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schritten am Zellenfenster vorüber, ohne etwas von der Leiche zu ahnen, die drinnen auf dem Boden lag.

      Bran ritt auf das kleine Tor in der Westmauer zu, ohne von der schläfrigen Wache angehalten zu werden. In Eboracum brauchte man keinen feindlichen Überfall zu befürchten, und außerdem sorgten gutorganisierte Diebe und Mädchenhändler dafür, daß es sich für die Wache bezahlt machte, ihre Pflicht nicht allzu genau zu nehmen. Der einzelne Soldat am Westtor – seine Kameraden lagen betrunken in einem nahegelegenen Freudenhaus – hob jedoch seinen Speer und rief Bran zu, anzuhalten und sich erkennen zu geben. Schweigend ritt der Pikte näher. Eingehüllt in seinen dunklen Umhang, erschien er dem Soldaten nur undeutlich. Da streckte Bran seinen Arm vor, und der Soldat sah den Glanz von Gold im Licht der Sterne, während er in der anderen Hand des Reiters eine Klinge blitzen sah. Der Römer verstand und zögerte nicht in seiner Wahl zwischen der goldenen Bestechung und einem Kampf auf Leben und Tod mit dem unbekannten Reiter, bei dem es sich offenbar um einen Barbaren handelte. Brummend senkte er den Speer und öffnete das Tor. Bran ritt hindurch und warf dem Soldaten eine Handvoll Münzen zu. In einem goldenen Strom fielen sie zu Boden und klirrten auf den Steinplatten. Der Römer bückte sich gierig danach, und Bran Mak Morn jagte westwärts in die Nacht.

      *

      IN DIE DÜSTEREN SÜMPFE des Westens kam Bran Mak Morn. Ein kalter Wind blies über die Einöde, und über den grauen Himmel flogen einige Reiher. Das hohe Schilf und das Sumpfgras bog sich wellenförmig im Wind, und einige stille Weiher spiegelten das trübe Licht des Himmels wider. Da und dort erhoben sich sonderbar regelmäßige Hügel aus der Landschaft, und am Horizont erkannte Bran eine Linie von Monolithen. Wer mochte die Menhire einst errichtet haben?

      Eine schmale, blaue Linie im Westen stellte die Hügel dar, die jenseits des Horizonts zu den zerklüfteten Bergen von Wales anwuchsen, in denen immer noch wilde keltische Stämme hausten, grimmige, blauäugige Männer, die nicht unter dem Joch Roms stöhnten. Eine Linie von gut besetzten Wachtürmen hielt sie hinter ihren Grenzen. Jenseits der Moore gewahrte Bran die uneinnehmbare Festung, die Trajans Turm genannt wurde.

      Doch selbst diese trostlose Einöde entbehrte nicht ganz menschlichen Lebens. Bran begegnete den wortkargen Männern der Sümpfe. Sie hatten dunkle Augen und dunkles Haar und sprachen eine Mischsprache, aus deren Elementen man kaum die ursprünglichen Quellen zu erahnen vermochte. Bran bemerkte in ihnen eine gewisse Verwandtschaft mit sich selbst, blickte jedoch mit der Verachtung des Patriziers dem Mischling gegenüber auf sie herab.

      Zwar waren auch die gewöhnlichen Einwohner von Kaledonien keineswegs reinblütig; ihre gedrungenen Körper und kräftigen Gliedmaßen hatten sie von einer primitiven germanischen Rasse erhalten, die schon vor der endgültigen Eroberung Britanniens durch die Kelten in den nördlichsten Teil der Insel eingewandert und von den Pikten absorbiert worden war. Aber die Häuptlinge von Brans Volk hatten von alters her ihr Blut von fremden Einflüssen freigehalten, und er selbst war ein reinrassiger Pikte der Alten Rasse. Diese Sumpfleute jedoch waren der Reihe nach von britischen, gälischen und römischen Eroberern überrannt worden, hatten von allen Erbanlagen aufgenommen und im Laufe der Zeit fast ihre ursprüngliche Sprache und Abstammung vergessen.

      Bran entstammte einer sehr alten Rasse, die vor der Ankunft der Arier in Westeuropa ein riesiges Imperium errichtet hatte, als die Vorfahren der Kelten, der Hellenen und Germanen noch ein einziges Volk bildeten, ehe sie Stämme bildeten und langsam in den Westen vordrangen.

      Nur in Kaledonien hatte die Alte Rasse vermocht, der Flut der arischen Eroberer standzuhalten. Bran hatte von einem piktischen Volk gehört, das sich Basken nannte und in den Tälern der Pyrenäen hauste. Sie behaupteten, nie erobert worden zu sein, aber Bran wußte, daß sie jahrhundertelang den Vorfahren der Galen Tribut zahlten, bevor diese keltischen Eroberer ihr Bergland verlassen und nach Irland gesegelt waren. Nur die Pikten in Kaledonien hatten sich ihre Unabhängigkeit bewahrt, auch wenn sie in kleine, einander bekämpfende Stämme gespalten waren. Bran war der erste anerkannte König seit fünfhundert Jahren, der Begründer eines neuen Herrscherhauses – nein, eigentlich ließ er eine alte Dynastie unter neuem Namen wieder aufleben. Vor der Nase Roms träumte er von einem Imperium.

