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hier unten in Quarantäne«, bat Horton. »Ich empfehle Ihnen, sonst niemandem mehr Einlass zu gewähren, nachdem ich aufgebrochen bin, bis wir die Produktion in die Wege geleitet haben und das Serum verteilen können.«

      Die Fahrstuhltür öffnete sich.

      Bailey streckte seine Rechte aus. »Vielen Dank für Ihre harte Arbeit und Hingabe.«

      Horton schaute auf die Hand, zögerte aber nicht, sie zu schütteln. Er packte sie fest und erwiderte: »War mir ein Vergnügen.« Dann betrat er den Aufzug und schaute zu, wie sich die Tür schloss.

      Kurz bevor sie endgültig zuging, schob sich ein Arm in den Spalt und hielt sie auf. Als sie sich wieder öffnete, stand Dan noch immer da. »Fast vergessen. Kurz nachdem Sie das Zimmer verlassen hatten, wies der Präsident an, dass sie seinen Vize ebenfalls impfen sollen. Das können Sie doch, oder?«

      »Selbstverständlich kann ich das. Ich habe für den Fall, dass der Präsident seine Meinung ändert, noch mehr mitgebracht«, erwiderte Horton mit breitem Grinsen.

      »Guter Mann, noch einmal Dankeschön, Direktor, wir sehen uns bald wieder.«

      Jetzt ging die Tür endlich zu, und Horton fuhr wieder nach oben.

      Tag 209

      28. April 2021

      North Topsail Beach, North Carolina

      Rückblickend kam Tess die lange, grauenvolle Fahrt von Reed, Illinois aus wie der leichteste Teil ihrer beschwerlichen Heimreise vor. Sie stand jetzt schon seit zehn Minuten reglos in der Auffahrt ihres alten Hauses und ließ die Augen nicht von der verwitterten Fassade, deren blaue Farbe abblätterte. Dass es schon nach wenig mehr als sieben Monaten so verwahrlost aussah, fand sie seltsam. Vielleicht lag es am hohen Gras und dem Unkraut zusammen mit dem Müll und Schutt überall auf der Straße, dass ihr Heim plötzlich den Eindruck einer Bruchbude vermittelte. Eine Angst, die ungewöhnlich für sie war, nahm sie mittlerweile voll und ganz in Beschlag. Die Antwort auf alles, was sie sich im Laufe der vergangenen Monate gefragt hatte, wartete drinnen auf sie, doch war sie auch bereit, sie zu finden?

      Brianna saß im Humvee. Sie starrte auf Tess’ Rücken, ohne den Blick abzuwenden. Sie wäre gerne ausgestiegen, um sich zu vergewissern, ob alles okay war, wusste jedoch insgeheim, warum sie sich nicht rühren konnte.

      Tess’ Wunsch zum Trotz war Devin losgegangen, um die Straße und Umgebung des Hauses zu überprüfen, falls Gefahr drohte. Bei seiner Rückkehr traf er sie an genau der Stelle an, wo sie auch gestanden hatte, bevor er verschwunden war. Er ging auf sie zu, aber sie hob eine Hand, um ihm zu verstehen zu geben, er solle sich nicht weiter nähern.

      Devin gehorchte sofort und schaute besorgt zu Brianna hinüber, die nur mit den Achseln zuckte. Er erwog kurz, Tess’ Anweisung einfach zu ignorieren, wusste aber, dass er ihren Zorn auf sich ziehen würde, falls er es tatsächlich tat. Stattdessen rief er laut: »Hinten ist die Luft rein. Hab niemanden gesehen, allerdings ist jemand eingebrochen. Hübsches Haus übrigens.«

      »Tess, das reicht jetzt«, murmelte sie bei sich. »Geh rein und finde heraus, wo dein Mann steckt.«

      Plötzlich fiel Brianna eine schnelle Bewegung auf. Im Haus auf der anderen Straßenseite wackelte ein Fensterladen, und wie es aussah, zog ein Schatten vorbei.

      Ihr Wagen stand im rechten Winkel zu den Gebäuden mitten auf der Straße.

      Sie lehnte sich über die Mittelkonsole, um durch das Türfenster auf das Haus zu schauen; nichts, keine Bewegung mehr, doch das bedeutete nicht, dass dort niemand war. Jetzt war sie ebenfalls beunruhigt und rief: »Devin, ich glaube, ich habe etwas im Haus gegenüber gesehen – Nummer 17!«

      Daraufhin stürzte er mit seinem Gewehr im Anschlag zum Humvee und starrte nun ebenfalls gebannt auf die Häuserfront.

      Als Tess das bemerkte, bewegte sie sich endlich. Sie drehte sich um und blickte auch zu dem Haus hinüber, das Brianna meinte. Nach kurzer Überlegung fiel ihr wieder ein, wer dort wohnte: Mr. Phil Banner aus New York und seine Frau, die den Winter gemeinsam im Süden des Landes verbracht hatten. Dass er überlebt und sich gegen all das Geschehene behauptet hatte, war nicht auszuschließen.

      »Dort lebt Mr. Banner, er ist harmlos«, erklärte Tess.

