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Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui
Читать онлайн.Название Der Grenadier und der stille Tod
Год выпуска 0
isbn 9783960416579
Автор произведения Petra Reategui
Жанр Языкознание
Серия Historischer Kriminalroman
Издательство Bookwire
»Gehen wir!«, befahl er harsch und bahnte sich seinen Weg an Gestrüpp, Steinen und altem Gerümpel vorbei vor zur Lammgasse. Er horchte nach hinten, ob der andere ihm folgte, und nahm beruhigt die im Schnee knirschenden Schritte des Mannes wahr. Dass ihre Spuren sie verraten könnten, war ärgerlich, aber nicht zu ändern. Er hoffte, dass es in der Nacht wieder schneite, damit die Fußstapfen verwischten.
Dann standen sie auf der Gasse. Links glaubte er, eine Bewegung wahrzunehmen. Der Schatten eines Menschen? Vielleicht narrte ihn aber auch der flackernde Schein einer Kerze, der von einer Mansardenluke auf die Straße fiel. Irgendwo wurde ein Fenster geschlossen, leise, als solle es niemand hören. Er blickte die Häuserfronten entlang. Nichts. Nur ein Krächzen. Ein später Vogel, oder hatte sich jemand geräuspert? Unwirsch zuckte er mit den Schultern, überall sah und hörte er schon Gespenster.
Als sie sich an der Langen Straße trennten, schnauzte er den Boten schärfer an als nötig: »Gebt mir in Zukunft früher Bescheid, die Zeit war dieses Mal knapp bemessen.«
Dem Patron musste doch klar sein, dass er Soldat war und Pflichten hatte und nicht über beliebig freie Zeit verfügte. Andererseits, der Mann zahlte ordentlich, mehr als ordentlich, das musste man ihm lassen.
»Na, nix für ungut«, brummte er.
Die Straße war glatt. Simon musste aufpassen, wo er hintrat. Er hatte keine Lust, zu stürzen und sich die Knochen zu brechen. Warum hatte hier noch keiner gestreut? Höchste Zeit auch, dass die Stadt die Straßen endlich pflastern ließ. An der Waldhorngasse hatten sie angefangen und wieder aufgehört, dann wieder weitergemacht und wieder aufgehört. Arbeiter! Das waren nicht die schnellsten Zeitgenossen, die der Herrgott erschaffen hatte. Aber die oberen Finanzverwalter waren auch nicht viel besser. Was nichts kostete, wurde sofort erledigt, alles andere, wenn der Mond blau war.
Er querte den Marktplatz, der unter einer geschlossenen Schneedecke lag. Die dunkle Masse der Concordienkirche zeichnete sich gegen den Himmel ab. Hinter der kleinen Kreuzgassenkirche der Reformierten näherte sich der Nachtwächter, leuchtete ihm ins Gesicht und grüßte schweigend. Simon fiel das verdächtige Fenster wieder ein. Hatte eine Hausfrau oder eine Magd vor dem Schlafengehen noch frische Luft ins Zimmer gelassen und beim Schließen einfach nur Rücksicht auf die Nachbarschaft genommen? Oder waren er und der Bote beobachtet worden? Sollte er das Versteck wechseln? Schon wieder?
Am Anfang hatte er vor der Stadt nahe dem Rintheimer Feld eine verfallene Scheune ausfindig gemacht, die für seine Zwecke bestens geeignet schien. Aber nach einiger Zeit wurden die Wächter am Durlacher Thor misstrauisch, frugen ihn aus, wenn er wieder mal die Stadt ohne Kompagnie verließ, und dann war unvermittelt eine Patrouille aufgetaucht. Er musste das Weite suchen. Das nächste Versteck lag bei Gottesau. Von dort führte ein verborgener Trampelpfad in die Residenz. Dafür aber schlichen ständig Tagelöhnerinnen, Feldarbeiter und Schmuggler in der Gegend herum, und wieder befürchtete er, entdeckt zu werden. Bis er eines Tages mitten in der Stadt im wahrsten Sinn des Wortes über diesen leeren Bauplatz stolperte, genauer gesagt über eine im Weg liegende Stange. Während er sich hochraffte, bemerkte er im Zaun eine Lücke zum Nachbargrundstück. Neugierig ging er nachschauen und erspähte dahinter, versteckt unter Bäumen und Büschen, so etwas wie eine Hütte, einen von hohem Gras und Kletterpflanzen überwucherten verlassenen Schuppen.
Eine Zeit lang beobachtete er den Ort, dann richtete er ihn her und besorgte sich für die Tür ein Vorhängeschloss. In den beschädigten Zaun passte er Latten ein, die er leicht abnehmen und wieder davorklemmen konnte. Der Durchschlupf würde nur jemandem auffallen, der direkt danach suchte. Allerdings müsste er aufpassen, falls das Grundstück eines Tages verkauft werden würde und jemand zu bauen anfing. Aber darüber wollte er sich jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Vielleicht könnte er ja tatsächlich selbst … wenn das Geschäft weiterhin so gut liefe …
Die feinste Adresse war Heberles Schankstube in der verlängerten Adlergasse nicht. Es stank nach verpesteter Luft, Schimmel und Nierle in saurer Soß. Der Schnaps war Fusel, der Wein lausig, aber bezahlbar.
