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Daddy wohl selbst kommen.«

      »Ich bin aber ganz sicher, dass er Nanni mehr lieb hat als Yasmin. Kann ich denn gar nichts tun, dass ihm das auch ganz schnell klar wird?«

      »Rubinchen, das ist gut gemeint, und ich kann dich auch verstehen, aber wenn es so ist, wird dein Daddy dieses Problem selbst zu lösen wissen. Dabei kann ihm niemand helfen.«

      Betrübt blickte Rubinchen zu Boden. »Nick hat doch gesagt, dass die Frauen im Orient noch einen Schleier tragen, und wenn nun der Schleier fällt und Daddy ein ganz schreckliches Weib sieht, was macht er dann? Nanni hatte er doch richtig gesehen und weiß, wie hübsch sie ist.«

      Nick und seine Weisheiten, dachte Denise. Jan Campen hatte sich gewiss keine hässliche Gefährtin ausgesucht, denn so zurückgeblieben war die Türkei nun auch nicht. Aber Denise wusste auch von der orientalischen Beharrlichkeit jener Frauen, und diese bereitete ihr größere Sorgen als die Äußerlichkeiten. Dass Nanni sehr viel für Jan Campen übrig hatte, war ihr nicht entgangen.

      »Jetzt gehen wir ein halbes Stündchen Schlittschuh laufen, Rubinchen«, lenkte sie ab. »Lange wird das Eis nicht mehr halten, wenn die Sonne weiterhin so warm scheint.«

      *

      Viele hatten Frau Hagen das letzte Geleit gegeben, viele, die sich schon lange nicht mehr um sie gekümmert hatten. Es war schließlich keine angenehme Aufgabe, kranken Menschen Gesellschaft zu leisten. Nun wurde gerätselt, wer wohl erben würde. Nanni war es furchtbar peinlich, als diese Vermutungen um ihre Ohren schwirrten.

      »Sie wird ganz schön etwas hinterlassen haben«, sagte eine Frauenstimme hinter ihr. »Stammte ja aus einer feinen Familie, und ihr Heiratsgut war beträchtlich.«

      »Und was hat sie davon gehabt?«, fragte eine andere. »Die Söhne hat sie verloren und den Mann auch. Und krank war sie auch lange genug.«

      »Der Kirche wird sie es vermacht haben«, wurde eine dritte Stimme laut. »Oder der Stadt. Einer wird sich schon ins Fäustchen lachen.«

      Nanni ging schneller. Ihre Mutter hielt sie zurück. »Paps kann nicht mithalten«, flüsterte sie.

      »Dieser schreckliche Klatsch, ich kann ihn nicht hören, Mutti«, flüsterte sie.

      Endlich standen sie vor der Familiengrabstätte. Nannis Augen hingen an dem Grabstein, auf dem der Name von Karlheinz stand. Sieben Jahre war es her, dass er hier zur letzten Ruhe bestattet worden war, und sie erlebte diesen Tag noch einmal. Es war nicht, als senke man seine Mutter in die Erde, es war ihr, als sehe sie ihn wieder vor sich.

      Ein richtiger Junge war er noch gewesen, und doch schon viel reifer und ernster als die anderen. Kaum am Anfang des Lebens, hatte er sich schon in das Ende gefunden. Wie tapfer war er gewesen.

      »Werde du glücklich, Nanni«, hatte er gesagt. »Es ist alles, was ich mir wünsche. Du bist ein Mensch, der viel Glück geben kann. Es muss alles zu dir zurückkommen.«

      Das waren seien Abschiedsworte gewesen. Sie beide waren noch so jung, und sie hatte es nicht glauben wollen. Sie hatte nur immer gewünscht, dass doch noch ein Wunder geschehen würde. Aber wann geschehen schon Wunder?

      So waren denn ihre Gedanken bei dem toten Karlheinz, der der Erste und Einzige gewesen war, der sie küsste, bis nun Jan gekommen war.

      Sie fühlte fast ein Schuldbewusstsein, dass sie an diesem Grab an Jan denken konnte. Aber nicht Karlheinz wurde beerdigt, sondern seine Mutter. Karlheinz – das lag schon sieben Jahre zurück, eine Ewigkeit fast.

      Als alles vorbei war und die Leute Erde und Blumen auf den Sarg warfen, trat ein schlanker schwarzgekleideter Herr auf Nanni zu.

      »Mein Name ist Dr. Ott. Ich hätte Sie gern im Haus von Frau Hagen gesprochen, gnädiges Fräulein, wenn das möglich wäre.«

      Nanni nickte. Sie wusste genau, was man hinter ihrem Rücken tuscheln würde. Es war nicht aufzuhalten. Bei einer Beerdigung waren die Leute noch mitteilsamer als sonst, und es gab eigentlich kaum etwas, woran sie sich nicht erinnerten. Doch das hörte sie glücklicherweise nicht, denn sie fuhr mit Dr. Ott zu Teresa Hagens Haus, das still und verlassen lag. Nur die alte Kathi hatte noch ausgeharrt und empfing sie mit rotgeweinten Augen.

