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Anzug über und über mit Straßenschmutz bedeckt war. Ein paar Feuerwehrleute, Polizisten und Neugierige umringten die Ärzte. Dann fuhr der Notarztwagen weg, und Dr. Wolf kam mit einem Polizisten auf den Wagen zu, in dem Ellen lag.

      Der Polizist war ein untersetzter, massiger Mann. Und nun hörte sie, was Dr. Wolf sagte: „Ach, Herr Kolbig, da wird nicht viel sein. Bei Frauen ist das eben so. Sie sind ja sicher verheiratet. Es muss keinen tragischen Grund haben.“

      Die Tür wurde geöffnet, und Dr. Wolf sagte, Ellen ansehend:

      „Na bitte, sie ist wieder auf dem Damm. – Wie geht es, Fräulein Schendt?“

      Sie schämte sich. Sie hatte versagt. Einfach versagt. Zum ersten Male hatte sie selbstständig handeln können, und da war ihr schlecht geworden. Nicht beim Anblick der Verletzung, nein, das kannte sie. Aber vor Kälte, vor Unruhe, vor Angst.

      „Sieht noch was blass aus, das Fräulein Doktor.“

      Der dicke Kolbig lächelte und sah sie auf eine Weise an, die ihr plötzlich das Blut in die Wangen trieb – als ahne sie, was er dachte.

      „Bei meiner Frau war es auch immer so, bevor sie die Buben bekam“, sagte er dann auch noch, und Ellen hätte ihn am liebsten geohrfeigt.

      Aber sie war viel zu schlapp, sagte nichts und ließ sich von Dr. Wolf zu seinem Wagen führen.

      Seine Nähe hatte sie immer ersehnt. Jetzt war er nahe. Und zu gerne hätte sie diese wenigen Schritte zu dem Taxi, das Dr. Wolf rufen ließ, bis ins Endlose ausgedehnt. Sie spürte seine kräftigen Arme, seine Kraft, als er sie stützte. Er schwieg.

      Wortlos half er ihr in den Wagen, wortlos blieb er die ganze Fahrt bis ins Krankenhaus.

      Sie fühlte sich schon wieder besser, aber sie wäre gerne ewig neben ihm sitzen geblieben. Auch wenn er kein Wort sprach.

      Als sie ihn einmal ansah, wirkte sein Gesicht wie aus Stein gehauen. Er vermied es, sie anzusehen.

      Dann stiegen sie aus. Er führte sie bis zum Eingang, winkte dort eine Schwester herbei und sagte dem jungen Mädchen:

      „Helfen Sie Fräulein Dr. Schendt in ihr Zimmer. Ich muss wieder in den OP-Saal.“

      Enttäuscht sah Ellen zu ihm auf und sagte leise:

      „War es schlimm, was mir passiert ist?“

      „Nein“, sagte er ruhig. „Ich bitte Sie nur darum, sich meines Vorschlags von gestern Abend zu entsinnen. Sie wissen schon, der Vorschlag von der Freundschaft. Vielleicht gelingt Ihnen das. Alles Gute, ich muss zur Operation.“

      Er ging, und Ellen brauchte noch eine halbe Stunde, um wieder ganz „da zu sein“. Dann setzte sie sich hin und schrieb einen Brief an Dr. Gert Wolf.

      *

      ACHT TAGE SPÄTER SAßEN sie zu dritt in eben jenem ganz in Leder gehaltenen Zimmer von Familie Peschke.

      Frau Peschke hatte ihr Betriebsjournal vor sich auf dem Schreibtisch, Gert saß in einem Ledersessel und blickte zu Inge hin, die auf der Ledercouch lag, die Hände an den Gelenken noch verpflastert, aber sonst wieder ziemlich genesen.

      Sie sahen sich an und sprachen nicht. Frau Peschke rechnete, schrieb, und endlich klappte sie das große Journal zu und sah zu Inge hin.

      „Na, ihr zwei beiden? Ihr seid so still! Hast du’s ihr schon gesagt, Gert?“

      „Nein.“

      „Nun hör mal!“, meinte Frau Peschke in gespielter Entrüstung.

      Gert lachte. Inge aber richtete sich auf und fragte interessiert:

      „Was sollst du mir sagen, Gert?“

      Frau Peschke erhob sich und nahm ihr Hauptbuch, nickte Gert zu und ging nach draußen. Inge und Gert waren allein.

      „Was sollst du mir sagen?“, wiederholte Inge.

