältnis von transzendentalem und empirischpsychologischem Ich sehr schwierig. Obwohl Kant seinem Programm nach auf der strengen Unterscheidung der beiden Iche bestehen muß, gelingt es ihm bei der konkreten Durchführung der Vernunftkritik nicht zu verhindern, daß ihre Differenz verschwimmt und sie ineinander übergehen. Dadurch bekommt schon sein transzendentales Subjekt eine gewisse anthropologische Tönung. Bei Feuerbach, als dem Endstadium der ganzen Gedankenbewegung, wird der Mensch, gerade als empirisches und natürliches Wesen, zum eigentlichen Thema: »Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluß der Natur, als der Basis des Menschen, zum alleinigen, universalen und höchsten Gegenstand der Philosophie – die Anthropologie also, mit Einschluß der Physiologie, zur Universalwissenschaft.«23
Ganz wie Feuerbach in seiner Religionskritik die religiösen Inhalte als eine Entfremdung sinnlich-menschlicher zu begreifen sucht, versteht er auch den absoluten Geist als eine Entfremdung des endlichen Menschengeistes. Dadurch wird Hegels Präexistenz der logischen Kategorien vor der Erschaffung der Welt und eines endlichen Geistes aufgehoben und die logischen Formen werden zu Funktionen vergänglicher Menschen erklärt: »Die Metaphysik oder Logik ist nur dann eine reelle, immanente Wissenschaft, wenn sie nicht vom sogenannten subjektiven Geiste abgetrennt wird. Die Metaphysik ist die esoterische Psychologie.«24
Der Gedanke, daß nicht vom absoluten Geiste, sondern von leibhaftigen Menschen auszugehen sei, ist auch für die Marxsche Theorie der Subjektivität von großer Wichtigkeit. Auch für Marx gilt der Satz: »Die Realität, das Subjekt der Vernunft ist nur der Mensch. Der Mensch denkt, nicht das Ich, nicht die Vernunft.«25
Die unaufhebbare Differenz von Begriff und Realität, vonHegel zwar anerkannt, aber zugleich wieder entwertet dadurch, daß sie, als bloße Denkbestimmung, zur Subjektseite hinzugeschlagen wird, ergibt sich zwingend aus der Reduktion des absoluten Geistes auf den menschlichen. Es ist nicht möglich, durch lückenlose Deduktion das »Wirkliche« in den Griff zu bekommen. Feuerbach drückt diesen Gedanken auf eine sehr scharfsinnige Weise aus: »Das Wirkliche ist im Denken nicht in ganzen Zahlen, sondern nur in Brüchen darstellbar. Diese Differenz ist eine normale – sie beruht auf der Natur des Denkens, dessen Wesen die Allgemeinheit ist, im Unterschied von der Wirklichkeit, deren Wesen die Individualität ist. Daß aber diese Differenz nicht zu einem förmlichen Widerspruch zwischen dem Gedachten und dem Wirklichen kommt, dies wird nur dadurch verhindert, daß das Denken nicht in gerader Linie, in der Identität mit sich fortläuft, sondern sich durch die sinnliche Anschauung unterbricht. Nur das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken ist reales, objektives Denken – Denken objektiver Wahrheit.«26
Indem Marx, über Feuerbach hinausgehend, nicht nur die sinnliche Anschauung, sondern die gesamte menschliche Praxis als konstitutives Moment in den Erkenntnisprozeß einführt, wird er zugleich der Feuerbachschen Forderung gerecht, daß sich die neue Philosophie »toto genere von der alten«27 zu unterscheiden habe. Erst indem sich Feuerbachs Autoritäten Mensch und Natur als dialektische Momente der Praxis erweisen, gelangen sie zu ihrer Konkretion. Wie Feuerbach spricht auch Marx von der »Priorität der äußeren Natur«28. Freilich mit dem kritischen Vorbehalt, daß alle Priorität nur eine innerhalb der Vermittlung sein kann.
Wenn Marx die Natur – das Material menschlicher Tätigkeit – als dasjenige bestimmt, was nicht subjekteigen ist, was in den Weisen menschlicher Aneignung nicht aufgeht, was mit den Menschen schlechthin unidentisch ist, so versteht er diese außermenschliche Wirklichkeit doch nicht im Sinne eines unvermittelten Objektivismus, also ontologisch. Bei Feuerbach steht das mit bloßen Naturqualitäten ausgestattete Gattungswesen Mensch als leerbleibende Subjektivität29 der Natur als toter Objektivität passiv-anschauend, nicht praktisch-tätig gegenüber. Was Feuerbach als Einheit von Mensch und Natur bezeichnet, bezieht sich nur auf das von ihm romantisch verklärte Faktum der Naturentsprungenheit