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zielstrebig. Dass ich also das falsche Ziel habe. Dass ich mehr Zeit in die Schule stecken sollte. Genau in diesem Augenblick wandert er beispielsweise in der Küche umher und grummelt etwas darüber, dass ich nicht genug über die Erdkruste und den innersten Kern der Erde lerne. Tut mir leid, aber das kommt mir nicht besonders wichtig vor. Ich kann mir jedenfalls keine Situation vorstellen, wo mein Leben absolut davon abhängt, dass ich etwas über die einzelnen Schichten der Erdkruste weiß. Und wenn, dann: Halloo?! Google!

      Dagegen hängt mein Leben tatsächlich davon ab, dass es mir gelingt, funny bones zu bekommen. Das ist nicht mal übertrieben. Das ist wahr. Ohne werde ich nicht überleben.

      WIE VON EINEM CLOWN ENTWORFEN

      Cecilia steht vorne am Pult und redet über die Erdkruste. Ihre Stimme klingt, als wäre sie selbst total GESCHOCKT, weil das, worüber sie spricht, so irre interessant ist.

      »Die Erdkruste ist zwischen 5 und 70 Kilometer dick!«

      Auf der weißen Leinwand neben ihr leuchtet der Querschnitt einer Erdkugel. In der Mitte eine Art weißer Kern, dann ein paar leuchtende Schichten in Orange und Rot. Ganz oben die Erdkruste. Auf diesem Bild sieht die Erde ziemlich unseriös aus. Wie ein bunter Flummi. Ein bisschen gruselig, wenn man sich vorstellt, dass wir auf einem Planeten leben, der aussieht, als hätte irgendein Clown ihn entworfen. Ich versuche mir einen Witz auszudenken: »Hey, das würde jetzt schmecken – ein Glas Saft und dazu ein knuspriges Erdkrustenbrot mit Butter!«

      Hm. Geht so. Etwas mit BLUTkruste wäre vielleicht witziger? Aber dann würden sie nur »Würg! Voll eklig!« sagen, und man will ja nicht unbedingt jemand sein, zu dem man »voll eklig« sagt.

      Neben mir sitzt Märta und malt etwas auf den Zettel, den wir von Cecilia bekommen haben. Märta wird von allen außer mir »Metti« genannt. Sogar Cecilia nennt sie so. Aber für mich ist sie Märta, weil ich das schöner finde. Märta ist superlieb und hat das größte Herz von allen, die ich kenne. Ich beuge mich zu Märta rüber, weil ich sehen will, was sie malt, dabei kitzeln ihre blonden Locken mich an der Wange. Sie hat aus der Erdkugel ein Männlein mit Hut und Schnauzbart gemacht. Es hat einen Mantel an und eine dieser Brillen für Einäugige auf, die an einer dünnen Kette hängen. Wie heißt das noch mal? Molekül? Moloch? Monokel? Mein Onkel? So ähnlich ungefähr. Aus dem Mund des Männleins kommt eine Sprechblase: »Ich bin das Erdmännchen und hab meinen warmen Erdmantel an, weil es draußen so kalt ist.« Ich lächle Märta an, denn das ist ja ziemlich witzig. Sie kichert leise als Antwort. Wenn Märta kichert, klingt das, als würde ein kleines Kind gekitzelt. Total niedlich. Ich flüstere ihr zu:

      »Mir ist eben was eingefallen!«

      »Oh! Was denn?«, flüstert Märta zurück.

      »Ich werd Komikerin! Stand-up-Komikerin!«

      Bevor Märta antworten kann, steht Cecilia plötzlich vor uns.

      »Ist euch das klar, Sasha Rein und Metti Sköld?«

      Wir schauen zu ihr hoch. Sie legt eine Kunstpause ein.

      »An manchen Stellen sind es demnach nur FÜNF KILOMETER zwischen unseren Füßen und dem, was man den Erdmantel nennt!«, sagt Cecilia und sieht uns mit großen runden Augen und offenem Mund an, wie die Moderatorin einer Kindersendung. »Wie viele Kilometer, Sasha und Metti?«

      »Fünf Kilometer«, antworten wir brav im Chor.

      An und für sich ist eine Lehrerin, die sich engagiert, ja echt gut. Bosse, den wir in der Vierten hatten, saß meistens nur da und fummelte an seinem Handy herum. Bosses Vorstellung von Unterricht war, einen Film über irgendein beliebiges Thema laufen zu lassen, dann aus dem Zimmer zu schleichen, um »ein paar Unterlagen zu holen«, und erst wieder aufzutauchen, wenn die Stunde um war. Letzten Herbst wurde Bosse krankgeschrieben, und dann bekamen wir Cecilia. Ich mag Cecilia. Manche in der Klasse (das heißt Tyra) stören sich daran, dass Cecilia immer die gleichen Klamotten anhat. Weißes oder graues T-Shirt. Blaue Jeans, die viel zu tight sind, wie manche (das heißt Tyra) finden. Ein typischer Tyra-Kommentar, geäußert, während sie mit offenem Mund Kaugummi kaut und zwanghaft an ihren langen braunen Haaren herumzwirbelt: »Also, ehrlich, Leute! Wie schwer kann es sein, eine Jeans in der richtigen Größe zu kaufen? Aber vielleicht findet sie es ja sexy, wenn der Speck über den Hosenbund quillt?«

      Bitte, wen interessiert das schon, was für Jeans Cecilia anhat? Sie unterrichtet doch nicht mit dem Hintern?

