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setzte ich den Jaguar in eine Hofdurchfahrt.

      Ich stieg aus. Beim Betreten der Straße sah ich gerade noch, wie der Mann im Trenchcoat eine Treppe hochstieg, die zum Eingang einer fünfstöckigen mausgrauen Mietskaserne führte. Er hatte seine Hände aus den Manteltaschen gezogen. Ich bemerkte, daß er trotz der Wärme Handschuhe trug.

      Ich eilte die Straße hinab, hastete die Treppe zum Eingang hinauf und ließ meine Blicke über die Namensschilder an den Briefkästen gleiten. Ihre Zahl ließ vermuten, daß auf jeder Etage mindestens fünf Familien wohnten. Das Haus hatte keinen Lift. Im Flur spielten Kinder. Sie verursa'chten dabei einen Heidenlärm.

      Ich griff mir einen Zehnjährigen, der frech, aber intelligent aussah. »Hallo, Chef«, sagte ich. »Wohin ist der Mann im Trenchcoat gegangen? Er ist vor mir hereingekommen. Du hast ihn doch gesehen?«

      Während ich fragte, klimperte ich mit dem Kleingeld, das ich in der Tasche hatte.

      Der Junge rümpfte die Nase. »Klar habe ich ihn gesehen«, sagte er. »Er wohnt nicht hier. Ich nehme an, er ist zu Chum gegangen.«

      »Wer ist Chum?«

      »Er hat das Hofgebäude gemietet. Ein Maler. Macht Pop. Große Klasse!«

      Ich drückte dem Jungen fünfzig Cent in die Hand und betrat den Hof. Er war klein und .häßlich, so häßlich wie der einstöckige Ziegelschuppen, der seine hintere Begrenzung bildete. An der Außenseite führte eine Holztreppe zur Tür in der ersten Etage hoch. Der Bewohner des Hauses hatte ein großes Atelierfenster in die Hauswand einbauen lassen, dessen sachliche Modernität in dem baufälligen Gebäude geradezu grotesk wirkte. Ich stieg die Treppe hinauf und stoppte vor einer Holztür, die mit knallbunten Popmotiven bemalt war und kein Namensschild trug. Ich klopfte. Als niemand antwortete, öffnete ich die Tür und trat ein. Mein erster Blick fiel auf das Girl.

      Es stand in der Mitte des Ateliers auf einem Holzpodest, groß, schlank und völlig nackt. Das Mädchen hatte eine wundervolle Figur, aber mehr noch als die glatte Vollkommenheit ihres Körpers irritierte mich die flackernde Angst in ihren großen grünen Augen.

      Das Mädchen rührte sich nicht. Sie machte nicht einmal den Versuch, seine Blöße mit den Händen zu verdecken. Sie stand einfach da, reglos, mit an den Seiten herabhängenden Armen, und starrte mich an.

      »Ich hatte geklopft«, sagte ich entschuldigend und schaute mich um. Ich fühlte mich in einen Antiquitätenladen versetzt, dessen Inhaber vornehmlich mit Bildern handelte, nur waren diese Bilder nicht von der Art, wie man sie in einem solchen Geschäft erwartet. Sie waren ausnahmslos abstrakt. Ich fragte mich, wozu ein Maler für derlei Kompositionen ein Modell benötigte.

      Alte Schränke und Truhen, Kolonialstil neben Louis Seize, ein paar Skulpturen, Rodin-Kopien, Tische, Stühle und Standuhren — dazwischen, darauf und darunter Bilder, Bilder, Bilder. Wer sich in diesem Raum bewegte, mußte bei jedem Schritt achtgeben, nicht irgend etwas umzustoßen oder zu beschädigen.

      »Sehr hübsch«, sagte ich und wandte mich erneut dem Mädchen zu. Die Angst, die sie empfand, machte sie unempfindlich für den Doppelsinn des Komplimentes.

      »Was wollen Sie hier?« fragte sie kaum hörbar und mit bebender Stimme.

      »Ich suche einen Mann. Er hat schütteres blondes Haar und trägt einen Trenchcoat. Ist er vor ein oder zwei Minuten hereingekommen?«

      »Nein«, sagte sie.

      »Wo ist der Maler?« wollte ich wissen.

      »Chum ist im Bad«, antwortete sie. »Es ist niemand hereingekommen, niemand außer Ihnen. Ich muß es wissen. Ich war die ganze Zeit hier.«

      Mein Blick wurde auf einen kleinen Scherbenhaufen gelenkt, der in einem der schmalen Durchgänge auf dem Boden lag. Ich ging darauf zu und bückte mich danach. Die Bruchstücke waren frisch. »Wann ist das passiert?« fragte ich.

