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bewahrt und seien gegen das System gefeit, sie gehörten ja nicht wirklich dazu. Als sie dann im Ruhestand waren und ihre Häuser in der Cité du 11-Décembre in Dely Brahim bezogen hatten, engagierten sie sich nach und nach in Oppositionsparteien, meldeten sich dort lautstark zu Wort, um alle wissen zu lassen, dass es einen politischen Wechsel brauche. »Jetzt sind wir an der Reihe«, wiederholten sie ein ums andere Mal im Verlauf ihrer zahllosen Spaziergänge. »Ja, bald sind wir dran.« Und dieses »Wir« umfasste die Männer ihrer Generation, die vor der Unabhängigkeit geboren waren und noch immer nicht ihren Platz in der Gesellschaft gefunden hatten, weil die noch Älteren sie daran hinderten. Dieses »Wir« war mehr als ein vager Traum. Es war ein Versprechen, ein Schwur. Eines Tages, davon waren Mohamed und Scherif überzeugt, würden diese Älteren das Feld räumen und ihren Platz an sie abtreten müssen.

      An diesem 3. Februar, als General Saïd und General Athman auf dem Bolzplatz eintrafen, blieben die beiden Freunde auf Abstand und diskutierten weiter über die bevorstehenden Wahlen. Mohamed, der gerade eine Oppositionspartei gegründet hatte, redete seinem Freund zu, dort Mitglied zu werden. Es war ihm gelungen, ehemalige Minister, pensionierte Militärs, Universitätsprofessoren und zwei noch aktive Richter für seine Partei zu gewinnen. Scherif zögerte. Er mochte das Leben, wie es gerade war, ganz gerne und fürchtete eventuelle Repressalien gegenüber seiner Frau und den Kindern. Und ausserdem hatte er soeben einen lukrativen Vertrag als Kommunikationsberater bei der Provinz Constantine abgeschlossen. Wenn er jetzt in die Partei seines Freundes eintrat, würde der Gouverneur ihm dann nicht den Vertrag wieder kündigen? Das Geld konnte er gut gebrauchen, in Dely Brahim zu leben überstieg seine Mittel, doch das traute er sich seinem Freund nicht zu sagen.

      Erst als sie immer heftigeres Geschrei vernahmen, hatten Mohamed und Scherif den Blick wieder dem Bolzplatz zugewandt und die Jugendlichen gesehen, die sich da mit den Generälen schlugen. Auch Adila war unter ihnen, die Mudschahida, die mit ihrer Krücke auf die beiden Männer einschlug, angefeuert von der Verrückten mit dem roten Haar: »Nur zu! Auf den Rücken! Auf den Hintern! Spalte ihnen den Schädel!« Die Szene kam ihnen so surreal vor, dass sie sekundenlang erstarrten und sich fragten, ob sie nicht Opfer einer Halluzination waren.

      Dann aber spurteten sie los.

      »Wir haben versucht, uns zwischen die Jugendlichen und die Generäle zu werfen«, erklärte Mohamed.

      »Genau, versucht haben wir es, aber es war ganz schön kompliziert«, pflichtete Scherif ihm bei.

      »Wir hatten Mühe, zu verstehen, was eigentlich los war. Am Anfang waren da nur ein paar Jugendliche, darunter mein Sohn Jussef, und ich habe ihn von dort weggedrängt, so gut ich konnte.«

      »Er war wie besessen, ya Si Mohamed!«

      »Ja, ich weiss nicht, was in ihn gefahren war …«

      »Dann haben die Generäle ihre Waffen gezogen.«

      »So war es, wir haben gesehen, wie sie die Waffen zogen.«

      »Der Chauffeur ist im Wagen geblieben, er wirkte völlig verschreckt, der Feigling.«

      »Aber dann hat er sein Handy genommen und wild herumtelefoniert.«

      »Einer der Generäle hat einem der Jugendlichen einen ganz gemeinen Fusstritt verpasst!«

      Unisono entfuhr allen Mündern tadelndes Gemurmel.

      »Schämen sollten sie sich!«

      »Man tritt keinen Mann unter der Gürtellinie, selbst wenn man General ist.«

      Scherif fuhr fort: »Und dann bekam Jussef die Waffe des einen Generals zu packen, die der direkt auf ihn angesetzt hatte! Verzeih, Mohamed, aber dein Sohn hat da wirklich Bockmist verzapft.«

      »Ich weiss … dabei ist es gar nicht seine Art, sich zu schlagen …«

      »Ja, normalerweise ist er ein ganz besonnener Junge.«

      »Du weisst doch, wie die Jungs heute so sind, hängen den ganzen Tag im Internet herum und denken am Ende, sie hätten das Recht, zu tun, was sie wollen.«

      Die versammelte Männerschar drängte die beiden, die Geschichte weiterzuerzählen.

