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muss.

      Ich schreibe mit dem Zeigefinger in den Schnee:

      IST

      Dann wische ich es mit der flachen Hand weg. Der Schnee liegt wieder glatt da. Ich schreibe:

      ES

      Wische es wieder weg, schreibe:

      MEINE

      Wische, schreibe:

      SCHULD?

      Ich wische alles weg und stehe auf. Gehe davon und schaue mich nicht um.

      DIE LISTE

      Meine Strategie ist einfach. Mama ist mit ihrem Leben gescheitert. Und gestorben. Dafür gibt es eine Menge Gründe. Mein Leben soll gelingen, das habe ich mir vorgenommen. Eine Möglichkeit, damit es gelingt, muss sein, nicht dieselben Sachen wie Mama zu machen. Aus ihren Irrtümern zu lernen und das Gegenteil zu machen. Darum habe ich eine Liste mit sieben wichtigen Punkten zusammengestellt, Lösungen für meine Probleme. Die Punkte hab ich mit winzig kleinen Minibuchstaben auf ein Blatt Papier geschrieben. Die Liste liegt in meinem großen Darth-Vader-Wecker, gut versteckt im Batteriefach.

      SACHEN, DIE ICH TUN MUSS, UM ZU ÜBERLEBEN

      Alle nerven mich damit, dass Mama und ich uns so ähnlich sehen. Sahen. Sahen, meine ich. Glauben die, das würde mich FREUEN, oder was? Mein Gesicht ändern, das ist natürlich ziemlich schwierig. Papa wäre wohl nicht unbedingt damit einverstanden, dass ich mir das Gesicht operieren lasse. Aber. Sowohl ich als auch Mama haben lange, braune Haare. Oder, ja, ja, klar, sie hatte. (Oje. Hatte, hatte! Ist das denn so schwer?)

       1. Haare abschneiden.

      Mama hat versucht, sich um ein Kind (mich) zu kümmern. Das ging total schief.

       2. Versuch gar nicht erst, dich um etwas Lebendiges zu kümmern.

      Mama hat unglaublich viele Bücher gelesen. Im Wohnzimmer und neben ihrem Bett lagen immer Berge von Büchern. Ist sie dadurch glücklicher geworden? Nein. Sie hat sich in das Elend anderer Menschen vergraben. Von Menschen, die nicht einmal existieren!

       3. Keine Bücher lesen.

      Mama hat immer schwarze Sachen angehabt. Also, ehrlich – wird man davon etwa froh?

       4. Immer nur bunte Outfits anziehen.

      Mama hat viel zu viel gedacht. Sie bereute alles Mögliche, was sie gesagt und getan hatte. Dachte daran, wie es früher war. Dachte zu viel daran, was andere dachten.

       5. Nicht zu viel denken (am besten überhaupt nicht).

      Mama machte lange Waldspaziergänge. Sie lief oft stundenlang durch den Wald und dachte bloß nach.

       6. Nicht mehr spazieren gehen. Den Wald meiden.

      Aber das Wichtigste von allem. Mama hatte Depressionen und weinte mehr oder weniger ununterbrochen. Sie brachte Leute zum Weinen. Sie bringt immer noch Leute zum Weinen, obwohl sie gar nicht mehr lebt. Manchmal, wenn Papa in der Dusche ist, höre ich ihn weinen. Garantiert glaubt er, dass man das nicht hört. Aber das tut man. Darum werde ich nie weinen. Niemals. Und ich habe nicht vor, Leute zum Weinen zu bringen. Ich werde Leute zum Lachen bringen. Das ist meine Mission!

       7. Comedy Queen werden!

      SKALPIERT VON EINER METALLIC-ROTEN WURST

      Um unsere Wohnungstür zu öffnen, muss man sie mit aller Kraft nach innen pressen und gleichzeitig den Türgriff nach oben drücken, während man den Schlüssel umdreht. Manchmal klappt das erst beim dritten Versuch. Heute bin ich so eifrig, dass ich viel zu hart mit der Hüfte dagegenknalle. Muss vor Schmerz stöhnen.

      »Also echt, eure Tür …«, keucht Märta, die hinter mir die Treppe heraufkommt. Nach der Schule sind wir so schnell hergeradelt, dass wir beide ganz außer Puste sind.

      »Ich weiiiiß«, sage ich und remple die Tür noch einmal mit der Hüfte an.

