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aus anderen Quellen herleiten müssen, doch glaube ich, daß sie durch meine beiden Grundbedingungen der Direktheit und der Relevanz jedes Reagierens auf Feindseligkeiten in einem beachtlichen Maße erklärt werden.

      Führen wir uns zunächst einen Fall vor Augen, der sowohl eine geschützte Klasse von Nichtkämpfern umfaßt als auch Einschränkungen in der Frage der Maßnahmen, die gegen Kämpfer zulässig wären. Eine der Maximen der Kriegführung, die allgemein Achtung fand, auch wenn sie anscheinend in Vietnam zur hohlen Phrase verkommen ist, lautet, daß dem Sanitätspersonal und allen Verwundeten ein Sonderstatus einzuräumen sei. Natürlich könnte es weitaus wirkungsvoller sein, jeden Arzt, den man vor die Maschinenpistole bekommt, zu erschießen und die verwundeten Feinde besser dem Tod auszuliefern als sie wieder zusammenflicken zu lassen, damit sie dann eines Tages womöglich erneut kämpfen können. Doch sobald jemand als Arzt erkennbar ist, erwartet man, daß er in Ruhe gelassen und es ihm gestattet wird, die Verwundeten zu versorgen und zu bergen. Meines Erachtens liegt dies daran, daß sich der Arzt um ein allen Menschen gemeinsames Bedürfnis kümmert und nicht insbesondere um ein Bedürfnis am Krieg beteiligter Soldaten, und wir uns in einem Konflikt mit dem Soldaten befinden und nicht mit seiner Existenz als Mensch.

      Führt man diesen Gedanken fort, kommt man in die Lage, das Verbot besonders grausamer Waffen zu rechtfertigen: Aushungern; Vergiften; Infizieren mit Krankheitserregern (gesetzt, man könnte dergleichen überhaupt auf die kämpfende Truppe einschränken); Waffen, die darauf ausgerichtet sind, den Gegner zu verstümmeln, zu entstellen oder ihm Qualen zu bereiten, statt ihn nur aufzuhalten. Es ist in meinen Augen keine bloße Kasuistik zu sagen, daß diese Waffen den Menschen als solchen angreifen und nicht den Soldaten. Die Wirkung eines Dum-Dum Geschosses ist zum Beispiel weitaus brutaler als es die militärische Lage, in der es eingesetzt zu werde pflegt, je erforderlich machen könnte. Solche Waffen haben derart gravierende Folgen, daß sie jeden Versuch im Keim ersticken, den Kämpfer und den Menschen im Feind zu unterscheiden. Aus demselben Grund ist unter allen mir denkbaren Umständen der Gebrauch von Flammenwerfern und Napalm schlicht ein Kriegsverbrechen, und zwar egal wogegen sie sich richten. Verbrennungen sind sowohl beispiellos schmerzhaft als auch ungemein entstellend – weitaus schlimmer und folgenreicher als alle anderen Wundarten. Daß dieses evidente Faktum nicht den mindesten (hemmenden) Einfluß auf die Festlegung der Waffenpolitik der Vereinigten Staaten hatte, legitimiert den Schluß, daß sich auch hierzulande unter Amtsträgern und Statthaltern politischer Macht die moralische Sensibilität seit den Zeiten der spanischen Inquisition nicht merklich verändert hat.10

      Und schließlich sollte auch für Angriffe auf ein ganzes feindliches Land (also auf seine gesamte Industrie, Landwirtschaft, Infrastruktur usw.) dieselbe Grundbedingung in Kraft sein: nämlich daß die eingesetzten Mittel stets dem wirklichen Objekt der Feindseligkeit angemessen sind. Auch eine Nation, die nicht Armeen oder Regierungen als die Parteien in einem militärischen Konflikt ansähe, sondern stets ganze Nationen (was in der Regel ein gravierender Irrtum ist), wäre noch nicht darin gerechtfertigt, gegen jeden Aspekt oder Teil der anderen Nation kriegerisch vorzugeben. Das ist bei Konflikten unter Individuen nicht gerechtfertigt, und da Nationen sogar von noch höherer Komplexität sind als Individuen, treffen auf sie dieselben Gründe zu. Selbst wenn eine ganze Nation Krieg führt, ist sie, nicht anders als jeder einzelne Mensch, zugleich in zahllose weitere Tätigkeiten und Geschäfte verwickelt, und in diesen Hinsichten kein Feind.

      Die obige Argumentation beruhte insgesamt darauf, daß jedem Absolutismus im Hinblick auf Mord Prinzipien zugrunde liegen, die für alle unsere Beziehungen zu anderen, seien diese freundschaftlich oder feindselig, maßgeblich bleiben, und daß solche Prinzipien, ebendieser Absolutismus, auch für den Krieg gelten, woraus gefolgert wurde, daß bestimmte Maßnahmen einfach nicht zulässig sein können, gleichgültig welche Folgen sie ermöglichen.11 Ich denke hier nicht daran, den Krieg romantisch zu verklären. Dafür ist die Annahme bei weitem zu utopisch, daß sich unsere Nationen im Konfliktfall lieber auf das Niveau beschränkter Barbarei begeben könnten, das für feindselige Auseinandersetzungen zwischen Individuen typisch ist, statt sich weiter in dem moralischen Dreck zu suhlen, in dem sie sich, umringt von ihren gewaltigen Waffenarsenalen, offenkundig häuslich eingerichtet haben.

