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Markierungsstangen kreuz und quer lief, zwischendurch Weisungen zurief.

      »Es tut mir ja auch leid«, bekannte Dr. Bernau.

      Die junge Vermessungstechnikerin lachte leise, als sie die betrübte Miene des Arztes sah. »Nun sei nicht gleich traurig, Werner«, rief sie ihm zu. »Es kommen ja noch mehr Abende. Ich habe hier ja noch einige Tage zu tun.«

      »Mag sein«, erwiderte Dr. Bernau, »aber jede Stunde, die ich nicht mit dir verbringen kann, ist verlorene Zeit.«

      »Nun übertreibe nicht!« gab Vera lächelnd zurück. »So schlimm kann es doch nicht sein.«

      »Das sagst du so«, entgegnete der Arzt. »Für mich ist es schlimm genug und…« Er unterbrach sich plötzlich und blickte scharf zu dem Teil der Klinik hinüber, an dem die Terrasse war. Dort war eine schwarzhaarige Frau plötzlich aufgetaucht, die es anscheinend sehr eilig hatte. Sie lief über die Terrasse, überquerte den davorliegenden Rasen und eilte weiter zum Seeufer – direkt zu dem Anlegesteg, an dem drei Ruderboote festgezurrt waren.

      »Wer ist denn das?« rief Dr. Bernau erstaunt aus. »Die hat es aber eilig.«

      Vera Solbach wurde aufmerksam. Sie wandte sich um und blickte in die von Dr. Bernau gezeigte Richtung. Sie sah nun ebenfalls die Frau, die gerade dabei war, eines der Ruderboote aus der Halterung zu lösen. »Das… das… ist doch die Begleiterin von Herrn Strasser«, bemerkte sie. Sie hatte sie sofort wiedererkannt. »Will die etwa eine Ruderpartie machen?« Im nächsten Augenblick wurden ihre Augen rund, denn das, was jetzt in ihren Blickwinkel geriet, kam ihr doch ein wenig seltsam vor. Ihr Auftraggeber, der Bauunternehmer Strasser, war eben auf der Terrasse aufgetaucht und setzte mit langen Sprüngen der Frau nach. Er erreichte sie im selben Moment, als sie das Boot bestieg. Mit einem Satz sprang er auch in das Boot, das sich nun vom Anlegesteg löste und dabei heftig ins Schaukeln geriet.

      »Sieht so aus, als ob die beiden nicht gerade einer Meinung sind«, meinte Dr. Bernau, der diesen Spurt des Bauunternehmers zum Boot ebenfalls mitbekommen hatte. Interessiert beobachtete er den Mann und die Frau im Boot, das sich durch unregelmäßige Ruderbewegungen der Schwarzhaarigen mehr und mehr vom Ufer entfernte.

      Auch Vera Solbach starrte nun auf den See hinaus. Es war nicht zu übersehen, daß dort in dem Boot eine ziemlich heftige Debatte vor sich ging. Die wilden Hand- und Armbewegungen Andreas Strassers deuteten auf jeden Fall eine ernste Auseinandersetzung an, auch wenn hier am Süd­ufer kein Wort zu verstehen war.

      Vera hatte ebenso recht wie Dr. Bernau – Andreas Strasser und Gisela Karner stritten sich, wobei der erstere mehr das Wort führte. Er war aufs äußerste aufgebracht.

      »Du bist wohl vollkommen verrückt geworden«, fauchte er seine Freundin böse an. »Was soll das heißen? Du rennst einfach weg und änderst deine Meinung. So geht das nicht.«

      »Doch, mein Lieber, es geht so«, erwiderte die junge Frau, die entschlossen war, sich nie wieder von Andreas beeinflussen zu lassen. »Ich werde mein Kind zur Welt bringen, und ich sage dir, daß ich mich sogar darauf freue.«

      »An mich denkst du dabei wohl nicht, und an die Folgen, die sich daraus ergeben«, schrie Andreas Strasser wütend. »Ich habe dir doch erklärt, was meine Frau…«

      »Hör auf, mir dauernd von deiner Frau etwas vorzujammern!« fiel Gisela ihrem Freund heftig ins Wort. »Damit mußt du fertig werden.«

      »Hast du denn keinen Verstand in deinem Kopf?« Andreas Strasser erhob sich von der schmalen Sitzbank und baute sich vor Gisela auf. »Denke doch einmal daran, daß ich dir kaum werde helfen können, wenn meine Frau sich scheiden läßt. Kapierst du das denn nicht?«

      »Ich werde auch ohne deine Hilfe mein Kind aufziehen können«, konterte Gisela. »Tausende von Frauen müssen das auch und schaffen es. Weshalb sollte mir das nicht gelingen?«

      »Jetzt ist aber Schluß, Gisela!« Andreas Strasser kochte vor Wut. »Du warst einverstanden, daß das Kind weggemacht wird. Also halte dich jetzt gefälligst daran!«

