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      1916

      I

      Das höchst Barbarische in der Gestalt des Sokrates ist, daß dieser unmusische Mensch die erotische Mitte der Beziehungen des platonischen Kreises bildet. Wenn aber seine Liebe der allgemeinen Fähigkeit sich mitzuteilen: der Kunst entbehrt, wovon bestreitet er ihr Wirken? Vom Willen. Sokrates bildet den Eros zum Diener seiner Zwecke. Dieser Frevel reflektiert sich im Kastratentum seiner Person. Denn darauf bezieht sich doch zuletzt der Abscheu der Athener, ihr Empfinden, wenn auch subjektiv gemein, ist historisch im Recht. Er vergiftet die Jugend, er verführt sie. Seine Liebe zu ihr ist nicht ›Zweck‹ noch reines Eidos, sondern Mittel. Das ist der Magier, der Maieutiker der die Geschlechter vertauscht, der unschuldig Verurteilte, der aus Ironie und zum Hohn seiner Gegner stirbt. Seine Ironie schöpft aus dem Grausen, aber dabei bleibt er doch noch der Unterdrückte, Ausgestoßene, der Verächtliche. Ein wenig selbst ein Spaßmacher. – Der sokratische Dialog will mit Beziehung auf den Mythos studiert sein. Was hat Plato damit gewollt? Sokrates: das ist die Gestalt, in der er den alten Mythos annihiliert und rezipiert hat. Sokrates: das ist das Opfer der Philosophie an die Götter des Mythos, die Menschenopfer fordern. Mitten im fürchterlichen Kampf sucht sich die junge Philosophie in Plato zu behaupten1235.

      II

      Grünewald hat die Heiligen dadurch so groß gemalt, daß ihre Glorie aus dem grünsten Schwarz tauchte. Das Strahlende ist nur wahr, wo es sich im Nächtlichen bricht, nur da ist es groß, nur da ist es ausdruckslos, nur da ist es geschlechtslos und doch von überweltlichem Geschlechte. Der So Strahlende ist der Genius, der Zeuge jeder wirklich geistigen Schöpfung. Er bestätigt, er verbürgt ihre Geschlechtslosigkeit. In einer Gesellschaft aus Männern gäbe es nicht den Genius; er lebt durch das Dasein des Weiblichen. Es ist wahr: das Dasein des Weiblichen verbürgt die Geschlechtslosigkeit des Geistigen in der Welt. Wo ein Werk, eine Tat, ein Gedanke ohne das Wissen um dieses Dasein entsteht, da entsteht etwas Böses, Totes. Wo es aus diesem Weiblichen selbst entsteht, da ist es flach und schwach und durchbricht nicht die Nacht. Wo aber dieses Wissen um das Weibliche in der Welt waltet, wird was dem Genius eignet geboren. Jede tiefste Beziehung zwischen Mann und Weib ruht auf dem Grunde dieses wahren Schöpferischen und steht unter dem Genius. Denn es ist soweit falsch, zwischen Mann und Weib die innerste Berührung als begehrende Liebe zu deuten, daß unter allen Stufen jener Liebe sogar die mannweibliche die tiefste, die herrlichste und erotisch und mythisch höchst vollendete, ja fast strahlende (wenn sie nicht so ganz nächtig wäre) die weib-weibliche ist. Es ist noch das größte Geheimnis, wie das bloße Dasein des Weibes die Geschlechtslosigkeit des Geistigen verbürgt. Die Menschen haben es nicht lösen können. Noch immer ist ihnen Genius nicht der Ausdruckslose, der aus der Nacht bricht, sondern er ist ihnen ein Ausdrücklicher, der im Licht schwingt.

      Sokrates preist im Symposion die Liebe zwischen Männern und Jünglingen und rühmt sie als das Medium des schöpferischen Geistes. Nach seiner Lehre geht der Wissende mit dem Wissen schwanger, und das Geistige kennt Sokrates überhaupt nur als Wissen und als Tugend. Der Geistige aber ist – vielleicht nicht der Zeugende – sicherlich aber der ohne schwanger zu werden empfängt. Wie für das Weib unbefleckte Empfängnis die überschwengliche Idee von Reinheit ist, so ist Empfängnis ohne Schwangerschaft am tiefsten das Geisteszeichen des männlichen Genius. Es ist an seinem Teile ein Strahlen. Das vernichtet Sokrates. Das Geistige des Sokrates war ein durch und durch Geschlechtliches. Sein Begriff von geistiger Empfängnis ist: Schwangerschaft, sein Begriff von geistiger Zeugung: Entladung der Begierde. Das verrät die sokratische Methode, die eine ganz andere ist als die platonische. Die sokratische ist nicht die heilige Frage, die auf Antwort wartet und deren Resonanz erneut in der Antwort wieder auflebt, sie hat nicht wie die reine erotische oder wissenschaftliche Frage den Methodos der Antwort inne, sondern gewaltsam, ja frech, ein bloßes Mittel zur Erzwingung der Rede verstellt sie sich, ironisiert sie – denn allzugenau weiß sie schon die Antwort. Die sokratische Frage bedrängt die Antwort von außen, sie stellt sie wie die Hunde einen edlen Hirsch. Die sokratische Frage ist nicht zart und so sehr schöpferisch als empfangend, nicht geniushaft. Sie ist gleich der sokratischen Ironie, die in ihr steckt – man gestatte ein furchtbares Bild für eine furchtbare Sache – eine Erektion des Wissens. Durch Haß und Begierde verfolgt er das Eidos und sucht es objektiv zu machen, weil die Schau ihm versagt ist. (Und sollte platonische Liebe heißen: unsokratische Liebe?) Dieser furchtbaren Herrschaft sexueller Anschauungen im Geistigen entspricht – eben als Folge davon – die unreine Vermischung dieser Begriffe im Natürlichen. Same und Frucht, Zeugung und Geburt nennt seine sympotische Rede in dämonischer Ununterschiedenheit, und stellt im Redner selbst die fürchterliche Mischung vor: Kastrat und Faun. In Wahrheit, ein Nicht-Menschlicher ist Sokrates, und unmenschlich, wie einer, der von menschlichen Dingen keine Ahnung hat, geht seine Rede über den Eros. Denn so steht Sokrates und sein Eros in der Stufenfolge der Erotik: die weibweibliche, die mann-männliche, die mann-weibliche, Gespenst, Dämon, Genius. Es ist ihm ironisches Recht geschehen mit Xanthippe.