      Devin drehte seinen Kopf betont langsam zu ihr und erwiderte: »Harmlos? Niemand ist mehr harmlos.«

      »Ich bin gleich zurück«, sagte sie und machte nun einen ersten Schritt auf ihr altes Zuhause zu.

      Der Salzgeruch des Atlantiks stieg ihr in die Nase und weckte sofort schöne Erinnerungen an ihre gemeinsamen Tage mit Travis. Als sei es gestern gewesen, entsann sie sich des ersten Mals, als sie das Haus gesehen hatte. Sie war von Travis mit dem Kauf des Anwesens überrascht worden, weshalb er ihr sogar die Augen verbunden hatte, damit sie nicht erfuhr, wo es sich befand. Sie musste ein wenig schmunzeln, als sie an diesen besonderen Moment zurückdachte, in dem sie in Wirklichkeit sehr wohl gewusst hatte, wohin er sie bringen würde.

      Wird ein Sinn plötzlich blockiert, schärfen sich automatisch die anderen. Sie hatte die Trägerbrücke, die auf die Insel führte, anhand des Fahrgeräuschs erkannt, und dass sie in Ozeannähe gewesen waren, hatten ihr die Möwen verraten. Deren Geräusche blieben nunmehr aus, doch die alte Überführung existierte noch. Als er damals in der Einfahrt geparkt hatte und aufgeregt ausgestiegen war, um die Beifahrertür zu öffnen, hatte ihr Gehör, aber auch ihre Nase darauf hingedeutet: Der intensive Salzgeruch war ihr entgegengeweht und das Rauschen der Brandung hatte es endgültig besiegelt. Bevor er mit ihr zur Tür gelangt war, hatte sie aufgeregt gerufen: »Topsail Beach; du hast uns ein Haus am Topsail Beach gekauft!«

      Sie erreichte nun die Treppe und schaute die abgewetzten Holzstufen hinauf, die zum Eingang führten. Wie die meisten Wohnhäuser auf Topsail Island stand es hoch über der Erde auf Pfählen. Optisch war das zwar nie ihr Geschmack gewesen, doch sie hatte darüber hinweggesehen, weil sie dieses Fleckchen ihr eigen nennen durfte.

      Nachdem sie die erste Stufe erreicht hatte, ließ sie noch einen Moment verstreichen. Sie blinzelte bemüht, schaute wieder nach oben und sagte leise zu sich selbst: »Tess, genug jetzt. Deine Freunde warten, also geh.« Dies war der letzte Ansporn, den sie benötigte. Sie wusste, sie zögerte dies alles hinaus, und je länger sie dies tat, desto angreifbarer waren sie. Mit neu entdeckter Zuversicht erklomm sie die Stufen und näherte sich dem Eingang. Das Fliegengitter war zerrissen, und die Tür dahinter stand weit auf. Jemand hatte ein großes X mit einer Null darüber darauf gemalt. Während Tess es anschaute, fragte sie sich, was es bedeuten mochte, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder. Vielmehr interessierte sie, wie lange die Tür schon offenstand. Am Zustand des Wohnzimmers erkannte sie augenblicklich, dass die Räume schon seit Monaten frei zugänglich und den Elementen ausgesetzt gewesen waren.

      Der Anblick ihrer von der Natur und Fremden zerstörten Wohnung machte sie nicht wütend, sondern lediglich traurig, weil der einzige Ort, der für sie stets Glück und Liebe symbolisiert hatte, nun hinfällig und unwiederbringlich verloren war. Ihr blieben zwar noch die Erinnerungen, doch dies bedeutete gleichzeitig, dass ihr altes Leben nun endgültig zu Ende war. Ihr verwüstetes Eigenheim verdeutlichte greifbar und anschaulich, was aus der Welt geworden war.

      Nachdem sie die Glock 17 aus ihrem Schulterhalfter gezogen hatte, öffnete sie das Gitter. Durch die breiten Panoramafenster zum Strand und dem dahinterliegenden Meer hin fiel genügend Licht ein, um alles deutlich zu erkennen. Das Knirschen von Glassplittern bei ihren ersten Schritten im Haus drang an ihr Ohr, außerdem nahm sie einen unangenehmen und starken Modergeruch wahr. Sie ging noch ein Stück weiter und blieb dann stehen; zu vorsichtig konnte man heutzutage gar nicht sein. Auch wenn anscheinend monatelang niemand hier gewesen war, wusste sie nach etwas mehr als vier Wochen auf der Straße, dass man niemals ein Risiko eingehen durfte. Also achtete sie darauf, ruhig zu atmen und schritt langsam voran. Sie ging die Zimmer nacheinander ab, gelangte dabei jedoch nur zu der Erkenntnis, dass jemand alles aus dem Haus gestohlen hatte, was ihm irgendwie wertvoll vorgekommen war. Als sie das Ausmaß des Durcheinanders sah, befürchtete sie, dass sie Travis Nachricht nicht finden würde. Er hatte nichts weiter gesagt, als dass er sie an einem sicheren Platz hinterlegt hatte, doch

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