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nuancierte Darstellung für seine Zwecke brauchbar zu machen, erhob sich wiederum. Sobald er aber mehr als einen Satz gesprochen hatte, begann der alte Zipper ihn wieder durch ein immer heftigeres Kopfschütteln zu dementieren. So, daß schließlich der Richter den Alten selbst aufforderte zu sprechen. Nun begann Zipper Wort für Wort zu wiederholen, was sein Anwalt gesagt hatte. Denn auch er war klug genug, die Sachlage günstiger zu deuten, als sie etwa das Gericht oder der Vertreter der Anklage auslegen mußten. Aber außerstande zu schweigen, während man seine Angelegenheit besprach, und leicht gekränkt über die stumme Rolle, zu der ihn sein Verteidiger verurteilte, leugnete der alte Zipper, wenn er saß, die Tatsachen, die er selbst erzählte, wenn er aufstand. Und sooft ihn, während er mit dem Kopf verneinte, der Richter fragte: »Also, Herr Zipper, geben Sie zu –«, erhob er sich, um zur allgemeinen Überraschung zu erklären: »Keineswegs. Ich stimme vollkommen mit meinem Herrn Verteidiger überein.« Hierauf machte Zipper eine Verbeugung vor dem Gericht, eine leichtere vor seinem Anwalt, setzte sich, wandte mir den Kopf zu und lächelte.

      Es schien, daß infolge dieser ungewöhnlichen Gebräuche des Angeklagten der Prozeß noch verwickelter werden könnte. Infolgedessen machte sich auf den Gesichtern aller Beteiligten eine leise Ermattung bemerkbar. Nur das Gesicht des Alten war strahlend, frisch, er sah aus wie aus einem Bad gestiegen, ich zweifle, ob er einen solchen Triumph gezeigt, wenn er den Prozeß gewonnen hätte. Der Verteidiger, der die allgemeine Müdigkeit für seine verlorene Sache ausnutzen wollte, erhob den Antrag auf unbestimmte Vertagung, auf die Vorladung neuer Zeugen und erklärte, neue »Unterlagen« beschaffen zu wollen. Das Gericht vernahm diesen Antrag mit Freude und gab ihm statt. Zipper machte eine tiefe Verbeugung, schloß mit einem schnarrenden Geräusch die Aktentasche und verließ den Saal mit so gemessener Langsamkeit, den Zylinder in der bereits behandschuhten Rechten, daß sich der Gerichtsdiener, wahrscheinlich ohne es zu wissen, vor ihm verneigte wie vor einem Staatsanwalt.

      Ich hatte erwartet, daß der Herr Zipper mit mir über den Prozeß sprechen würde. Er aber begrüßte mich mit der Frage: »Ist Arnold schon verreist?« Und als ich bejahte, sagte Zipper: »Dann werde ich ihm das Geld schicken. Ich werde mir bei meinem Rechtsanwalt den Vorschuß zurückgeben lassen. Er ist übrigens ganz unfähig, mein Herr Rechtsanwalt. Ich wollte ihn nur nicht blamieren. Wissen Sie, woran ich während der ganzen Verhandlung gedacht habe? Ich habe mir vorgestellt, daß es besser gewesen wäre, meinen Sohn Rechtsanwalt werden zu lassen. Arnold hat ein ausgesprochen juristisches Gehirn.«

      Am Abend fuhr der alte Zipper nach Hause. Als ich ihm auf dem Bahnhof die Hand gab, sagte er unvermittelt: »Werden wir uns noch wiedersehn?« Es war, als wenn plötzlich eine Wolke über seine sonnige Torheit dahergesegelt käme. Vielleicht hatte ihm der Tod, der schon hinter seinem Rücken stand, leise auf die Schulter geklopft. Ich wollte ihm noch mit einem üblichen Troste antworten. Aber der Zug glitt mir vor dem geöffneten Mund davon, und es blieb mir nichts übrig, als meinem alten Freund nachzuwinken. Sein Taschentuch konnte ich noch lange unterscheiden. Es schien heftiger zu flattern als die andern.

      Am selben Abend noch sah ich den Dämonischen im nächtlichen Klub. Er erzählte, daß Erna vom Pferde gestürzt sei und sich verletzt habe. Er hätte zurück müssen, weil sein Geld zu Ende gegangen sei, die Aufnahmen noch immer nicht begonnen hätten, kein Mensch von der Direktion sich hätte blicken lassen. Infolgedessen habe Erna um ihren Mann telegraphiert.

      Es erwies sich, daß Erna schwer krank war. Sie wurde in ein Sanatorium nach Berlin gebracht.

      Das war Arnolds schönste Zeit. Denn er durfte bei ihr die ganze Nacht über bleiben, er wohnte im Sanatorium.

      Bei Tag empfing sie die Besuche, die einer Künstlerin gebühren, wenn sie einen Unfall erlitten hat. Sie erhielt sämtliche Genugtuungen, die in solchen Fällen in Betracht kommen. Sie erfuhr den ganzen Umfang der Wertschätzung, den man ihr zollte. Nichts Angenehmeres, als eine Art von Nachrufen zu lesen und zu wissen, daß man am Leben bleibt.

