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Naturalismus»). Polemik deshalb, weil ich die aktuelle Debatte zutiefst deprimierend finde. Auf beiden Seiten sind die Fronten verhärtet und es besteht kaum Offenheit für die Argumente der jeweils anderen. Da sind zum einen diejenigen, die, so wie ich selbst, wissen, dass Bewusstsein existiert, und die von Grund auf respektieren, dass wir genau wissen, was dieses Bewusstsein ist und dass nichts im Leben mit größerer Gewissheit existiert. Ihnen gegenüber stehen die Zweifler, die all dies negieren oder doch zumindest zum Teil ablehnen, auch wenn sie selbst das nicht unbedingt so von sich behaupten würden – zwecklos, jemanden aus dieser Liga überzeugen zu wollen, man wird noch nicht einmal Gehör finden. Trotzdem möchte ich drei Dinge mit Nachdruck klarstellen:

      Erstens ist es absolut inkohärent, einzuräumen, dass Bewusstsein zwar «irgendwie» existiert, gleichzeitig aber die Realität von Bewusstsein anzuzweifeln oder gar zu verneinen. Zweitens gibt uns auch die Naturwissenschaft keinerlei Grund, auf irgendeine Weise anzuzweifeln, dass bewusste Erfahrungen etwas anderes sind, als sie zu sein scheinen; vor allem das subjektive Erleben in all seiner Vielfalt und Fülle von Geruch, Geschmack, Fühlen, Sehen, Hören, Denken und Emotionen. Drittens kann auch die Naturwissenschaft nicht widerlegen, dass bewusste Erfahrungen etwas zutiefst Physisches sind, ebenso physisch wie die Erdanziehungskraft, wie Bewegung oder Elektrizität. Bei diesem dritten Punkt bedarf es einer gewissen Erklärungsarbeit, da viele von uns einen blinden Fleck entwickelt haben, wenn es darum geht, was überhaupt als physisch begriffen werden kann. Aber der Schlüssel zur Erklärung ist einfach: Wir haben keine Kenntnis darüber. Wie kommen wir dann dazu, zu denken, wir wüssten mehr über die eigentliche Natur des Physischen, als es in Wahrheit der Fall ist?

      Nirgends jedoch scheiden sich die Geister so sehr wie an der Frage nach dem freien Willen. Wenngleich diese Fragestellung eine der ältesten der Menschheit überhaupt ist, erfährt man wohl schwerlich sonst so viel Ablehnung, wie wenn man das Fehlen der Willensfreiheit postuliert. Man wird von Hass-Briefen förmlich überschwemmt, äußert man sich nur in diese Richtung. Einige dieser Nachrichten sind hässlich, andere bedrohlich, doch allesamt sprechen sie für die Stichhaltigkeit des Arguments. Eine zehn Jahre alte Mail bewahre ich noch immer: «Ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie wohl der bescheuertste Idiot überhaupt sind und dass dies das schlimmste, zusammenhangloseste und absurdeste philosophische Argument ist, das ich je gelesen habe. Schreiben Sie nicht – nie wieder!»

      Es fällt schwer, dies nicht als Bestätigung zu werten. Die Heftigkeit, die einem aus diesen Äußerungen entgegenschlägt, spricht dafür, dass die Schreiber die Berechtigung des Arguments durchaus anerkennen, und dies lässt ihren Ärger etwas deplatziert erscheinen. Stimmen sie im Grunde mit uns überein? Und warum machen sie uns dies dann zum Vorwurf? Und sollten sie denken, dass wir falsch liegen, warum dann dieses Gefühl der Beleidigung? Was wohl hätten sie Einstein erwidert, als er äußerte: «Würde ein Wesen von höherer Intelligenz und Einsicht den Menschen und sein Handeln betrachten, so müsste es unweigerlich über die menschliche Illusion, nach freiem Willen zu handeln, schmunzeln.» (Auf S. 122 zitiere ich diese Passage noch ausführlicher).

      Der letzte der hier aufgenommenen Texte handelt von meinen Erfahrungen in den 1960er-Jahren – die mich nicht umtreiben. Als Craig Raine, Herausgeber des literarischen Magazins Areté, dem verlegerischen Äquivalent zu Thompson’s Hound of Heaven, mich bat, meine Erinnerungen an diese Zeit niederzuschreiben, war ich daran absolut nicht interessiert und versuchte auf jede erdenkliche Weise, drum herumzukommen. Ich fragte seine Tochter, die Dramatikerin Nina Rain, wie ich wohl der Forderung ihres Vaters entgehen könne, worauf sie mir schlicht antwortete: «Kannst du nicht.»

