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einer schweren Depression. Und Ursache war natürlich ich. Nachdem sie sich eine Zeitlang in bitteren Klagen über die Ungerechtigkeit des Schicksals ergangen hatte, ließ sie mich mit einer höchst unerwarteten Bemerkung aufhorchen: „Ich glaube, ich bin nicht stark genug. Wie soll ich meinen Vorsatz durchhalten? Wenn ich daran denke, dass wir noch fast zwei Wochen miteinander ... Ich bin jetzt schon völlig fertig. Was rätst du mir, Liebster?“

      Und dazu blickte sie mir unverwandt in die Augen, und ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Begehren, und ich weiß nicht, welchen Gefühlen noch, und brachte für mehrere Augenblicke keinen Laut über die Lippen, hatte jedes Zeitgefühl verloren. Dann erinnerte ich mich an die Idee, die gerade vorhin Patricia geäußert hatte.

      „Ich weiß nicht recht, was ich raten soll. Vielleicht dies eine: Wir könnten doch einen Kompromiss finden. Ich meine, einen Mittelweg. Wer sagt denn, dass wir nur die Wahl haben: Alles oder nichts? Wie wär's, wenn wir zum Beispiel nachts im Wald spazieren gehen und plaudern und uns umarmen und küssen und sonst nichts? Was meinst du?“

      Dorothy nickte zögernd, machte ein feierliches Gesicht. „Hm, ja, das wäre eine Idee. Aber du? Wärst du damit überhaupt zufrieden?“

      „Aber natürlich, liebste Dorothy. Ich leide ja nicht weniger als du unter dem Entzug deiner Liebe. In welcher Form ich sie genießen darf, ist doch höchst zweitrangig. Wenn ich nur mit dir zusammen sein darf.“

      Dorothy wirkte sehr beeindruckt. „Das klingt ja genauso, wie wenn du süchtig wärst.“

      „Bin ich ja. Süchtig nach dir. Süchtig nach deiner Liebe.“

      „Errätst du, Liebster, was ich jetzt am liebsten täte?“

      „Ich glaube schon. Ich dich auch.“

      „Und? Können wir gleich heute Abend anfangen? Heute ist es ja schön, und der Abend verspricht mild zu werden. Wer weiß, wie bald der nächste Regen kommt.“

      „Abgemacht. Sobald sich die anderen zurückgezogen haben. Oder nein. Früher. Sobald sich die ersten zwei zurückgezogen haben. Dann stehe ich auf und gehe hinaus und warte auf dich, sagen wir, beim Swimmingpool. Ja?“

      „Liebster Benedikt“, hauchte sie, sichtlich beeindruckt, „ich liebe dich.“ Und nun strahlte sie wieder.

      Im Folgenden fühlte ich mich freilich verpflichtet, ihr bezüglich der Sache mit Patricia reinen Wein einzuschenken. Wie nicht anders zu erwarten, versuchte sich Dorothy daraufhin in Askese und Verzicht zu üben und drängte mich, bei Patricia zu bleiben, und ich bat sie, sich nicht aus falsch verstandenem Edelmut selber in Depressionen zu stürzen. Außerdem könne ich gar nicht bei Patricia bleiben, weil ich noch nie bei ihr gewesen sei. Bleiben könne ich also nur bei ihr, Dorothy. Und nach langem Zureden gelang es mir, sie zu überzeugen, dass sie ihrem Herzen folgen solle.

      Während wir, wie ausgemacht, vor dem Rathaus auf unseren Bus warteten und viele unserer Schützlinge sich noch rasch mit Eis oder Ähnlichem versorgten, entdeckte ich Neills Favoritin. Man hätte blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie die zwei die Köpfe zusammensteckten und einander anhimmelten. Sie war eine Österreicherin, die anscheinend besonderer Nachhilfe in Englisch bedurfte. Und ich nahm mir vor, ihn bei der ersten Gelegenheit darauf anzusprechen.

      Die Gelegenheit ergab sich, nachdem wir ins Heim zurückgekehrt waren und er kurz nach mir unser Zimmer betrat. Ich redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern sprach Klartext und betätigte mich, um meinen Worten Gewicht zu verleihen, im selben Atemzug als Seelsorger, Mädchenhändler und Schuldirektor in Personalunion, indem ich ihm dringend nahelegte, wieder die Patricia zu beglücken. Das sei ungefährlich und außerdem bei weitem lohnender; denn von einer erfahrenen Frau könne man bedeutend mehr lernen als von einem jungen Gänschen. Er verteidigte sich anfänglich mit dem dümmlichen Argument, sie hätten eh nur geknutscht – im O-Ton: „We only did some petting, Andrea and I“, versprach aber zuletzt, sich meine Warnung und meinen Rat zu Herzen zu nehmen.

