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Leiche wurde von einem weißen Laken abgedeckt – und an der Stelle, an der normalerweise der Kopf gewesen wäre, sackte das Laken einfach in sich zusammen. Zoe zog das Laken zurück, wohlwissend, dass Shelley inzwischen wahrscheinlich etwas übel war.

      Es war ein grauenhafter Anblick. Auf dem nackten Frauenkörper zeichneten sich keinerlei Kampfspuren ab, wenn man davon absah, dass ihr Hals nun einem unsauber abgehackten Baumstumpf aus Fleisch und Blut glich. Unter dem rohen, rötlichen Fleisch waren die sauber, aber in mehreren, unterschiedlichen Einschnittwinkeln durchtrennten Knochen der Wirbelsäule zu erkennen. Die verschiedenen Einschnittwinkel deuteten auf mehrere Schnitte hin.

      „Was hältst du davon?“, fragte Shelley mit leiser Stimme, die von dem Respekt vor der Toten zeugte, obwohl diese sie auch dann nicht hätten hören können, wenn sie noch am Leben gewesen wäre – schließlich hatte sie keine Ohren mehr.

      „Mehrere Einschläge auf den Hals“, sagte der Gerichtsmediziner in trockenem Tonfall, schob dabei mit einem seiner dicken Finger seine Brille die Nase hoch und zeichnete mit der anderen Hand Schnittbewegungen in die Luft. „Wahrscheinlich eine leichte Klinge. Ich kann es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber ich würde auf eine Machete tippen. Davon würde man zumindest normalerweise ausgehen.“

      „Normalerweise?“, fragte Zoe.

      Der Gerichtsmediziner zuckte peinlich berührt mit den Schultern. „Na ja, ich habe so etwas zwar selbst noch nie gesehen“, sagte er. „Aber ich kenne die Statistiken. Eine Machete ist wahrscheinlicher als etwa ein Samuraischwert. Wobei das wohl die zweitwahrscheinlichste Variante ist. Es gibt Leute, die solche Schwerter aus Japan mitbringen oder im Internet bestellen.“

      Zoe widerstand dem Drang, ihn darauf hinzuweisen, dass solche Schwerter eigentlich Katanas genannt wurden, und konzentrierte sich stattdessen auf die Leiche. Sie zählte die am Hals der Leiche sichtbaren Einschnittwinkel. Zwei mehr als am Tatort zu sehen gewesen waren, aber die ersten zwei waren so flach, dass die Tatwaffe dabei vermutlich nicht in den Boden eingeschlagen war. „Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel Kraft bei den vier Schlägen aufgewendet wurde?“

      „Auf jeden Fall nicht genug Kraft, um den Kopf mit einem Schlag abzutrennen“, sagte der Gerichtsmediziner. „Sie können die gegenläufigen Flächen hier und hier sehen: Jeder Einschlag erfolgte in einem leicht abweichenden Winkel, deshalb sieht man hier diese rauen Kanten und Unebenheiten … vier Einschläge, ja, genau wie sie gesagt haben.“

      „Würden Sie den Täter als nicht besonders stark einschätzen?“, fragte Shelley, als sie sich endlich ein wenig von dem scheußlichen Anblick erholt hatte.

      Der Gerichtsmediziner zuckte mit den Schultern. „Lässt sich ohne Zeitmaschine schwer sagen. Ich kann nur die Einschlagskraft beurteilen. Aber ob das jetzt eine ältere Frau war, die unter Adrenalin stand und all ihre Kraft mobilisierte, oder ob hier Arnold Schwarzenegger am Werk war, der einfach einen schlechten Tag hatte? Keine Ahnung.“

      „Können Sie nicht einmal sagen, ob wir nach einem Mann oder nach einer Frau suchen?“

      „Nein, das kann ich auch nicht besser beurteilen als Sie“, erwiderte der Gerichtsmediziner. „Mit Blick auf Motiv, Gelegenheit und so weiter sind Ihre Kollegen vermutlich eher im Stande, diese Frage zu beantworten.“

      Das war zwar keine besonders hilfreiche Antwort, aber sie war immerhin ehrlich. „Ich glaube wir haben genug gesehen“, sagte Zoe und machte einen Schritt zurück, damit der Mann genug Platz hatte, um den Leichenschrank wieder zu schließen.

      „Danke Ihnen“, sagte Shelley zu dem Mann und folgte dann Zoe, die sich schon auf dem Weg in Richtung Ausgang befand.

      Draußen war die Sonne inzwischen vollständig aufgegangen und das Sonnenlicht war so grell, dass Zoe sofort ihre Sonnenbrille aus ihrer Tasche kramte. Zudem war die Hitze geradezu erdrückend. Zoe verweilte für einen kurzen Moment im Schatten des Leichenschauhauses und blickte mit zusammengekniffenen Augen in Richtung ihres Autos, um genau zu berechnen, wie heiß es darin jetzt wohl sein mochte. Keine schöne Vorstellung.

