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oder Fernsehen ausdrücken.85 Die Ironie von Daninos, der den naiven Eifer der fanatischen Photoamateure verurteilt und über deren lächerliche Photoausrüstung beißenden Spott ausgießt, entlehnt ihre Motive der allgemeinen Konversation, die beruhigend wirkt, indem sie die Gewißheit der anderen bestätigt:

      »Ich hege eine aufrichtige Bewunderung für alle diese Leute, die Spanien oder Italien mit Siebenmeilenstiefeln durchqueren, behängt mit Täschchen, Etuis, Entfernungsmessern, Wechselobjektiven, Belichtungsmessern und Farbthermometern (›um die Farbtemperatur zu messen‹), und die, ohne jemals auch nur einen Knopf an einer ihrer Umhängetaschen oder die kleinste Filmspule zu verlieren, mit Riesenschritten ins Leica-Zeitalter eintreten.«86

      Hinter der Komik des Verhaltens wird die Einstellung zur Kultur sichtbar, wie sie sich vor allem im Tourismus bekundet:

      »Was ich an diesen Kleinbildkameras am meisten furchte, das ist das Erlebnis dieses schrecklichen Sklavendaseins, zu dem sie eine Unzahl von Menschen verdammen, die wahrhaftig ein besseres Los verdient hätten. Sobald sie im Urlaub an einem vom Reiseführer empfohlenen Aussichtspunkt oder Turm ankommen, denken diese Reisenden zuallererst an ihren Apparat. [...] Statt die Landschaft mit den Augen zu betrachten, die sie im Kopf haben, beeilen sich diese Leute, sie von diesem dritten Auge bewundern zu lassen, das sie vor ihrem Bauch tragen.«87

      In Unkenntnis der hohen Praxis der Kontemplation ohne Worte und Gesten, die vor bestimmten Landschaften oder Monumenten geboten wäre, verzehrt sich der unverbesserliche Photograph in seiner mühseligen Suche nach Bildern. Da er verlernt hat, das anzuschauen, was er photographiert88, reist er, ohne zu sehen, und kennt stets nur das, was der Apparat wiedergibt.89 In der Satire auf die passionierten Photographen und die photographische Besessenheit bringt die doxá von Daninos indirekt die Regeln der touristischen und der photographischen Praxis zum Ausdruck, die von der Oberschicht anerkannt werden. Sich zu den Normen der eigenen Gruppe konform zu verhalten, bedeutet demnach die Ablehnung einer vulgären Praxis und die Leugnung der Normen jener Gruppen, von denen man sich zu unterscheiden wünscht. Diese Normen erscheinen dem Bewußtsein lediglich in Gestalt negativer Gebote, die die Angst schüren, sich lächerlich zu machen. Sie können negativ sein, ohne sich auf die simple Negation der Normen anderer Gruppen zu beschränken. In der Ablehnung einer vulgären Praxis bezeugt sich ein Zwang zur Unterscheidung, welcher der Logik des Klassenethos folgt. Die Kleinbild-Fanatiker setzen die mühsame Askese der Aneignung (die sich im Französischen in dem Wort »faire« ausdrückt, z.B. in der Redewendung »faire l’Italie«) an die Stelle der Kontemplation, die angstvolle Akkumulation von Erinnerungen als Spuren und Belege ihrer »Produktivität« an die Stelle des interesselosen Ästhetizismus, der in der unmittelbaren Emotion zu sich selbst findet. Eine solche Einstellung verhält sich zu den sanktionierten Attitüden wie der Fleiß zur Begabung, wie die erworbenen Kenntnisse zur »natürlichen Qualifikation«. Die Vorstellung, die sich die Oberklassen von der touristischen und photographischen Praxis machen, unterliegt offenbar demselben charismatischen Prinzip wie ihre Vorstellung von »kultivierter Haltung«, ja, ihre Haltung zur Kultur überhaupt.

      Das Streben nach Statusunterschieden (das sich auf allen Stufen der sozialen Hierarchie beobachten läßt) verstärkt also lediglich die Klassenunterschiede. Da es keine Instanzen gibt, die eine Hierarchie von Praxistypen und eine allgemein akzeptierte Rangordnung der konformen Verhaltensweisen zu definieren vermöchten, können Verfeinerung und Differenzierung im Bereich der Photographie einzig in der Gegnerschaft zur Vulgarität sichtbar werden – die Angehörigen der Oberklassen können sich nur negativ definieren, gleichgültig, ob sie eine gute Photographie kennzeichnen als »ein Werk, das mit dem der anderen nicht vergleichbar ist«, oder ob sie in ihrer ästhetischen Wahl darauf zielen, »nicht einfach die üblichen Urlaubsbilder zu machen«. Kurz, selbst im günstigsten Fall ist die photographische Praxis kaum jemals auf spezifisch und streng ästhetische Zwecke gerichtet. Abgesehen davon, daß das Unterfangen, weil es sich nicht auf Sprache und begründete Normen stützen kann, besonders schwierig ist, verwirklicht sich die ästhetische Absicht, die immer schon eine von vielen Formen des Strebens nach Unterscheidung oder, wie man sagt, »Distinguiertheit« war, letztlich in der Tat nur mittels der Negation, also ebensowohl in einer Praxis, die mit der allgemeinen Laxheit bricht, wie in dem Verzicht auf jederlei Praxis.