Die Kameraden waren noch nicht da. Simon setzte sich an ihren Stammtisch, Johanna brachte ihm zu trinken.
»Auch was essen?«
Er schüttelte den Kopf.
Vom Nachbartisch wehte Tabaksdunst herüber. Dreckiger Verschnitt wie zu Hause in Landeck. Er hasste die Erinnerung daran. Wenn es wenigstens reines Kraut wäre, wie es der Herr Major zu rauchen pflegte.
Natürlich hatten sie damals unbedingt auch rauchen wollen. Er. Fischers Arthur, der mit seinen zehn Jahren der Jüngste gewesen war. Dem Englerbauer sii Jacöbli. Kiefers Christian. Und schließlich der Huber Auguscht, der zwei Jahre später in die Mistgabel fiel und vier Tag lang starb. Sie hatten ihren Alten das Kraut stibitzt und in einem Keller der Landecker Burg gepafft, bis ihnen der Rauch aus den Ohren quoll. Nur dass ihm kotzübel davon wurde. Er hatte raus müssen, hinter einen Busch. Das passiert mir nicht noch mal, schwor er sich. Wenn die anderen rauchen konnten, konnte er das ja wohl dreimal. Aber sein Körper wollte nicht wie er, rebellierte, sooft er es versuchte. Die Freunde verhöhnten ihn, und bald wusste es jeder im Dorf, der Simon kann nicht rauchen! Der ist noch grün hinter den Ohren, grüner geht’s nicht. Sein Bruder, dieser Blödian, tönte am lautesten und pustete ihm seinen Pfeifenrauch ins Gesicht. Dabei war der kaum älter als er. Nur zwei Jahre.
Später tröstete er sich mit der Kuhmagd des Georgenbauern. Sie war ihm an einem heißen Julitag bereitwillig in den Wald gefolgt, entledigte sich auf einer hellen Lichtung ihrer Schnürbrust, löste gegen ein paar Kreuzer das hellrote Bändele am Hemdausschnitt, sodass das Kleidungsstück über die Schulter glitt und der Busen herausrutschte. Erregt packte er zu. Aber sie haute ihm auf die Finger, giggelte und kicherte und ließ ihn zappeln, er hielt es kaum noch aus. Da endlich erbarmte sie sich, hob den Rock und zeigte ihm, was er tun müsse. Er sei der Erste, versicherte sie ihm hinterher, während sie sich gemächlich Tannennadeln und Grashalme aus Haaren und Kleidung pflückte und das Geld zählte, das sie ihm abverlangt hatte. »Schwör’s«, hatte er gesagt, und sie schwor: »He jo bisch dü de Erschd, was glaubsch denn?« Jetzt war er also ein Mann, ein richtiger Mann, und den anderen eine Nasenlänge voraus, auch wenn er das Rauchen nicht vertrug. Bis er erfuhr, dass dieses heimtückische Weib schon im Jahr zuvor mit Kiefers Christian das gleiche Spiel getrieben hatte und auch mit dem Englerbauer sii Jacöbli und sogar mit seinem blöden Bruder.
Als die Werber des Markgrafen kamen, entschied er sich sofort. Er ließ sich mustern und wurde genommen. Nach Carlsruhe würde es gehen, Carlsruhe war gut, die Stadt war weit weg von Landeck, viel weiter weg als Freiburg. Und er stellte sich vor, wie anmutig die Frauen in der Residenz sein würden, und keiner käme ihm ins Gehege, vor allem nicht sein blöder Bruder.
Simon hatte den Wein, den Johanna ihm zuvor gebracht hatte, längst ausgetrunken, als die Kameraden eintrafen, sogar der ernste Heinrich Abele war mit dabei.
»Sieh da, der Abele. Der Herr Professor steigt vom hohen Ross und beehrt das Fußvolk. Ist dir die Lektüre ausgegangen?«, lästerte Simon, aber der Kamerad ging nicht auf die Sticheleien ein, ließ ihn einfach abblitzen.
»Brot, Schmalz und den größten Krug Wein, den ihr habt«, krakeelte Hänsle Pfeiffer, noch bevor er sich gesetzt hatte. »S’ geht auf mich.«
»Prost, Landecker!«, sagte Friedrich mit den roten Haaren, als jeder versorgt war, und hob sein Glas. »Auf dich, und pass in Zukunft besser auf, wenn du zu ’ner Dirn gehst.«
Simon keifte. »Als ob ich nicht aufgepasst hätte!«
»Nimm das nächste Mal einen Schafsdarm mit!«, riet Pfeiffer und machte eindeutige Zeichen mit den Fingern.
»Wieso einen Schafsdarm?«, fragte Ludwig Lauer. »Ich dachte, die Weiber wissen, wie sie einen Bauch wieder wegkriegen …«
»Du bist zwar der Längste im Regiment, Lauer, aber dafür der Dümmste, so dumm wie Bohnenstroh.« Der rote Friedrich, der neben ihm saß, versetzte dem Gefährten einen Schlag auf den Hinterkopf.
»Ich dachte …«
»Denk