      Er durchstreifte das Marschland und suchte nach einem Tor. Den dunkeläugiger) Sumpfleuten verriet er nichts von seinen Absichten. Sie berichteten von Neuigkeiten, die von Mund zu Mund gingen: von einem Krieg im Norden, vom Schrillen der Kriegspfeifen vor der gewundenen Mauer, von Versammlungsfeuern in der Heide, von Brand, Rauch und Plünderei, vom Wüten gälischer Schwerter. Die Adler der Legionen zogen nordwärts, und die uralte Straße bebte unter den eisernen Füßen. Und Bran, in den Marschen des Westens, lachte und war es zufrieden.

      In Eboracum befahl Titus Sulla, nach dem piktischen Gesandten zu suchen, der seit der gleichen Nacht verschwunden war, als man Valerius mit durchschnittener Kehle in seiner Zelle fand. Sulla ahnte, daß das plötzliche Aufflackern des Krieges am Grenzwall im Zusammenhang mit der Hinrichtung eines verurteilten piktischen Verbrechers stand, und er mobilisierte sein Netz von Spionen, obwohl er davon überzeugt war, daß Partha Mac Othna sich zu dieser Zeit bereits weit außerhalb seiner Reichweite befand. Er bereitete sich auf seine Abreise aus Eboracum vor, schloß sich jedoch nicht dem Heer von Legionären an, das er nach Norden schickte. Sulla war ein tapferer Mann, aber jeder Mann hat seinen eigenen Schrecken, und Sullas Schrecken war Cormac nach Connacht, der schwarzhaarige Gälenprinz, der geschworen hatte, dem Legaten das Herz aus dem Leibe zu schneiden. Und daher ritt Sulla mit seiner Leibgarde nach Westen, wo Trajans Turm stand, dessen kriegerischer Kommandant. Caius Camillus, nichts lieber tat, als den Platz des Legaten einzunehmen, wenn die Wogen des Krieges gegen die Mauern des Walles anbrandeten. Es entsprach nicht den Vorschriften, aber Rom war weit, und Titus hatte die höchste Macht in Britannien inne.

      Und Bran, der all dies wußte, erwartete in einer verlassenen Hütte geduldig seinen verhaßten Feind.

      Eines grauen Abends ging er zu Fuß über die Moore. Schwarz zeichnete sich seine Gestalt gegen das rote Feuer des Sonnenuntergangs ab. Er spürte das unglaubliche Alter des schlafenden Landes, und er kam sich wie der letzte Mensch auf Erden vor. Doch endlich stieß er auf ein Zeichen menschlichen Lebens – eine schmutzige Hütte aus Erde und Lehm am Schilfufer eines Sumpfes.

      Von der offenen Tür her grüßte ihn eine Frau, und Bran zog mißtrauisch die Augenbrauen zusammen. Die Frau war nicht alt, und doch fand sich das verbotene Wissen von Äonen in ihren Augen. Ihre dürftige Kleidung war zerlumpt, und ihre schwarzen Locken waren verfilzt und wirr, was ihr den Anschein von Wildheit verlieh, der gut zu der abstoßenden Umgebung paßte. Ihre roten Lippen lachten, doch lag keine Fröhlichkeit in ihrem Gelächter, sondern eine Andeutung von Spott. Zwischen den Lippen sah man scharfe, gespitzte Zähne, wie Raubtierfänge.

      „Tretet ein, Herr“, forderte sie ihn auf, „wenn Ihr Euch nicht fürchtet, mit der Hexe von Dagon-Moor unter einem Dach zu weilen!“

      Bran trat schweigend ein und setzte sich auf eine schäbige Bank, während sich die Frau mit einem spärlichen Mahl beschäftigte, das über einem offenen Feuer auf dem Erdboden kochte. Er betrachtete ihre fast gespitzten Ohren, die gelben, eigenartig schräg stehenden Augen und ihre geschmeidigen, fast schlangengleichen Bewegungen.

      „Was sucht Ihr in den Sümpfen, mein Lord?“ fragte sie und wandte sich mit einer geschmeidigen Wendung ihres ganzen Körpers ihm zu.

      „Ich suche ein Tor“, antwortete er, während er sein Kinn auf die Faust stützte. „Ich habe den Würmern der Erde ein Lied zu singen!“

      Sie fuhr zusammen und ließ einen Krug fallen, der auf der Erde zerschellte.

      „Das war schlecht gesprochen, selbst wenn es nicht so gemeint war“, stammelte sie.

      „Es war wohl so gemeint, und ich spreche im Ernst“, erklärte er.

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

      „Du weißt es wohl“, gab er zurück. „Aye, wohl weißt du es! Meine Rasse ist sehr alt. Sie herrschte in Britannien, noch ehe die Nationen der Kelten und Hellenen aus dem

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