      Ihrer sozialen Funktion verdankt die Photographie ihre immense Verbreitung, aber auch ihre Eigentümlichkeiten und, nicht zuletzt, sogar die Grenzen dieser Verbreitung. Daß die photographische Praxis stärker als jede andere kulturelle Tätigkeit einem natürlichen Bedürfnis zu folgen scheint, hängt fraglos mit ihrer Verbreitung zusammen, aber auch damit, daß sie, anders als das Interesse für Museen oder Konzerte, über keine Institution verfügt, die sie explizit vergesellschaftete oder sie förderte, und daß die mit ihr verbundenen Prestigegewinne nicht gravierender sind als die Mißbilligung, der der Verzicht auf sie anheimfällt.90 Weder natürlich noch bewußt erzeugt, ist das Bedürfnis nach Photographien und photographischer Praxis nichts anderes als der Reflex ihrer sozialen Funktion im Bewußtsein der Subjekte. Da sie keine methodische Bildung zur Voraussetzung hat, verwundert es nicht, wenn sie einerseits, trotz wirtschaftlicher Barrieren, weit verbreitet ist, und wenn andererseits die Bildungs-, d.h. Klassenunterschiede in ihr nicht so nachhaltig und deutlich hervortreten wie bei anderen kulturellen Tätigkeiten, die eklatant Bildungsunterschiede aktualisieren. Die Entscheidung für bestimmte Radioprogramme zum Beispiel ist – vermittelt über das Bildungsniveau – ähnlich eng an die Schichtzugehörigkeit gebunden wie das Interesse für Museen, und die Haltung der Hörer ist um so selektiver und aufnahmewilliger, je gebildeter sie sind.91 Woran liegt es, daß die Beschäftigung mit Photographie sich für die Aktualisierung solcher Einstellungsunterschiede nicht sonderlich eignet? Sicherlich kommt Bildungsbeflissenheit leichter im Fall schlichten Konsumierens zum Ausdruck, etwa beim Anhören von Radiosendungen, als in einer praktischen Tätigkeit. Und zweifellos kann sich (zumal bei den Angehörigen der Mittelschicht) der »Wille zur Bildung« in verbalen Bekenntnissen erschöpfen. Aber man sollte sich davor hüten, den Gegensatz zu übertreiben: Tatsächlich kann das Anhören von Radiosendungen nicht weniger Aktivität signalisieren als das Photographieren, sofern ihm eine Wahl zugrunde liegt und sofern es Aufnahmebereitschaft voraussetzt. Im übrigen genügt die bloße Absicht, sich von anderen zu unterscheiden, niemals zur positiven Bestimmung von Praxis. An der kulturellen Lage der Mittelklassen läßt sich ablesen, daß die Verneinung einer Konvention noch nicht das Tor zur Wahrheit ist. Die undifferenzierte Ablehnung der Ästhetik und Praxis der unteren Volksschichten kann sehr wohl zum Ergebnis haben, alles gutzuheißen, was, jedenfalls auf den ersten Blick, anders als das Abgelehnte ist.

      Die Verwirklichung der künstlerischen Absicht ist in der Photographie deshalb so schwierig, weil sie sich nur schwer der Funktionen zu entledigen vermag, denen sie ihre Existenz verdankt.92 Es wäre naiv zu glauben, daß mit der Photographie zugleich die ästhetische Erfahrung allen zugänglich sei: Tatsächlich wirkt hier dasselbe Prinzip, aufgrund dessen die Photographie eine weitverbreitete Praxis und lediglich in seltenen Fällen der Hebel einer ästhetischen Erfahrung ist. Da sie fast immer bewußte oder unbewußte soziale Funktionen übernimmt und eng an das Familienleben, seine Werte und Rhythmen gebunden ist, sind ihre Begründungen ebenso wie ihre Existenzberechtigung geborgt. Die traditionellen Normen der Praxis setzen sich um so gründlicher durch, je mehr die Praxis selbst sich durchsetzt. So kommt es, daß ceteris paribus die Personen, die nicht photographieren, weit häufiger als die Photographen selbst gegenüber der Photographie eine ästhetische Position einnehmen, übrigens vorzugsweise gegenüber den Produkten der anderen. Der Photograph, der seine Photos anderen zeigt, verfährt im Gegensatz zum Maler mißbräuchlich, da das photographierte Subjekt, das kein universelles Subjekt ist, sich nicht an die Gesamtheit der Betrachter wendet. Wenn ich selbst dem Kind, das ich photographiere, oder der Photographie eines Kindes anders gegenübertrete als dem gemalten Kinderbildnis (weil es das eigene Kind oder die eigene Photographie ist), dann kann ich nicht von anderen erwarten, diese Photographie wie ein Kinderbildnis zu betrachten, und falls sie dies dennoch tun, steht es ihnen frei, darin nichts Interessantes zu entdecken.

      Wenn es nun aber »natürlich« ist, daß die Amateure sich nur selten von den traditionellen Funktionen der Photographie lösen, wie ist dann zu erklären, daß die ästhetischen Ansprüche häufiger in Praxisverweigerung als in anspruchsvoller

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