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Paula fuhr zusammen und schaute sich um: Hinter dem Sofa waren wie im Kasperletheater eine Reihe Mädchenköpfe emporgeschnellt.

      Sie klatschten wie verrückt Beifall, riefen »Willkommen in Berlin!« und »Surprise, surprise!« und wer weiß was alles durcheinander und wollten sich über Paulas offenbar reichlich dummen Gesichtsausdruck schier ausschütten vor Lachen.

      Carlotta stellte vor: Alina Scarano – klein, rundlich, mit dunkelbraunen Knopfaugen hinter einer altmodischen Nickelbrille. Ihren Eltern gehörte die Pizzeria Il Sole in der Flemmingstraße. Dann Jessica Kling: Zahnspange, strähnige mausbraune Haare und als Kontrast dazu ein wüstes Heavymetal-T-Shirt mit bluttriefendem Totenschädel. Und Madeleine Gebhardt: Das war die übliche zuckersüße Blondine, von denen es scheinbar in jeder Schulklasse eine gab. Paula war überwältigt! Händeschütteln, Umarmungen, Dankesagen, »Tolle Idee von euch …«.

      »Ich hol dann mal was zu trinken.« Paula schaute sich in Richtung der leisen, sanften Stimme um. Beinahe hätte sie das zierliche Mädchen mit den langen schwarzen Haaren übersehen, das sich da gerade auf den Weg in die Teeküche machte.

      »Das ist Dilara«, stellte Carlotta vor. »Dilara Hancioglu.«

      »Hallo, Lara!« Paula ging mit ausgestreckten Händen auf sie zu. Das Mädchen lächelte. »Nein, ich bin nicht die Lara. Ich heiße Dilara.

      »Das ist Türkisch«, erklärte Carlotta, »und es bedeutet so viel wie Ein Herz voller Liebe.«

      »Wow! Was für ein Name!«, lachte Paula und ging mit Dilara in die Teeküche.

      »Der Name von meiner Mutter ist noch besser«, kicherte Dilara.

      »Wieso?«

      »Sie heißt Afet!«

      »Und was heißt das auf Deutsch?«

      »Einerseits heißt das bildhübsche Frau . . Dilaras Mundwinkel zuckten.

      »Und andererseits?«

      »… Naturkatastrophe!«, platzte Dilara heraus.

      Prustend machten sich die beiden Mädchen daran, das Teewasser aufzusetzen und Tassen, Teller und Besteck auf ein Tablett zu laden.

      Auf dem Kühlschrank stand eine Kuchenplatte mit allerlei Hefestückchen. »Die hat deine Mama besorgt«, erklärte Dilara, »und die Scaranos haben für jeden von uns eine Pizza spendiert. Kommt so gegen sechs.«

      Um halb acht war die Pizza restlos vertilgt und Paula kam es vor, als ob sie mit Carlotta, Alina und Dilara schon seit Jahren befreundet war. Madeleine und Jessica hatten sich bereits seit einer Stunde auf den Balkon verzogen und mussten die Neue wohl erst mal nach Kräften durchhecheln.

      Na, sollen sie, dachte Paula und war gerade im Begriff, die leer gefutterten Teller zusammenzusuchen, als die Tür aufflog und Hotte – gefolgt von Oma Helga – hereingestürzt kam.

      »Wir müssen in die Klinik! Irgendeine Komplikation! Tut mir leid, ich kann keine von euch nach Hause fahren, wir müssen sofort los!«

      »Was? Wo ist Mama?« Paula war aufgesprungen und Carlotta drehte erschrocken die Musik leise.

      »Gesine ist auf der Lucullus«, antwortete Oma Helga und hob hilflos die Schultern. »Sie hat das Handy abgestellt, weil doch heute der Besitzer mit dem Pachtvertrag …«

      »Wir rufen dich an, wenn wir Genaueres wissen!«, unterbrach Hotte und war schon wieder halb die Treppe herunter. Dilara schaute Paula fragend an und Carlotta legte ihr den Arm um die Schultern: »Dein Bruder?«

      Paula nickte beklommen.

      Kichernd kamen Madeleine und Jessica zurück ins Zimmer. »Ey, wer von euch hat denn die Musik abgewürgt?« Ganz offensichtlich hatten sie von dem Zwischenfall nichts mitgekriegt.

      An die nächsten beiden Stunden erinnerte sich Paula nur noch bruchstückhaft: Dilara rief ihren Vater an, der sich sofort bereit erklärte, auch Madeleine und Jessica nach Hause zu fahren. Alina räumte das Party-Chaos auf und entsorgte den Müll.