      Man verschob die Aufnahmen. In manchen Berichten über Feste und Bälle stand es, daß man sie »vermißte«. Oh, süße Einrichtung eines blumengeschmückten Krankenlagers! Glückliche Folge eines schweren Unfalls! Aufgesucht-und Vermißtwerden in einem!

      Man mußte sie operieren. Es stellte sich heraus, daß sie eine längere Zeit hinken würde.

      Allmählich verschwand ihr Name aus den Blättern. Der Film wurde ohne sie gedreht. Ihre Stellvertreterin hatte gute Kritiken. Die Vorschüsse schränkte man ein. Sie verließ das Sanatorium. Arnold zog in ihre Villa.

      Sie verkaufte das Automobil. Sie entließ den Gärtner. Die Freundinnen zogen aus. Das Grammophon nur blieb im Hause. Die Besuche wurden selten. Es schien, daß die jungen Zippers nur von Arnolds Einkünften lebten.

      Sie verkauften das Haus und zogen in die Stadt und mieteten eine Wohnung. Zuerst war es eine große Wohnung in einem Vorderhaus. Dann erfuhr Arnold, daß eine ebenso große Wohnung, aber um die Hälfte billiger, in einem Hinterhaus zu vermieten wäre. Und sie zogen in ein Hinterhaus. Man passierte, ehe man zu ihnen gelangte, einen langen Flur, einen geräumigen Hof, in dem Hühner gackerten. Der Portier hielt die Fenster seiner Küche offen. Man roch, was er aß. Jetzt hatte Arnold auch einen Salon. Es war nicht mehr, wie bei ihm zu Hause, ein dunkler, feuchter Salon. Es war ein warmer, trockener. Auf der Kommode standen winzige Buddhas mit Schublädchen in den Bäuchlein. In diesen Schubläden lagen Kleinigkeiten, Abfälle, Bestandteile von den Toiletten Ernas.

      Sie hatten ein Dienstmädchen, eine strenge Frau mit einem Angesicht wie eine Baumwurzel, knollig, schwarz. Sie steckte in einer langen blauen Schürze. Das Muster erinnerte mich an die Schürze der Frau Zipper.

      Man aß in einem Zimmer, dessen Tür zur Küche führte. Man aß an einem runden kleinen Tisch, jeden Tag ließ Erna neue Blumen bringen.

      Mit großer Sorgfalt las sie alle Zeitungen, die sie früher nicht einmal dem Namen nach gekannt hatte. Seitdem ihr Ruhm verfiel, suchte sie nach den Neuigkeiten der Welt, der versunkenen Welt, mit Qual und Neugier. Da sie sich vorläufig ohne Ziel sah, schien es, daß ihr Verstand sich verringerte. Er war ein Apparat, der nur unter bestimmten Bedingungen funktionierte.

      Erna wurde empfindlich, mißtrauisch, weinerlich, eine klägliche kleine Frau. Sie kombinierte immer noch scharf, aber falsch. Sie verdächtigte Arnold, daß er nicht genug für sie arbeite. »Es wäre seine Pflicht«, sagte sie, »mich jeden Tag der Welt ins Gedächtnis zu rufen. Er aber ist froh, daß ich nicht spiele.« Kam er nach Haus, erzählte er, daß er in einer Gesellschaft gewesen sei, so fragte sie: »Hat man von mir gesprochen?« Haarklein mußte Arnold berichten, bei welcher Gelegenheit, warum, wieso die Rede auf Erna gekommen wäre. Er mußte die Kleider der Frauen schildern, seine Gespräche wörtlich wiedergeben. War sie nicht einmal auch von ihrer Mutter ausgefragt worden?

      Ihr Gebrechen heilte nicht. Wenn es kalt war, wurde es schlimmer. Man schickte sie im Winter nach Nizza. Allein wollte sie nicht fahren. Arnold mußte sie begleiten. Er bekam sechs Wochen Urlaub. Als sein Urlaub zu Ende war, zwang sie ihn, bei ihr zu bleiben. Sie machten Schulden. Der alte Zipper schickte noch einmal Geld.

      Ein halbes Jahr später traf ich Arnold in Monte Carlo. Er spielte und gewann. Es waren keine großen Summen. Aber er konnte mit seiner Frau von den Gewinsten leben. Er gewann jeden Tag ein paar hundert Francs.

      »Ich habe gar kein System«, sagte Arnold, »ich gewinne, einfach, weil ich bescheiden bin. Ich gehe jeden Vormittag hierher, langsam, gedankenlos, wie man in ein gleichgültiges Amt geht, wo einem nichts zustoßen kann. Jeden Abend um sechs Uhr löse ich die Marken ein. Nie waren es mehr als tausend Franken. Manchmal sind es hundert, manchmal dreihundert, manchmal siebenhundertfünfzig.«

      »Was macht Erna?«

      »Es geht immer besser. Sie nimmt zu und sorgt schon wieder fürs Magerwerden. Sie ist entschlossen, wieder zu spielen.

      Ich glaube aber nicht daran. – – Sie ist mir übrigens ganz gleichgültig.«

      »Gleichgültig?«

      »Ja, warum nicht? Ich bin nicht verliebt. Wir leben wie ein

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