      Gert lachte wieder und sah sie aufmerksam an.

      „Inge, glaubst du immer noch, dass du ein Kind bekommst?“

      Sie wurde knallrot.

      „Nein. Aber ... aber es war so, als ob ...“

      „Mein Kollege hat dich ja untersucht. Froschtest, Urinuntersuchung, alles negativ. Und auch seine Untersuchung. Ich sagte dir ja, der weibliche Zyklus ist nicht immer regelmäßig. Und jetzt wirst du das inzwischen selbst wissen.“

      Sie nickte. Ohne weiter darauf einzugehen, sagte sie unvermittelt:

      „Gert, setz dich neben mich, bitte!“

      „Aber gern“, sagte er lächelnd und setzte sich auf den Rand der Couch neben sie.

      Dann wurde er ernst.

      „Es ist nicht das, was ich dir sagen wollte. Dieser Mann ... Hans. Er hat ...“

      Sie sah ihn erschrocken an. Ihr schmales Gesicht wurde bleich.

      „Gert, sprich bitte nicht weiter! Bitte nicht! Nimm mich, hol deinen Wagen und wir fahren weit weg. Ganz weit weg! Gert, ich halte das alles nicht noch mal aus. Nie mehr. Ich möchte weg. Gert, ich habe nichts mehr als mich selbst. Mutter wird mir vielleicht etwas Geld geben. Aber das alles hat Zeit. Lass uns jetzt wegfahren.“

      Er wollte etwas sagen, konnte aber nichts tun, als seine Hand auf ihre Schulter legen, um Inge zu beruhigen. Sie sprach sofort weiter, bevor er ihr alles erklären konnte.

      „Gert, ich hasse ihn. Ich möchte ihn anspucken, so hässlich ist er, so gemein und abscheulich. Aber wenn er vor mir steht, ist er wie eine Schlange, und ich bin die Maus. Er ist imstande mich zu hypnotisieren. Ich kann einfach nicht mehr tun, was ich will. Ich kann es nicht. Es war schon immer so, und ich habe nur die Kraft, mich dagegen aufzulehnen, wenn er nicht da ist. Es ist furchtbar. – Gert, wenn er wieder auftaucht und ...“

      Sie begann zu weinen, und Gert wollte ihr etwas sagen, aber sie schluchzte so ergriffen, dass er sie aufrichtete, ihr die Hände vom Gesicht nahm und behutsam ihre Tränen abtrocknete.

      „Inge, jetzt hör mir einmal genau zu“, sagte er fest und beinahe streng.

      Sie schluchzte erneut und stammelte:

      „Ich kann nichts tun. Nichts. Er ist ein gemeiner Lump, aber wenn er vor mir steht..

      „Hör endlich auf!“, schrie er sie an.

      Sie hielt erschrocken inne, sah ihn entsetzt an und wich furchtsam zurück.

      Er ließ sie zurücksinken und stand auf.

      „Inge, jetzt nimm dich bitte einmal zusammen. Hör zu, was ich dir sage! Ich war heute Morgen im Gefängnis. Dort ist er. Ich habe mit ihm gesprochen. Er wird der Beihilfe zum versuchten Totschlag und des vollendeten Raubüberfalls beschuldigt. Er wird aber vermutlich nicht verurteilt werden.“

      Sie schrie erschrocken auf. Doch diesmal blieb sie ruhig, und Dr. Wolf fuhr fort:

      „Er ist geisteskrank. Nicht jeder Geisteskranke ist als solcher erkenntlich. Es gibt Formen, die harmlos sind, und es gibt Formen, die sich erst nach langer Untersuchung und Beobachtung erkennen lassen. Dieser Bursche ist kein Typ, der herumlallt oder sich wie ein Säugling benimmt. Mancher denkt, Geisteskranke müssten so sein. Er ist anders. Ich war heute morgen auch bei Professor Holzinger, der für das Gericht solche Ermittlungen anstellt. Die Diagnose leuchtet mir ein. Sie ist gestellt auf Grund der Taten, der Art, wie sich der Kerl benommen hat und was er auf raffinierte Fragen antwortet. Das Resultat ist dieses: Im Grunde ist Hans ein begabter Mensch. Hast du zum Beispiel gewusst, dass er meisterhaft Klavier spielt?“

      „Ja“, erwiderte sie nickend. „Er spielt herrlich. So haben war uns überhaupt näher kennengelernt. Auf einem Studentenabend.“

      „Er

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