      Tyra ist meine Klassenkameradin, aber das ist ein idiotisches Wort, sie ist nämlich alles andere als meine Kameradin. Ich weiß, dass viele das gleiche Problem haben. Wie soll man es dann nennen? Klassenfeindin? Na ja, ein bisschen zu stark. Ein neutrales Wort wäre besser! Klassenmensch? Klassenwesen? Klassenperson? Tyra ist meine Klassenperson. Nicht gerade genial, muss aber genügen.

      Jedenfalls. Papa meint, Cecilia sei »patent«. Und sie schafft es tatsächlich, für Ruhe zu sorgen. Das war nicht unbedingt Bosses Stärke, sagen wir mal so.

      Jetzt klatscht Cecilia mit dem Stock an die weiße Leinwand, dass die ganze Erdkugel schwabbelt. Nisse zuckt zusammen.

      »Wisst ihr, wie weit fünf Kilometer sind?«

      Sie wartet nicht, bis jemand antwortet.

      »Also, fünf Kilometer, FÜNFTAUSEND METER, das ist so weit wie von hier nach FRUÄNGEN ungefähr!«

      Mir ist nicht ganz klar, wo Fruängen liegt, aber von mir aus. Meine Klassenkameraden, oder vielmehr Klassenpersonen, starren Cecilia wie hypnotisiert an. So eine Wirkung hat Cecilia auf manche Leute.

      »Der Erdmantel ist VIELE TAUSEND Grad warm! Stellt euch das mal vor – hier, nur ein Stück unter unseren Füßen, gibt es eine viele tausend Grad heiße flüssige Masse!«

      Cecilia stampft mit ihrem Croc auf den Boden, worauf wir alle wie gebannt auf den beigefarbenen Plastikboden starren.

      »WIE viele Grad, Nisse?«

      Sie richtet den Zeigestock auf Nisse. Dabei sieht sie aus wie ein Fechter, der einen Gegner zum Duell herausfordert. Nur dass Nisse keinen Degen hat. Und auch keine Antwort, wie es scheint.

      »Äh … unheimlich viele?«, sagt er unsicher.

      »Ja! Viele TAUSEND, ehrlich gesagt!«

      Als Cecilia sich für einen kurzen Augenblick der Erdkugel zuwendet, schiebt Märta mir einen Zettel rüber, auf den sie ein lachendes Smiley gemalt hat. »Du wirst eine Superkomikerin!«, hat sie daruntergeschrieben.

      Das freut mich. Und ich hoffe, sie hat recht.

      Dann klinke ich mich aus. Gucke den Baum vor dem Fenster an. Kahle, dünne Äste, von einer leichten Schneeschicht bedeckt. Ich habe wichtigere Dinge, über die ich nachdenken muss, als irgendwelche albernen Erdkrusten. Wenn ich funny bones entwickeln will, muss ich mich konzentrieren. Hart und gezielt arbeiten. Zum Beispiel – die Frage, was ist eigentlich komisch? Eine Möglichkeit, Witze zu erfinden, könnte sein, verschiedene komische Themen aufzuschreiben, über die man dann frei herumgrübeln kann.

      Ich starre auf das Papier mit dem Erdquerschnitt. Drehe es um. Schreibe:

      KOMISCHE/NERVENDE SACHEN:

      Zum Beispiel hat Märta mich einmal gefragt, warum manche Typen sich diese riesigen Hamsterbärte wachsen lassen. Ich so: »Häh? Was?«, und dann hat sich herausgestellt, dass sie HIPSTER-Bärte meinte.

      Wenn die Kopfhörer sich verheddern.

      Leute, die beim Filmgucken ununterbrochen labern: »Wer ist der da? Was macht die? Wohin gehen die jetzt?« Ich dann: »Oh Mann! Konzentrier dich auf den Film, dann wirst du’s schon checken!«

      Alles, was alle Menschen in allen sozialen Medien machen. Wenn sie zum Beispiel supergeile Bilder von sich selbst posten und dazu schreiben, wie unmöglich sie darauf aussehen, nur um Komplimente zu angeln (Tyra). Oder wenn sie #total#unlogische#Sachen#hashtaggen. Oder wenn sie als deep status schreiben:

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