      »Ich habe es mir eben anders überlegt«, erwiderte die junge Frau, »und bin fest entschlossen, das Kind zur Welt zu bringen und es auch aufzuziehen. Ohne dich, denn unsere Wege werden sich trennen. Klar aber dürfte dir auch sein, daß du zum Unterhalt des Kindes deinen Beitrag leisten mußt.«

      Andreas Strasser quollen beinahe die Augen aus den Höhlen. Das war eine ganz andere Gisela als die, die er bisher gekannt hatte. Aus dem früheren liebebedürftigen schnurrenden Kätzchen war eine fauchende Wildkatze geworden. Diese Frau gefährdete mit ihrer wilden Entschlossenheit seine Existenz. Unbeherrscht griff er nach Giselas Arm. Mit einem Ruck zog er die Frau hoch. »So kannst du mit mir nicht umspringen«, zischte er. Wütend funkelte er Gisela an.

      »Laß mich sofort los!« schrie sie. »Du tust mir weh.«

      »Zuerst wirst du mir sagen, daß du das Kind nicht austrägst!« schnaubte Andreas Strasser.

      »Nein, ich werde es nicht wegmachen lassen«, gab Gisela kreischend zurück. »Finde dich damit ab!«

      Ein ächzender Laut kam aus Strassers Mund. In seinem Kopf schien etwas zu explodieren.

      Gisela versuchte sich aus dem zupackenden Griff des Mannes zu lösen. Sie zerrte mit aller Kraft. Das Boot schaukelte bedenklich dabei.

      Das waren die Sekunden, in denen Andreas Strasser die Kontrolle über sich verlor. Mit einem verhaltenen Wutschrei stieß er Gisela von sich.

      Alles weitere ging blitzschnell. Gisela verlor das Gleichgewicht. Sie stolperte über die schmale Sitzbank. Vergeblich griff sie nach irgendeinem Halt. Im nächsten Augenblick fiel sie mit voller Wucht zur Seite – genau auf den nun hochragenden Rudergriff, der sich schmerzhaft in ihren Unterleib zu bohren schien. Ein lauter Schmerzensruf entrang sich ihren Lippen, und ehe der erschreckte Andreas Strasser reagieren konnte, sackte sie halb bewußtlos über den Bootsrand ab und versank im See.

      Andreas Strasser war starr vor Schreck. Das hatte er nicht gewollt. Angst kroch in ihm hoch. Du mußt sie retten, mußt sie aus dem Wasser holen, ehe sie ertrinkt, hämmerte es in seinem Kopf. »Ich… ich… kann doch nicht schwimmen«, ächzte er. Entsetzt blickte er sich um. Hinter ihm lag die Klinik, keine zweihundert Meter entfernt. Links von ihm erkannte er am Südufer, auch nur etwa einhundertfünfzig Meter weit, zwei Gestalten, eine Frau und einen Mann.

      »Hiiiilfeee…«, brüllte er, so laut er konnte.

      Es bedurfte dieses Hilferufs gar nicht, denn Dr. Bernau und Vera Solbach hatten mitbekommen, was dort in dem Boot geschehen war. »Er hat sie ins Wasser geworfen«, rief Vera entsetzt aus.

      »Zumindest hat er sie gestoßen, und dabei ist sie in den See gefallen«, stellte Dr. Bernau fest. »Vielleicht hat sie sich dabei auch verletzt.« Er hatte gesehen, daß die Frau zuerst auf eine der Ruderstangen gestürzt war. »Verdammt, weshalb holt er sie nicht heraus?« knurrte er.

      »Wahrscheinlich kann er nicht schwimmen«, meinte Vera.

      Dr. Bernau erwiderte nichts. Es bedurfte bei ihm keiner weiteren Überlegungen. Drüben bei der Klinik lagen zwar noch zwei Boote, aber bis er dorthin gelangte und dann hinausruderte, verging zu viel Zeit. Hastig riß er sich das Jackett herunter, und Sekunden später war er schon im Wasser und schwamm mit kräftigen Bewegungen zur Unglücksstelle hin. Er schaffte es gerade noch, die nun vollkommen ohne Bewußtsein im Wasser treibende junge Frau vor dem Untergehen und damit vor dem Ertrinken zu retten.

      »Fassen Sie an!« rief er dem im Boot stehenden Bauunternehmer zu. Er hievte die Frau über den Bootsrand. Andreas Strasser zog sie vollkommen hinein ins Boot.

      »Das… das… wollte ich nicht«, murmelte er. »Es… es… war ein Unfall.«

      »Seien Sie still, Herr Strasser!« fuhr Dr. Bernau, der sich nun auch in das Boot geschwungen hatte, den Bauunternehmer scharf an. »Rudern Sie! So schnell Sie können. Rüber zur Klinik.«

      Andreas Strasser begann auch sofort wild zu rudern, während Dr. Bernau sich um die bewußtlose Frau kümmerte und mit kräftigen Druckbewegungen versuchte, der jungen Frau das

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