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KHAOS. Lin Rina
Читать онлайн.Название KHAOS
Год выпуска 0
isbn 9783959914208
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich konnte nur hoffen, dass ihm diese Tatsache nicht zu schnell bewusst wurde, sonst musste ich fürchten, er würde mir alles nehmen, was ich hatte. Alles, sogar mein Herz und meine Seele.
Und ich hatte dem nichts entgegenzusetzen. Nicht mal ein bisschen.
Seufzend fischte ich ein weiteres Mandarinenstück aus der Dose. Die Frau in ihrem eisigen Schlaf war zu schön, als dass ich mich einfach hätte abwenden können. Doch gleichzeitig fühlte der Vergleich mit ihr sich wie ein Schlag in die Magengrube an.
Eigentlich hatte ich mich nie für hässlich gehalten, ein wenig zu dünn vielleicht und meine Haare waren immer ein heilloses Desaster, aber ansonsten konnte ich mich sehen lassen. Natürlich hatte ich es noch nie darauf angelegt, denn es war mir auch in meiner Situation immer wie ein Nachteil erschienen, annehmbar hübsch zu sein.
Doch einem Vergleich mit einem genveränderten Menschen hielt ich nicht stand. Wie auch? Schon die Männer waren ungewöhnlich schön, da war es kein Wunder, dass die Frauen die Latte nur noch höher legten.
Grob strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und entschloss mich, etwas Sinnvolles zu tun. Die Nacht war noch lang und ich hatte den ganzen Tag verschlafen, daher war ich jetzt nicht sonderlich müde. Ich bezweifelte auch, schlafen zu können, wenn ich doch wusste, dass Menschen da draußen möglicherweise ums Leben kamen.
Okay, nicht irgendwelche Menschen. Khaos vor allem.
Ich stemmte mich hoch und rutschte seitlich von der Kapsel. Meine Knie federten, als meine Füße den Boden berührten, und ich ächzte schmerzvoll. Man müsste meinen, ich hätte mich mittlerweile daran gewöhnt, doch auch wenn ich dieses Leiden schon seit Jahren mit mir herumschleppte und es stetig schlimmer wurde, war ich immer noch überrascht, wenn mir Stiche in die Glieder fuhren, meine Muskeln schmerzhaft pochten oder ich das Gefühl hatte, meine Knochen würden innerlich glühen.
Flüchtig sah ich auf die Uhr. Die Männer waren weg, die Station weitestgehend still, bis auf die wenigen, die hiergeblieben waren. Meine nächste Tablettendosis durfte ich erst in ein paar Stunden nehmen. Verdammt!
Mein Blick glitt durch den Raum und ich fragte mich, was ich noch tun konnte. Krungs Chaos hatte ich bereits beseitigt, hatte eine große Menge Kochsalzlösung bereitgestellt, nur für den Fall, dass wir sie bald brauchen würden, und sogar meine Wäsche hatte ich gewaschen und an einer Leine aufgehängt, die ich von meinem Loch bis zu einer Leiter an der hinteren Wand spannte.
Die Leiter hatte einst nach draußen geführt. Manchmal, wenn der Wind günstig wehte und die Sandschicht über dem Ausgang dünn hielt, konnte man von dort die Sonne oder selten sogar ein paar Sterne sehen. Die Klappe selbst war vom Sand zerfressen und ließ sich nicht mal mit Gewalt öffnen.
Mit dem Hintern lehnte ich mich an die Kryokapsel der rothaarigen Göttin und dachte schon wieder an Khaos, auch wenn ich es mir eigentlich schon mehrere Male verboten hatte. Ich musste mich selbst dazu zwingen, meinen Sinn nicht nach draußen schweifen zu lassen, um festzustellen, ob es ihm gut ging. Es war eine weite Strecke und es erforderte viel Konzentration und noch mehr Kraft, die mein Körper im Moment aber nicht hergab.
Also begnügte ich mich mit den einundzwanzig Seelen, die ich hier vor mir hatte. Ich stockte, als mir etwas einfiel. Da war noch ein Punkt auf meiner To-do-Liste. Einundzwanzig Seelen, die aber laut Khaos vierzig Seelen hätten sein müssen. Wo waren also die restlichen Kapseln?
Ich horchte noch einmal in die Station, um festzustellen, wer noch hier war und wo sie sich aufhielten. Krung war zum Glück weg, doch Cobal bewegte sich mit Unruhe im Bauch durch sein Quartier. Es überraschte mich, dass er im Lager zurückgeblieben war, obwohl ich es mir eigentlich hätte denken können.