      Und Carlotta war nach gegenüber gerannt und hatte ihre Mutter alarmiert. Sibylle Prinz stellte keine langen Fragen, lud Paula ins Auto, holte Paulas Mutter an der Lucullus ab und fuhr die beiden anschließend in die Klinik.

      Oma Helga und Hotte saßen im Gang vor dem OP-Trakt. Und obwohl Hotte seine Hände beschützend über Oma Helgas Hände gelegt hatte, merkte Paula, dass sie zitterten. »Sie mussten sofort operieren«, flüsterte er.

      Hotte nahm Paula in den Arm und Oma Helga zog ihre Tochter neben sich auf die triste braune Kunstlederbank.

      Gesine Schmidtke sah aus, als könne sie sich keine Sekunde mehr auf den Beinen halten.

      »Die Ärzte hatten doch gesagt, es wäre alles kein Problem«, flüsterte sie.

      »So was passiert heutzutage eigentlich nur noch in Kriegsgebieten, wo es keine ausreichende medizinische Versorgung gibt«, murmelte Hotte. »Gasbrand! Daran sind zuletzt massenhaft die Soldaten im Ersten Weltkrieg gestor…«

      Erschrocken hielt er inne.

      Eine OP-Schwester kam den Gang herunter und schüttelte stumm den Kopf, als sie die fragenden Gesichter sah. »Sie operieren noch.«

      Nach und nach rückte Hotte mit der ganzen Geschichte heraus: Auf der Unfallstation hatten sie bei Pauls Einlieferung eine winzige, aber tief ins Gewebe dringende Stichwunde übersehen; vermutlich von einem Metallteil. Der Gipsverband hatte wie ein Brutkasten dafür gesorgt, dass sich die Bakterien in der verschmutzten Wunde in rasendem Tempo vermehrten. Innerhalb weniger Stunden war daraus eine lebensgefährliche Infektion entstanden. Als Hotte und Oma eintrafen, war von Amputation die Rede gewesen und davon, dass es im Wortsinne um Sekunden ging.

      »Heißt das, sie müssen ihm das Bein abnehmen?« Gesine Schmidtke umklammerte die Hand ihrer Mutter und starrte Hotte mit weit aufgerissenen Augen an. Hotte strich ihr übers Haar und hob hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht.« Paula sandte ein Stoßgebet zum Himmel: »Bitte, lieber Gott, mach, dass Paul gesund wird und sein Bein behalten kann. Dann will ich auch …«

      Doch bevor Paula ihr Abkommen mit Gott besiegeln konnte, tauchte am Ende des Flurs eine Ärztin auf. Sie sah müde aus.

      »Wir mussten großflächig Gewebe entfernen …«

      »Also keine Amputation?«, fragte Gesine Schmidtke erleichtert. Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Er bekommt jetzt Antibiotika und wir sollten eine Druckkammertherapie in Betracht ziehen.«

      »Wann kann ich zu ihm?«, unterbrach Paula die Aufzählung der weiteren medizinischen Details.

      »Im Moment sowieso nicht. Vielleicht morgen. Es sei denn, deine Eltern stimmen einer Druckkammertherapie zu.« Sie wandte sich Oma Helga und Hotte zu. »Wenn Sie einverstanden sind«, fuhr sie fort, »dann würden wir Paul, sobald es möglich ist, in das Behandlungszentrum nach Jena fliegen.«

      Energisch ging Gesine Schmidtke dazwischen: »Ich bin Pauls Mutter. Und diese Druckkammer-Sache …«

      Die Ärztin schaute ein wenig irritiert von Paula zu Gesine Schmidtke und zurück: Sie hatte Paula und ihre Mutter für Geschwister gehalten. Aber die Situation war zu angespannt, um darüber einen der sonst üblichen Sprüche abzulassen.

      »Die Forschungsergebnisse liefern leider noch keine hundertprozentige Gewissheit, was den therapeutischen Nutzen einer hyperbaren Therapie angeht«, fuhr die Ärztin fort, »aber im Fall einer clostridialen Myonekrose …« Vielleicht glaubte sie ernsthaft, irgendeiner der Anwesenden würde verstehen, wovon sie da redete. Paulas Gedanken schweiften ab. Jena. Sie würden Paul mit einem von diesen feuerroten Hubschraubern nach Jena fliegen. Sie hatte nicht mal eine Ahnung, wo das lag.

      Zu Hause schaute Paula sofort im Internet nach. Jena. Das lag in Thüringen. Mehr als zweihundertfünfzig

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