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      Als die kleine Maja erwachte, war es schon hell geworden. Sie fror ein wenig unter ihrem großen grünen Blatt, und die ersten Bewegungen, die sie machte, gelangen ihr nur schwerfällig und langsam. Sie hielt sich an einem Äderchen des Blattes fest und ließ ihre Flügel zittern und flimmern, damit sie geschmeidig und frei von Staub werden möchten. Dann glättete sie ihre blonden Haare und wischte sich die großen Augen blank. Vorsichtig kroch sie etwas weiter, bis an den Rand des Blattes, und schaute sich um.

      Sie war ganz geblendet von der Pracht und dem Glanz der Morgensonne umher. Die Blätter leuchteten wie grünes Gold hoch über ihr, da wo sie selbst saß, war es noch kühl im Schatten.

      O du herrliche Welt, dachte die kleine Biene.

      Nur langsam entsann sie sich aller Erlebnisse des vergangenen Tags, aller Gefahren und aller Schönheiten, die sie gesehen hatte. Aber sie blieb entschlossen, nicht in den Stock zurückzukehren. Freilich, wenn sie an Kassandra dachte, klopfte ihr Herz. Aber es war ja unmöglich, dass Kassandra sie jemals finden würde. Nein, es war nun einmal ihre Freude nicht, immer ein und ausfliegen zu müssen, Honig zu tragen oder Wachs zu bereiten. Sie wollte glücklich und frei sein und das Leben auf ihre Art genießen, mochte kommen was wollte, sie würde es ertragen. So leichtsinnig dachte Maja, jedenfalls auch deshalb, weil sie keine rechte Vorstellung von allem hatte, was ihrer noch wartete.

      Irgendwo fern in der Sonne schimmerte es rot. Maja sah es glänzen und leuchten, und eine heimliche Ungeduld befiel sie. Sie verspürte auch, dass sie hungrig war. Da schwang sie sich mutig mit einem hellen frohen Summen aus ihrem Versteck, weit hinein in die helle flimmernde Luft und in den warmen Sonnenschein. Sie steuerte in ruhigem Flug grade auf das rote Blumenlicht zu, das ihr zu winken schien, und als sie in die Nähe kam, spürte sie den Hauch eines so süßen Duftes, dass sie beinahe betäubt wurde und die große rote Blume nur mit Mühe erreichte. Sie schwang sich auf das äußerste, gewölbte Blumenblatt und hielt sich fest. Da rollte ihr, mit der leisen Bewegung, in die das Blatt geraten war, eine funkelnde silberne Kugel entgegen, fast so groß wie sie selbst, durchsichtig und flimmernd in allen Farben des Regenbogens. Maja erschrak furchtbar, obgleich die Pracht dieser kühlen Silberkugel sie entzückte. Der durchsichtige Ball rollte vorüber, neigte sich über den Rand des Blattes, sprang in den Sonnenschein und fiel nieder ins Gras.

      Maja stieß einen leisen Ruf des Schreckens aus, als sie sah, dass die schöne Kugel unten in viele winzige Perlchen zersprungen war. Aber es flimmerte nun im Gras so belebt und frisch, rann in zitternden Tröpflein an den Halmen nieder und funkelte, wie Diamanten im Lampenlicht blitzen. Maja hatte erkannt, dass es ein großer Wassertropfen gewesen war, der sich im Kelch der Blume in der feuchten Nacht gebildet hatte.

      Als sie sich dem Kelch wieder zuwandte, sah sie einen Käfer mit braunen Flügeldecken und einem schwarzen Brustschild am Eingang zum Blumenkelch sitzen. Er war etwas kleiner als sie, behauptete seinen Platz ruhig und sah sie ernst, aber durchaus nicht unfreundlich an.

      Maja begrüßte ihn höflich.

      „Gehörte die Kugel Ihnen?“ fragte sie. Und als der Käfer nicht antwortete, fügte sie hinzu. „Es tut mir sehr leid, sie hinabgeworfen zu haben.“

      „Meinen Sie den Tautropfen?“ fragte der Käfer und lächelte etwas überlegen. „Deswegen brauchen Sie sich keine Sorge zu machen. Ich hatte bereits getrunken, und meine Frau trinkt niemals Wasser, weil sie mit den Nieren zu tun hat. Was wollen Sie hier?“

      „Was ist dies für eine herrliche Blume?“ sagte Maja, ohne auf seine Frage zu antworten. „Würden Sie so gütig sein, mich zu unterrichten, wie sie heißt?“

      Sie erinnerte sich der Ratschläge Kassandras und war so höflich als möglich.

      Der Käfer bewegte seinen blanken glänzenden Kopf im Rückenschild. Dies ließ sich leicht und angenehm bewerkstelligen, da er ganz prächtig hineinpasste und lautlos hin und her glitt.