Echsoiden waren Kaltblüter. In der Nacht, draußen, war er so nützlich wie ein Spielzeug. Er war schwach, er war unglaublich langsam und möglicherweise würde er sogar erfrieren, ohne es selbst zu merken. Dafür konnte ihm die Sonne am Tag gar nicht heiß genug sein und er wurde zu einem gefährlichen Jäger, der im Sand sein zweites Zuhause gefunden hatte.
Erikson war hier, er schlief und es ging ihm schon ein bisschen besser. Neben ihm am Boden kämpfte Nefrot mit dem Schlaf und dachte an schmutzige Dinge, sodass ich mich erschrocken aus seinem Kopf zurückzog.
Auf der anderen Seite des Flügels befanden sich die Frauen und ausnahmsweise zählte ich sie durch und checkte ihr aktuelles Befinden. Sie waren zu acht und sie waren recht guter Laune, was wohl dem Umstand zu verdanken war, dass sie ihre Betten diese Nacht für sich allein hatten.
Sie hielten untereinander zusammen und stärkten sich gegenseitig, obwohl sie im Großen und Ganzen eher ein trauriger Haufen waren.
Ich hatte nie dazugehört. Nicht dass ich mich je um ihre Freundschaft bemüht hätte. Ihre Seelen waren zu geschändet, als dass ich es lange mit ihnen ausgehalten hätte.
Eigentlich bekam ich sie nur manchmal beim Essen zu sehen, oder wenn sich jemand verletzt hatte und meiner Hilfe bedurfte. Sie hielten sich aber meist von mir fern und das nicht, weil sie mich schützen wollten oder so. Sie mochten mich nicht, fühlten sich in meiner Gegenwart befangen und beobachtet und sagten mir nach, ich sei die Brut der Hölle.
Ich wusste nicht, was das bedeutete, aber es schien nichts Gutes zu sein, denn die Palette an Empfindungen, die sie mir entgegenbrachten, reichte von Angst über Hass bis hin zur Abscheu.
Mir war klar, dass der Vergleich hinkte, aber in einer gewissen Weise war es mit ihnen wie mit den Tieren. Keiner traute sich an mich ran.
Nur Männer schienen zu unsensibel zu sein, um zu spüren, dass ich irgendwie anders war.
Neunzehn vermisste Kisten, dachte ich bei mir und holte meine Tasche aus meinem Loch in der Wand. Wenn sie hier auf dem Planeten waren, dann in dieser Station. Etwas anderes wäre nicht logisch gewesen.
Dennoch nahm ich mir vor, meinen Sinn so weit auszudehnen wie ich konnte, um so viel wie möglich vom Planeten zu sehen.
Allerdings erst, wenn ich meine Medikamente wieder genommen und jemanden bei mir hatte, der mir im Fall der Fälle eine Injektion geben konnte.
Ich hielt die Augen offen, begann in den oberen Stockwerken und bewegte mich dann langsam nach unten, immer darauf bedacht, schimmernde Lichtpunkte aufzufangen, wenn sie mir begegneten. Doch die einzigen, die mir begegneten, waren ein paar größere Tiere, die sich in den Wänden versteckten, und eine satte Veko-Spinne, die auf dem Dach saß.
Als ich die Stelle im Gang erreichte, die in den unteren Teil des Gefängnisses führte und die der Schutt zuvor versperrt hatte, war ich ziemlich überrascht über die Gründlichkeit, mit der die Männer den Gang geräumt hatten. Natürlich klaffte ein gewaltiges Loch in der Decke, durch das ich in die oberen Stockwerke sehen konnte, aber so etwas gab es hier häufiger. Meist umging ich diese Gänge, weil ich meinem Körper nicht mehr zutraute, über die Abgründe hinwegzuspringen.
Der Gang führte weiter nach unten, doch spürte ich diesmal nicht mehr die Befangenheit, die ich sonst empfunden hatte. Ich folgte ihm bis zum kreisrunden See, der dunkel vor mir lag und in dem ich die unzähligen Lichter der Bewohner spüren konnte. Mit geschlossenen Augen tastete ich nach ihnen, sah sie mir an, wie sie ihre stillen Runden zogen, und war wie immer erstaunt über die Tiefe des Sees. Doch wenn ich gehofft hatte, am Grund etwas zu finden, dann wurde ich enttäuscht. Keine schlafenden Seelen.
Meine Füße trugen mich zurück in den Raum, in dem ich Khaos gefunden hatte. Der Gang vor der Abstellkammer war schmutziger als letztes Mal. Überall lagen kleinere Schutthaufen.
Der Raum selbst hatte sich um das Doppelte vergrößert. Die Männer hatten den eingestürzten Teil freigeschaufelt, um alle Kapseln zu bergen, und Boz hatte es sie gründlich machen lassen.
Ich setzte mich auf den staubigen Boden, schloss die Augen und sah Khaos’ Gesicht vor mir, wie er in seiner Kapsel gelegen hatte und wie fasziniert