      VII

      Nun da wir beschrieben haben, worin die absolutistische Position besteht, müssen wir uns nochmals dem Konflikt zwischen ihr und dem Utilitarismus zuwenden. Auch wenn eine Reihe unsauberer Aktionen annehmbar werden sollte, sobald viel zu viel auf dem Spiel steht, wird von allen Taten, die am strengsten verboten sind, wie Mord und Folter, nicht allein verlangt, daß sie außergewöhnlich gut gerechtfertigt werden müssen, sondern es wird verlangt, nie so zu handeln – da es kein noch so hohes Maß an resultierendem Guten jemals rechtfertigen könnte, Menschen dies anzutun.

      Es bleibt die Tatsache, daß ein Absolutist sich zwar weigern kann, eine ethisch verbotene Maßnahme zu ergreifen, auch wenn er weiß oder meint, daß der utilitaristische Preis, den er für diese Weigerung zu zahlen hat, immens hoch ist, aber er wird alsdann schwerlich das Gefühl haben, ein moralisches Dilemma befriedigend gelöst zu haben. Dasselbe wird auch für jemanden gelten, der sich absolutistischen Auflagen widersetzt und statt dessen den Weg mit den am ehesten akzeptablen Folgen einschlägt. Es ist in jedem Fall gut möglich, das Gefühl zu haben, daß die Gründe, aus denen man handelt, nicht ausreichen, die Verletzung der solchem Handeln entgegenstehenden Prinzipien zu rechtfertigen. In lebensbedrohlichen Konfliktsituationen allerdings, insbesondere wenn eine schwächere Partei Gefahr läuft, von der stärkeren vernichtet oder versklavt zu werden, können die Gründe dafür, zu brutalen Taten Zuflucht zu nehmen, äußerst gravierend, kann das Dilemma höchst akut werden.

      Es mag gewisse, bis in unsere Tage noch nicht kodifizierte Prinzipien geben, die es uns gestatten würden, derartige Dilemmata aufzulösen. Doch womöglich gibt es sie auch wiederum nicht. Wir müssen der pessimistischen Alternative ins Auge sehen, daß es vielleicht gar nicht möglich ist, die beiden Arten moralischer Intuitionen in einem einheitlichen Moralsystem zusammenzuführen, und es die Welt sein wird, die uns in Lebenslagen bringen kann, in denen es für einen Menschen keinen ehrbaren oder moralischen Ausweg mehr gibt, keinen Ausweg frei von Schuld und Verantwortung für Unrecht.12

      Diese Idee einer moralischen Sackgasse sollte durchaus verständlich und nachvollziehbar sein. Man kann ja ohne weiteres durch eigene Schuld in eine solche Sackgasse geraten, und das pflegt Menschen auch andauernd zu geschehen. Legt einer beispielsweise zwei miteinander unvereinbare Versprechen ab oder geht er unvereinbare Verbindlichkeiten ein – verlobt er sich etwa mit gleich zwei Menschen – gibt es für ihn keinen Ausweg mehr, der nicht unrecht wäre, denn mindestens gegenüber einer dieser Personen kann er sein Versprechen nicht halten. Auch wenn er die Karten offen auf den Tisch legt und alles gesteht, reicht dies nicht aus, um noch unbescholten davonzukommen. Und dennoch macht es uns nicht an der Moral irre, daß es derartige Fälle gibt, da wir das Gefühl haben, daß die Situation als solche nicht unvermeidlich war: Man muß schon zuvor ein Unrecht begangen haben, um sich überhaupt in ein solches Dilemma verstricken zu können. Was aber, wenn auch die Welt selbst – oder das was ein anderer tut – einen bislang unschuldigen Menschen vor die Wahl zwischen moralisch abscheulichen Handlungsalternativen stellen kann, ohne ihm einen Weg offenzuhalten, seine Ehre zu retten? Unsere Intuitionen sträuben sich gegen diese Vorstellung, weil wir das Gefühl haben, die Möglichkeit, derlei Fälle zu konstruieren, zeige doch, daß unsere moralischen Ansichten miteinander in Widerspruch stehen. Es schließt aber an sich keinen Widerspruch ein, wenn wir davon sprechen, jemand könne entweder X tun oder nicht X tun, und gleichgültig welche der beiden einzig möglichen Handlungen er begehe, sie sei unrecht. Man widerspricht hier lediglich jener Auffassung, nach der ein Sollen stets ein Können impliziert – denn es gilt doch wohl, daß man nichts Unrechtes begehen soll, und eben dies ist im vorliegenden Fall unmöglich.13 In Anbetracht der Begrenztheit des menschlichen Handlungsspielraums ist es reichlich naiv anzunehmen, daß es für jedes moralische Problem, vor das uns die Welt stellen kann, eine Lösung geben muß. Wir wußten es ja seit jeher: Die Welt ist schlecht. Nun sieht es gar so aus, als könnte sie obendrein noch böse sein.

      Übersetzt von Karl-Ernst Prankel und Ralf Stoecker.

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