      26

      Und tatsächlich konnte ich beim gemeinsamen Umtrunk am Abend mit Genugtuung beobachten, wie sich Neill mit Verve auf Patricia warf. Aber dann warfen sich auch andere auf sie; denn sie sprühte heute wieder vor Charme und Liebreiz. Und das beobachtete ich eher mit Missvergnügen, auch weil sich ihre Kolleginnen wieder einmal wie Stiefkinder vorkommen mussten. Dieses Missverhältnis suchte ich ein wenig auszugleichen, indem ich mit ihnen, genauer, mit einigen von ihnen schäkerte, stets in der Hoffnung, dass Dorothy vernünftiger ist als Patricia und sich deshalb nicht gleich von mir abwenden wird, und zugleich in gespannter Erwartung, wann sich wohl die ersten zwei zurückziehen werden. Und ja, da stand einer auf, einer der Stillen im Lande, der sich an den peinlichen Spielchen um Patricia kaum beteiligte, und verabschiedete sich, und, vermutlich dadurch angeregt, gleich danach ein zweiter.

      Jetzt war also ich an der Reihe. Ich trank aus, wünschte allen eine gute Nacht, warf Dorothy einen glühenden Blick zu, warf Patricia, die viel zu beschäftigt war, um meinen Auszug zur Kenntnis zu nehmen, einen prüfenden Blick zu und trollte mich, aber nicht in Richtung Zimmer, um mich aufs Ohr zu hauen, sondern hinaus ins Dunkel der Nacht, nein, in den hellen Mondschein, zum Swimmingpool, um dort auf Dorothy zu warten. Und o Jubel, o Freud, bald kam sie auf mich zugestürmt und warf sich mir atemlos in die Arme. Wortlos ergriff sie meine Hand und stürmte mit mir weiter in das nächste Waldstück. Dort erst hielt sie in ihrem Sturmlauf inne, umarmte und küsste mich mit einer Heftigkeit, dass mir ganz anders wurde, und bewies dann endlich, dass sie doch nicht plötzlich mit Stummheit geschlagen war, indem sie mir Liebesschwüre ins Ohr flüsterte. Und ehe ich sie erwidern konnte, küsste sie mich neuerlich und klammerte sich so leidenschaftlich an mich, dass es nicht lange dauerte, bis wir, quasi in einem Stück, auf den Waldboden niedersanken.

      Im Gegensatz zu unserer ersten Begegnung blieben wir nicht liegen, um ein einzig Fleisch zu werden. Zwar waren wir weich gefallen. Der Boden war anscheinend mit Moos oder weichem Gras bedeckt, und keine spitzen Zweiglein stachen uns, und keine Ameisen bissen uns. Aber Dorothy geriet in Panik. Sie stieß mich von sich und rappelte sich hektisch auf, und ich desgleichen.

      „Verzeih, Liebster“, murmelte sie, noch immer atemlos. „Aber du weißt ja ...“

      Hierauf begann sie mit großer Gründlichkeit meine Kleidung abzuklopfen, offenbar um sie von eventuellen Tannennadeln oder sonstigen verräterischen Spuren zu reinigen. Sehen konnte man fast nichts. Zwar war es zum Glück nicht völlig finster. Der Mond erhellte die Nacht für alle Liebenden auf dieser Welt oder zumindest in Südengland und streckte seine hellen, gespenstischen Finger durch das Blätterdach, soweit es ihnen eben Durchlass gewährte. So empfand es offenbar auch Dorothy: als gespenstisch. Und während sie mich abklopfte, flüsterte sie: „Wie gut, dass du bei mir bist. Ohne dich hätte ich schreckliche Angst.“

      Sie klopfte mich ab nicht wie eine gestresste Mutter ihr Kind, sondern wie ein verliebtes Mädchen ihren Verehrer, und als sie zu meiner Körpermitte gelangte, hielt sie überrascht inne und umfasste beinahe feierlich, was sich dahinter verbarg, ehe die Beine drankamen.

      Sobald sie ihr Werk beendet hatte, machte ich mich, durch ihre eigene Aktivität angeregt, über ihre Kleidung her und begann diese mit der gleichen Gründlichkeit zu säubern und hatte, gestehe ich gern, viel Freude mit dieser Arbeit, vor allem als ich bei der Brust anlangte und feststellte, dass darunter kein BH zu spüren war, und überdies feststellte, dass auch Dorothy mit meiner Säuberungsaktion viel Freude hatte.

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