      »Die beiden Generäle waren sehr überrascht, dass es meinem Sohn gelungen war, sich der Waffe zu bemächtigen.«

      »Sie hatten gedacht, der blosse Anblick der Pistolen würde alle zur Räson bringen.«

      Mohamed fügte erregt hinzu: »Die drei Jugendlichen haben das ausgenutzt, um sich auf die Generäle zu stürzen!«

      »Es war unglaublich!«, bestätigte Scherif.

      »Sie haben sie beleidigt! Sogar ihre Mütter haben sie beleidigt!«

      »Die alte Adila hat gar nicht mehr aufgehört, mit ihrer Krücke auf die Generäle einzudreschen. Sie war schon ganz rot im Gesicht und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, wegen ihres Knöchels und dem ganzen Schlamm.«

      »Und dazu dann noch die Verrückte mit dem roten Haar, die auf einmal anfing, unsinniges Zeug zu kreischen. Uns war gar nicht wohl in unserer Haut.«

      »Und dann sahen wir die Gendarmen anrücken.«

      »Mein Sohn Jussef hat seine Freunde gewarnt und sie weggeschickt. Das waren Jugendliche aus dem Cheraga-Viertel. Er hatte Angst, die Gendarmen könnten sie sich am Ende noch schnappen. Ihre Eltern sind einfache Sekundarschullehrer …«

      »Die Gendarmen haben Jussef und die alte Adila abgeführt. Die rothaarige Verrückte wäre am liebsten auch mit zur Gendarmerie gekommen, aber niemand wollte sich mit ihr abgeben.«

      Die Militärs schütteten sich jetzt vor Lachen aus: »Die Generäle haben die Waffe gezogen, stellt euch das mal vor!«

      »Ja, aber auf die Jugendlichen hat es gar keinen Eindruck gemacht.«

      »Das hat den Generälen aber mal gutgetan, so eine kleine Abreibung!«

      »Und die alte Adila mit ihrer Krücke, die auch mit dreingeschlagen hat!«

      »Na klar, der Alten, der darf man nicht in die Quere kommen.«

      »Die versteht keinen Spass!«

      »Das hätte ich mal sehen wollen!«

      Zwar stimmt Mohamed ins Gelächter seiner Freunde mit ein, denn er will ja Haltung zeigen, aber insgeheim macht er sich langsam Sorgen um seinen Sohn, der noch immer nicht heimgekommen ist. Er ist ihm nicht nachgelaufen, wütend, wie er war, über das Benehmen des jungen Mannes, aber je mehr Zeit verstreicht, umso weniger optimistisch sieht er den kommenden Dingen entgegen.

      Hat man in Algerien je Generäle erlebt, die einer Revolte mit Wohlwollen begegnet wären?

      5

      Wie ist es passiert? So sollten die Gattinnen der beiden Generäle fragen, als diese wütend und gedemütigt nach Hause kamen. Und die Frage regte sie nur noch mehr auf.

      General Saïd antwortete nicht gleich und ging erst mal in den Garten, ein paar Zigaretten rauchen. Seine Frau lief ihm nach und wartete brav auf der steinernen Bank, dass ihr Mann sich beruhigte. Doch der schäumte vor Wut, während er durch den Garten seiner grossen Villa tigerte und »diese Rowdys, diese Schufte, diese Terroristen« verfluchte.

      General Athman dagegen trommelte seine Gattin und alle fünf Kinder im Wohnzimmer zusammen. Er wollte die ganze Familie um sich haben, bevor er berichtete, was passiert war. So machte er es immer.

      Und irgendwann begannen sie dann beide zu erzählen.

      Nach einstündiger Fahrt waren sie schliesslich auf dem Grundstück angekommen, einer Stunde Fahrt für eine Strecke, für die man normalerweise dreissig Minuten brauchte, aber dieser elende Regen, dazu der Schlamm und vor allem die Unfähigkeit der Algerier, anständig Auto zu fahren, das hatte halt alles verzögert. »Scheissland!«, rief General Saïd. Seine Frau nickte zustimmend. Als sie dann auf ihrem Grundstück eintrafen, und jeder General betonte mit Nachdruck: »auf MEINEM Grundstück«,

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