      „Sie sind wohl erst von gestern?“ fragte er und lachte, nicht grade höflich, über Majas Unkenntnis. Überhaupt hatte er etwas, was Maja als unfein auffiel, die Bienen waren gebildeter und wussten sich besser zu benehmen. Aber gutmütig schien der Käfer doch zu sein, denn als er sah, wie Majas Wangen sich mit einer feinen Röte der Verlegenheit überzogen, wurde er nachsichtiger gegen ihre Unwissenheit.

      „Es ist eine Rose,“ sagte er, „damit Sie es denn also nun wissen. Wir haben sie vor vier Tagen bezogen und sie ist inzwischen unter unsrer Pflege auf das prächtigste gediehen. Darf ich Sie bitten näher zu treten?“

      Maja zögerte, aber sie überwand ihre Besorgnis und machte ein paar Schritte. Der Käfer drückte ein helles Blättchen beiseite, und sie betraten nebeneinander die schmalen Gemächer mit ihren hellroten, duftenden Wänden und ihrem gedämpften Licht.

      „Sie haben es wirklich reizend“, sagte Maja, die ehrlich entzückt war. „Und dieser Duft hat etwas geradezu Betörendes.“

      Dem Käfer machte es Freude, dass Maja Gefallen an seiner Wohnstätte fand.

      „Man muss wissen, wo man sich aufhält“, sagte er und lächelte wohlwollend. „‚Sage mir, wo du umgehst, und ich werde dir sagen, wieviel du wert bist‘, sagt ein altes Sprichwort. Ist etwas Honig gefällig?“

      „Ach,“ platzte Maja heraus, „das wäre mir wirklich sehr angenehm.“

      Der Käfer nickte und verschwand hinter einer der Wände. Maja sah sich glücklich um. Sie schmiegte ihre Wange und ihre Händchen an die zarten rotleuchtenden Vorhänge, atmete den köstlichen Duft tief ein und war beseligt vor Freude, sich in einer so schönen Wohnung aufhalten zu dürfen. Es ist doch wirklich ein großer Genuss zu leben, dachte sie, und diese Behausung ist den dumpfen und überfüllten Etagen nicht zu vergleichen, in denen wir leben und arbeiten. Schon diese Stille ist ganz herrlich.

      Da hörte sie den Käfer hinter den Wänden in ein lautes Schelten ausbrechen. Er brummte erregt und böse, und es war Maja, als packte er jemanden, den er unsanft vor sich herstieß. Dazwischen vernahm sie ein helles Stimmchen voll Angst und Verdruss und sie verstand die Worte:

      „Natürlich, wenn ich allein bin, dürfen Sie sich herausnehmen, mir zu nahe zu treten; aber warten Sie, wie es Ihnen ergehen wird, wenn ich meine Gefährten hole. Sie sind ein Grobian. Gut, ich gehe. Aber Sie werden die Bezeichnung, die ich Ihnen gegeben habe, niemals vergessen.“

      Maja war sehr erschrocken über die eindringliche Stimme des Fremden, die scharf und böse klang. Sie hörte dann noch, wie jemand sich eilig entfernte.

      Der Käfer kam zurück und warf mürrisch ein Klümpchen Honig hin.

      „Es ist ein Skandal,“ sagte er, „nirgends hat man Ruhe vor diesem Gesindel.“

      Maja vergaß vor Hunger zu danken, sie nahm rasch einen Mund voll und kaute, während der Käfer sich den Schweiß von der Stirn trocknete und seinen oberen Brustring etwas lockerte, um leichter atmen zu können.

      „Wer war denn da?“ fragte Maja mit vollem Mund.

      „Essen Sie bitte erst den Mund leer, schlucken Sie erst herunter,“ sagte der Käfer, „so versteht man Sie nicht.“

      Maja gehorchte, aber der erregte Hausbesitzer ließ ihr keine Zeit zu einer neuen Frage. Ärgerlich fuhr er heraus:

      „Eine Ameise war es. Glauben denn diese Leute, man sparte und sorgte sich Stunde für Stunde nur für sie. Und so ohne Gruß und Anstand in die Vorratskammern zu dringen! Es empört mich. Wenn ich nicht wüsste, dass es bei diesen Tieren in der Tat Mangel an Lebensart ist, würde ich keinen Augenblick anstehen, sie als Diebe zu kennzeichnen.“ — Er besann sich plötzlich und wandte sich Maja zu:

      „Sie verzeihen, ich vergaß mich Ihnen vorzustellen, ich heiße Peppi, von der Familie der Rosenkäfer.“

      „Ich heiße Maja,“ sagte die kleine Biene schüchtern, „es freut mich sehr, Sie kennengelernt zu haben.“ Sie betrachtete den Käfer Peppi genau. Er verbeugte sich wiederholt und breitete dabei seine Fühler

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