      „Wo fahren wir als Nächstes hin?“, fragte Shelley.

      „Zu Lorna Troyes Familie“, erwiderte Zoe. „Vielleicht haben die ja eine Spur für uns. Vielleicht etwas, das sie mit Michelle Young in Verbindung bringt.“

      „Laut Akte hat sie nicht mehr viele Angehörige“, sagte Shelley. Sie konnte sich offenbar daran erinnern. Sie musste diesen Teil der Akte schon gelesen haben. Zoe hatte sofort ein schlechtes Gewissen, dass sie selbst das noch nicht getan hatte. „Die Eltern starben vor etwa zehn Jahren bei einem Autounfall. Sie hat nur noch eine Schwester.“

      Zoe nickte. „Okay.“ Sie dachte einen Moment lang nach. Beide blieben auf der Stelle stehen; Shelley freute sich entweder genauso wenig auf die Hitze im Auto wie Zoe, oder sie versuchte einfach, Zoe etwas Raum zum Nachdenken zu geben. „Wir wissen noch nicht wirklich, wonach wir eigentlich suchen.“

      „Es könnte ein Mann oder eine Frau sein, stark oder auch nicht, und wir kennen keinerlei Körpermerkmale“, seufzte Shelley. „Hoffentlich finden wir bald einen Zeugen. Hast du eine Idee, wo wir mit dem Täterprofil ansetzen sollten?“

      Zoe schüttelte leicht den Kopf. „Das könnte man so oder so sehen. Die Vehemenz des Übergriffs lässt auf einen männlichen Täter schließen. Wie wir wissen entscheiden sich Frauen meist für weniger physische Methoden. Andererseits ist deutlich zu erkennen, dass Lorna Troye sich nicht unwohl fühlte, als sie angegriffen wurde. Möglicherweise hat sie dem Täter oder der Täterin sogar vertraut und sich in deren Nähe sicher gefühlt. Das könnte man als Hinweis auf eine weibliche Angreiferin werten.“

      „Was ich an der ganzen Sache am auffälligsten finde, ist die Tatsache, dass die Tat im Freien – und nicht gerade gut versteckt – stattgefunden hat.“

      „Das zeugt von großem Selbstbewusstsein“, sagte Zoe. „Oder von Wahnsinn. Auf jeden Fall von der Überzeugung, nicht erwischt zu werden. Vielleicht sind die Schläge nicht mit voller Kraft erfolgt, weil der Täter oder die Täterin nicht in Eile war. Als hätte er oder sie sich unantastbar gefühlt. Als wäre die Welt für den Moment des Angriffs stehengeblieben.“

      „Mhm“, murmelte Shelley zustimmend und lehnte sich dabei an die kühle Steinwand des Gebäudes. „Irgendwie müssen wir das noch genauer eingrenzen. Uns ein besseres Bild davon machen, was hier tatsächlich vorgefallen ist.“

      „Dann wollen wir mal hoffen, dass Lorna Troyes Schwester uns dabei helfen kann“, sagte Zoe und machte widerwillig einen Schritt in die gleißende Hitze und in Richtung ihres Autos.

***

      Lorna Troyes Schwester lebte in einer kleinen Wohnung nahe am Stadtzentrum, direkt über einem Eisenwarenladen. Der Eingang der Wohnung, der einen schönen Blick auf einen Hammerständer bot, führte sie kurioserweise erst in einen blassgelben Flur und dann in ein Wohnzimmer, das in verschiedenen Schattierungen von Pink und fast ausschließlich in Samt gehalten war.

      „Und ich kann Ihnen ganz sicher nichts bringen?“, fragte Daphne Troye, Lornas ältere Schwester, mindestens zum sechsten Mal.

      „Ganz bestimmt nicht, Miss Troye, vielen Dank“, versicherte Shelley ihr mit einem Lächeln.

      „Oh, es muss Mrs. Troye heißen“, erwiderte Daphne ebenfalls lächelnd und deutete auf ein dumpf glänzendes Armband an ihrem Handgelenk. „Meine Frau hat meinen Namen angenommen, als wir geheiratet haben.“

      „Mrs. Troye“, korrigierte sich Shelley. „Das ist sicher eine schwierige Zeit für Sie. Wir wollten Sie nur kurz nach ein paar Dingen fragen, die uns vielleicht dabei helfen könnten, den Mörder Ihrer Schwester zu finden.“

      Das ohnehin gezwungen wirkende Lächeln auf Daphnes Lippen verschwand nun vollends. „Ja”, sagte sie und lehnte sich in ihrem Samt-Sessel zurück. Scheinbar hatte sie nun akzeptiert, dass sie ihren Gästen nichts anbieten konnte. „Natürlich. Bitte, fragen Sie ruhig.“

      „Was können Sie uns über gestern sagen?“, fragte Shelley. „Hatten Sie Kontakt zu Lorna?“

      „Ein bisschen.“ Ihre Augen wanderten kurz zu einem verschlossenen Zimmer am anderen Ende des Flurs, den man

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