      »Was passiert?«

      »Das mit der Schale. Wer hat sie vom Tisch gestoßen?« fragte ich.

      »Ich — ich weiß es nicht«, murmelte das Mädchen.

      Ich überlegte. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß ein Fremder die Schale vom Tisch gefegt hatte. Das Malheur hatte nur deshalb geschehen können, weil der Mann sich in der Enge des Raumes zu schnell und zu unvorsichtig bewegt hatte. Dem Maler und seinem Modell wäre das vermutlich nicht passiert.

      »Wie heißen Sie?« fragte ich das Mädchen.

      »Liz Gaylord«, antwortete sie. Das Beben war noch immer in ihrer Stimme. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Meine Sinne konzentrierten sich auf die Umgebung, vor allem auf die beiden Türen am anderen Ende des Raumes und auf das, was dahinter vor sich ging. Geräusche waren nicht zu hören.

      »Wohin führen diese Türen?« erkundigte ich mich.

      »Wieso interessiert Sie das?« fragte mich das Mädchen. »Wer sind Sie überhaupt?«

      »Ich bin Jesse Trevellian vom FBI.«

      Das Mädchen bückte sich und griff nach einem auf dem Podest liegenden Morgenmantel. Sie hüllte sich hinein und verknotete den Gürtel. Ich fragte mich, warum sie sich erst jetzt dazu aufraffte. Ich fand dafür nur eine Erklärung. Sie hatte ein paar Minuten gebraucht, um die Wirkung eines Schocks abschütteln zu können. Es lag auf der Hand, daß dieser Schock von äußeren Einflüssen erzeugt worden war — zum Beispiel von einem Fremden, der mit einer Pistole in das Atelier eingedrungen war und den Maler mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen hatte, ihm in einen der Nebenräume zu folgen.

      Wahrscheinlich hatte der Pistolenheld dem Mädchen angedroht, den Maler zu erschießen, wenn sie nicht bereit sein sollte, mir bei meinem Auftauchen ein paar Lügen unterzujubeln. Er hatte von ihr verlangt, daß sie seine Anwesenheit bestreiten sollte.

      »Wie heißt der Maler?« fragte ich das Mädchen.

      »Chum. Das ist auch sein Künstlername. Einfach Chum.«

      »Ich möchte den Namen erfahren, der in seinem Ausweis steht«, sagte ich.

      »Jack Gardner.«

      Ich näherte mich der Tür, die mir am nächsten lag. Mit einem Ruck öffnete ich sie. Ich blickte in eine kleine, unaufgeräumte Küche. Auf dem Herd brodelte Kaffee in einem elektrischen Automaten. Ich warf einen Blick in den eingebauten Besenschrank. Dann machte ich kehrt und wandte mich der zweiten Tür zu. Ich prallte mit einem Mann zusammen. Er trug Kordhosen und ein kariertes Sporthemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Der Mann war etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Sein wuchernder Vollbart und die Farbflecken an seinen Hosen machten klar, daß ich Jack Gardner alias Chum vor mir hatte.

      »He«, sagte er. »Was suchen Sie denn hier?«

      Ich blickte über Gardners Schulter in eine kleine rechteckige Diele, von der zwei Türen abzweigten. Ich hatte plötzlich das Gefühl, auf einer falschen Fährte zu sein. Gardner machte einen völlig gelassenen Eindruck. Im nächsten Moment erinnerte ich mich an das Erscheinen des Killers vor Lester Norwich’ Haus. Auch der Mann im Trenchcoat war so betont ruhig gewesen.

      »Ich suche den'Mann mit dem schütteren Blondhaar«, sagte ich.

      Der Maler runzelte die Augenbrauen. »Sie haben wohl ’ne gebrochene Kardanwelle?« fragte er. »Hier ist niemand.«

      »Wohin führen diese Türen?« wollte ich wissen.

      »Was geht Sie das an?«

      Ich zeigte ihm meinen Ausweis. Er nahm ihn in die Hand. Ich sah, wie er die Unterlippe zwischen die Zähne zog. Zweifel und Skepsis erschienen in seinen Augen. Er gab mir die ID-Card zurück.

      »Was soll ich damit?« fragte er laut und mürrisch. »Sie müssen mir schon glauben. Hauen Sie ab, Mann!«

      Während er sprach, gab er mir mit dem Kopf ein Zeichen. Er wies auf die links von mir liegende Tür.

      »Wenn ich sage, daß ich keinen Mann mit schütterem

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