      »Ist niemand sonst hier?«, fragte Nanni.

      »Nein, was ich Ihnen zu sagen habe, ist nur für Sie und Kathi bestimmt«, sagte Dr. Ott freundlich. »Nehmen Sie doch bitte Platz, gnädiges Fräulein.«

      »Ich war am Samstag noch bei ihr – und dann, als sie starb, mit Herrn Campen«, sagte Nanni leise.

      »Ich weiß. Das Testament wurde schon vor Jahren abgefasst. Es ist auch nicht mehr geändert worden. Es besteht keinerlei Zweifel an der Richtigkeit dieser Bestimmungen. Sie wurden im Besitz völliger Geisteskraft niedergeschrieben, und es steht außer Zweifel, dass Sie, Fräulein von Willbrecht, die Alleinerbin sind. Für Kathi hat Frau Hagen ein Zweizimmerappartement in einem Altenwohnheim gekauft, wo sie bestens untergebracht sein wird.«

      »Das hat die liebe gnädige Frau für mich getan«, schluchzte Kathi. »Aber wer soll denn die Gräber pflegen? Ich kann doch nicht jeden Tag so weit zum Friedhof gehen.«

      »Die Gräber werde ich pflegen, Kathi«, sagte Nanni gepresst. »Sie können sich darauf verlassen.

      »Sie haben es ja auch bisher immer getan«, sagte Kathi. »Die gnädige Frau hat Ihnen das nie vergessen, Fräulein Nanni.«

      Habe ich genug getan?, fragte sich Nanni. Hätte ich nicht auch für sie mehr tun müssen? Wie ist es alten Menschen zumute, die immer allein sind? Wie würde es mir zumute sein, wenn ich nur mit einer unwiederbringlich verlorenen Vergangenheit leben müsste?

      Dr. Ott hatte seine Papiere vor sich ausgebreitet. »Da wäre also dieses Haus, mit dem Frau Hagen den Wunsch verknüpft hat, dass es zu einem Altenwohnheim umgestaltet wird. Das nötige Kapital dazu wäre vorhanden, allerdings liegt die letzte Entscheidung bei Ihnen, gnädiges Fräulein.«

      »Es soll alles so werden, wie Frau Hagen es wünschte«, sagte Nanni leise.

      »Der Schmuck und das Privatvermögen fallen Ihnen ohnehin zu«, fuhr er fort. »Ich werde Ihnen alles nachher überreichen. Es befindet sich im Safe im Hause. Als Letztes wären dann noch die Anteile an der Fabrik, die Frau Hagen von ihrem Vater erbte. Das Werk war wohl nicht mehr ertragreich. In ihren letzten Lebenswochen leitete sie noch eine größere Fusion ein mit einem Industrieunternehmen. Darüber bin ich nicht hinreichend informiert worden. Meines Wissens nach wurden die Verfügungen so getroffen, dass Sie von der Werksleitung direkt verständigt werden und dann entscheiden können, ob Sie Ihre Anteile ablösen oder selbst behalten wollen.«

      Nanni war völlig verwirrt. »Davon weiß ich nichts«, erwiderte sie.

      »Davon wusste auch hier niemand. Frau Hagen hat hier ein bescheidenes Leben geführt und ihre Gewinnanteile bekommen. Ob Sie reich sind, kann ich Ihnen nicht einmal sagen, denn diesbezüglich hat Frau Hagen andere Verfügungen getroffen. Doch ich denke, dass Sie allem ganz gelassen entgegensehen können. Sie sind zu beglückwünschen, Fräulein von Willbrecht. Es handelt sich um ein beträchtliches Vermögen.«

      »Aber womit habe ich das verdient?«, stammelte sie.

      »Dafür wird es mehrere Gründe geben. Auch in der heutigen Zeit wissen Menschen Treue zu schätzen, und Frau Hagen hatte niemand außer Kathi, dem sie so sehr zugetan gewesen war. Ich bin überzeugt, dass sie die richtigen Bestimmungen getroffen hat.«

      *

      Wie im Traum trat Nanni den Heimweg an. Sie konnte das alles noch nicht begreifen. Still und bescheiden hatte Teresa Hagen dahingelebt, und niemand hatte gewusst, welches Vermögen hinter ihr stand.

      Der Zufall wollte es, dass Lilo Lüdke ihren Weg kreuzte. Nanni erntete einen giftigen Blick, ging aber rasch weiter. Verborgen würde es dem Ort nicht bleiben, wenn man sich auch darum bemühte. Lilo würde es vermutlich beinahe zerreißen.

      Wenig später war sie mit ihren Gedanken doch wieder bei Jan. Ob er schon in Ankara war? Warum hatte er nicht wenigstens noch einmal

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