      Endlich gelingt es mir, den Schlüssel umzudrehen und aufzumachen. Eines schönen Tages werde ich garantiert einen Trümmerschaden an der Hüfte davontragen. Nicht ganz einfach, den Rettungssanitätern dann zu erklären, wie es dazu gekommen ist: »Äh … hab bloß versucht, irgendwie eine Tür zu öffnen.«

      In der Eingangsdiele hängen wir unsere Jacken in die Garderobe und lassen die Fahrradhelme auf den Boden fallen. Märta hat unterm Helm ihre Baseballkappe auf. Nie eine Mütze, obwohl es eisige Minusgrade hat. »OBEY« steht auf der Kappe, der Schirm hat ein Leopardenmuster. Die Kappe ist so tief in die Stirn gedrückt, dass Märtas Ohren abstehen. Die sind jetzt knallrot vor Kälte. Märta liebt ihre Kappe über alles. Wenn es nach ihr ginge, würde sie die Kappe nie ausziehen. Aber Cecilia zwingt sie dazu, die Mütze im Unterricht abzunehmen. Beinah jede Stunde beginnt damit, dass Cecilia sagt: »Und jetzt nimmt Metti ihre Kappe ab.«

      Und jedes Mal macht Märta das gleiche bockige Gesicht. Aber die Kappe zieht sie trotzdem aus. Cecilia widerspricht man nicht. Früher, bei Bosse, durfte Märta die Kappe auflassen. Einer der wenigen Vorteile von Bosse. Man hätte in einer Ritterrüstung im Unterricht erscheinen können, ohne dass er es gemerkt hätte.

      Ich klatsche in die Hände.

      »Bist du bereit?«, frage ich.

      »Ja! Und du?«, sagt Märta, obwohl es wie »Jaudu?« klingt, weil Märta immer so schnell und aufgeregt spricht.

      »War noch nie so bereit wie jetzt!«

      Ein Blick auf die Uhr. Noch zwei Stunden, bis Papa nach Hause kommt. Perfekt. Wir betreten unser enges Badezimmer, wo man zu zweit kaum Platz findet. Märta stößt gegen ein Zahnputzglas, es kippt um und die Zahnbürsten landen im Waschbecken.

      Inzwischen nur zwei Zahnbürsten.

      Das Zahnputzglas ist gar kein richtiges Glas, sondern ein wackliger orangeroter Plastikbecher, der fünf Mal täglich umfällt, darum sag ich, sie kann die Zahnbürsten ruhig liegen lassen. Dann suche ich im Schrank und den Schubfächern nach dem Trimmer und finde ihn schließlich in einem geflochtenen Korb unterm Waschbecken. Er ist metallic-rot und leicht angestaubt, im Kamm stecken noch kleine braune Härchen. Ich puste sie weg. Es ist eine Weile her, seit Papa sich zuletzt den Kopf rasiert hat.

      Niemand kann ihm mehr mit dem Nacken helfen.

      Es gibt drei verschiedene Kammlängen, außer glattrasiert. Circa drei Millimeter, circa ein Zentimeter und circa zweieinhalb Zentimeter.

      »Ich denke, ich nehme doch lieber den längsten Kamm«, sage ich und stelle ihn auf zweieinhalb Zentimeter ein. Dann reiche ich Märta den Trimmer. Sie steckt den Stecker in die Steckdose überm Spiegel.

      »Bist du dir ganz sicher?«, fragt Märta und sieht mich lange mit ihren lieben Augen an. Ihre Augen sind so blau wie der Abendhimmel. »Du hast doch so schöne Haare!«

      Sie fährt mit den Fingern durch meine Haare, versucht es vielmehr, bleibt aber sofort hängen. Meine Haare sind dafür bekannt, unter Mützen und Helmen zu verfilzen.

      »Ich schenk sie dir«, sag ich großzügig. Sie kichert. Ich notiere es im Kopf. Vielleicht lässt sich daraus irgendein Witz machen?

      Ich hab nichts von der Liste erzählt. Weder ihr noch sonst jemandem. Hab nur gesagt, ich hätte meine Haare satt. Jetzt lasse ich mich auf den Toilettensitz sinken. Märta schaltet den Trimmer ein. Er summt und vibriert. Dann stellt sie sich vor mich und sagt: »Auf los geht’s los!«

      Der Trimmer nähert sich meinem Gesicht, meiner Stirn, dann drückt Märta ihn leicht, aber entschlossen auf meine Kopfhaut und fährt mir damit nach

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