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      1916(?)

      Friedrich Schlegel sieht in seiner Charakteristik des mittelalterlichen Geistes das negative Moment dieser Epoche in der herrschenden unbeschränkten Richtung auf das Absolute, die sich in der Kunst als gezierte Phantasie, in der Philosophie und Theologie der Scholastik als ein nicht minder gezierter Rationalismus geltend macht. Das soll durch den Kontrast gegen die asiatische Geistesrichtung noch etwas ausgeführt werden. Auch der asiatische Geist ist durch eine hemmungslose Versenkung in das Absolute in Philosophie und Religion bezeichnet. Dennoch trennt ihn vom mittelalterlichen Geiste ein Abgrund. Ihm liegt bei äußerster Formgröße nichts ferner als Geziertheit. Seine innerste Verschiedenheit vom Geiste des Mittelalters beruht darin, daß er das Absolute, aus dem er die Sprache seiner Formen entfaltet, als gewaltigsten Inhalt gegenwärtig hat. Der Geist des Orients verfügt über die wirklichen Inhalte des Absoluten, was schon in der Einheit von Religion Philosophie Kunst, vor allem in der Einheit von Religion und Leben sich anzeigt. Man hat oft gesagt, daß im Mittelalter die Religion das Leben beherrschte. Aber erstens war die Herrscherin die Ekklesia, und zweitens findet zwischen herrschendem und beherrschtem Prinzip stets eine Trennung statt. Es ist eben für den Geist des Mittelalters über alles bezeichnend, daß seine Tendenz aufs Absolute, je radikaler sie auftritt, zugleich desto formaler ist. Die ungeheure mythologische Hinterlassenschaft der Antike ist noch nicht verloren gegangen, aber der Maßstab für ihren Realgrund fehlt, und es sind nur Impressionen von ihrer Macht zurückgeblieben: der Ring Salomonis, der Stein der Weisen, die sibyllinischen Bücher. Die formale Idee der Mythologie: das Machtverleihende, das Magische ist dem Mittelalter lebendig. Aber in ihm kann diese Macht nicht mehr legitim sein: die Kirche hat ihre Lehnsherren, die Götter, vernichtet. Hier ist nun ein Ursprung des formalistischen Geists der Epoche. Sie sucht die Macht über die entgötterte Natur auf einem Umwege zu erlangen, sie treibt Magie ohne mythologische Grundlage. Es entsteht ein magischer Schematismus. Man vergleiche die magische Praxis der Antike mit der des Mittelalters im Reich der Chemie: die antike Zauberei verwendet die Stoffe der Natur zu Tränken und Salben, die bestimmte Beziehung auf das mythologische Naturreich haben. Der Alchimist sucht — auf magischem Wege zwar – aber was? das Gold. – Analog verhält es sich mit der Kunst.. Sie entspringt mit dem Ornament aus dem Mythischen. Das asiatische Ornament ist mythologisch gesättigt, das gotische Ornament ist rational-magisch geworden. Es wirkt, aber auf Menschen, nicht auf Götter. Das Erhabene muß als Hohes und Höchstes erscheinen, die Gotik gibt die mechanische Quintessenz des Erhabenen, das Hohe, Schlanke, das potentiell unendlich Erhabene. Der Fortschritt ist automatisch. Dieselbe tiefe sehnsüchtige, entgötterte Äußerlichkeit liegt noch im malerischen Stil der deutschen Frührenaissance und Botticellis. Das Gezierte dieser Phantastik entspringt aus dem Formalismus. Wo er den Zugang zum Absoluten eröffnen will, da verkleinert sich dieses gewissermaßen im Maßstabe, und wie die Entfaltung des gotischen Stils nur in der drangvollen Enge mittelalterlicher Städte möglich war, so auch nur unter einer Weltansicht, die gewiß ihrem absoluten Größenmaßstab nach kleiner gezirkelter als die der Antike, auch als die unsere, gewesen ist. Im höchsten Mittelalter war die antike Weltansicht endlich in hohem Maße vergessen, und in dieser verkleinerten Welt, die blieb, ist der scholastische Rationalismus

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