      Ich empfinde Philosophie – und damit meine ich Philosophie in ihrem umfassendsten Sinne – als eine zutiefst konkrete, sinnliche Aktivität, und damit stehe ich nicht allein. Die Welt der Ideen erscheint mir genauso plastisch wie die Welt der Seen und Berge, ja sogar in noch stärkerem Maße. Die Topographie der geistigen Welt lässt sich ebenso wenig ändern wie man Samarkand in größere Nähe zu Buchara versetzen könnte, selbst wenn man neue Perspektiven entdecken kann oder feststellt, dass man die Landkarte falsch gezeichnet hat oder der Mensch die Erde lange Zeit für eine Scheibe hielt. Ideen besitzen in der Welt des Geistes die gleiche Körperlichkeit in ihrer Ausdehnung, ihrer natürlichen Begrenzung und in ihrem Panorama. Man kann sie berühren. Sie besitzen einen individuellen Geschmack, ästhetische Eigenschaften, emotionale Schattierungen, Kurven, Oberflächen, Innenseiten, versteckte Plätze, Struktur, Geometrie, dunkle Gänge, lichtvolle Plätze, Auren, Kraftfelder und sie sind kombinationsfähig.

      Mit den Worten Bertrand Russells: «Reisen ist ein Vergnügen, sowohl in der geistigen als in der physischen Welt, und es ist gut, zu wissen, dass wenigstens in der geistigen Welt es weite Gebiete gibt, die noch sehr unvollkommen erforscht sind.»

      Aber ich spürte: Du bist ein Ich.

      ELIZABETH BISHOP

      1Das Bewusstsein vom Ich

       1

      Von einem «Selbst» zu sprechen klingt zumeist befremdlich. Einige Philosophen behaupten sogar, dass das «Selbst» oder «Ich» eine Illusion sei, entstanden durch einen inkorrekten Gebrauch der Sprache. Das scheint mir wenig plausibel, denn so dumm ist der Mensch nicht. Die Frage nach dem «Ich», nach dem «Selbst», wird nicht durch einen unsachgemäßen Sprachgebrauch aufgeworfen, der unvermittelt grundlos auftritt. Im Gegenteil, der Ausdruck «das Selbst» erwächst aus dem vorausgehenden eigenständigen Empfinden, dass so etwas wie ein «Ich» existiert. Es entsteht aus dem Bewusstsein vom Ich, vom «Selbst». Der Ausdruck «das Selbst» mag in der Alltagssprache ungewöhnlich anmuten und hat in einigen Sprachen auch keine direkte Entsprechung. Nichtsdestotrotz lassen sich in allen Sprachen Umschreibungen finden, die der Rolle des «self» im Englischen oder «Selbst» im Deutschen vergleichbar sind – mag diese Rolle auch noch so diffus sein. Die meisten Menschen verbinden etwas mit dem Ausdruck «das Ich». Er findet auf natürliche, ungezwungene Weise Eingang in philosophische, psychologische oder religiöse Fragestellungen, die ganz selbstverständlich der menschlichen Natur entspringen. Und doch denke ich, dass die Existenz und die Natur des «Ich» die Philosophie vor ein ernsthaftes Problem stellen, das weit über ein bloßes Gedankenspiel hinausreicht. Anthony Kenny und einige andere Philosophen machen es sich zu leicht, wenn sie die «Essenz der Theorie vom Ich» auf einen «grammatikalischen Fehler» herunterbrechen. Es ist schlicht falsch, wenn man in der Wandlung von myself («ich selbst») zu my self («mein Selbst») keine Bedeutungsverschiebung erkennt, sondern eine bloße grammatikalische Nachlässigkeit, «ein Stück philosophischen Nonsens’, bestehend auf dem Missverständnis des reflexiven Pronomens». Es stimmt allerdings, dass wir die Natur des Ich – die ganz gewöhnliche, zutiefst menschliche Erfahrung, ein «Ich» zu besitzen oder ein «Ich» zu sein – erst einmal genauer beleuchten müssen, bevor wir uns die Frage stellen, ob es überhaupt ein «Ich», ein «Selbst» gibt.

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      Einige bezweifeln, dass es überhaupt so etwas wie ein allen Menschen gemeinsames Bewusstsein vom «Selbst» gibt. Und doch existiert ein psychisches Fundament, das allen Menschen eigen ist, gleich welcher Kultur sie entstammen, sogar in weitaus größerer Übereinstimmung, als dies viele Anthropologen oder Soziologen wahrhaben wollen. Ein gemeinsames «Mensch-Sein», tiefe emotionale und kognitive Gemeinsamkeiten, die alle Differenzen kultureller Prägung übersteigen. Die Psyche des Menschen besitzt ein überaus breit gefächertes Spektrum. Und doch findet man große Varietäten in der psychischen Grundstruktur des Menschen eher innerhalb eines einzelnen Kulturkreises als im interkulturellen Vergleich. Der radikale kulturelle Relativismus, wie ihn der Anthropologe Clifford Geertz vertritt und der von breiten Teilen der akademischen Welt immer noch als bindend angesehen wird, scheint die genetischen Determinanten der menschlichen Natur sowie die unstrittigen Gemeinsamkeiten des menschlichen Lebens an sich außer Acht zu lassen.

      Daher und weil ich ein unbekümmertes «kantianisches» Vertrauen in die Fähigkeit der Philosophie hege, zu Schlüssen von hoher Allgemeingültigkeit zu gelangen, wenn es um Fragen dieser Art geht, möchte ich diese Bemerkungen zum gewöhnlichen Bewusstsein des Menschen von seinem Selbst

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