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Hans Holbein, müssen wir sie an ihn ausliefern, mitsamt ihrem kleinen Sohn. Uns bleibt keine andere Wahl. Das musst du endlich einsehen, Adolphine. So können wir uns zumindest noch damit herausreden, dass wir nur vorübergehend auf sie aufgepasst haben, bis ihr Mann sie abholen kommt.“

      „Er wird sie womöglich noch zu Tode prügeln – und ihren armen, kleinen, unschuldigen Jungen gleich mit! Willst du das wirklich verantworten?“

      „Ich habe hier gar nichts zu verantworten – und du auch nicht. So lautet nun einmal das Gesetz. Sie hat vor dem Traualtar ewige Treue geschworen und untertänig zu sein ihrem angetrauten Ehemann, bis dass der Tod sie scheide.“

      „Und deshalb darf er sie zu Tode prügeln?“

      „Das wird schon nicht passieren!“, meinte er leichthin und unterstrich das auch noch mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Dann würde er bestraft werden wegen Totschlags.“

      „Aber es wäre Mord! Wir beide wissen doch, dass ihr Leben in Gefahr ist und das ihres Sohnes!“

      „Ich weiß gar nichts, außer dass du verbotenerweise einer Flüchtige mitsamt ihres Balges Unterschlupf gewährt hast. Damit hast du eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. Und du weißt, wie sehr wir auf das Wohlwollen der Stadtwache angewiesen sind, damit sie uns das Haus nicht schließen.“

      Damit wandte er sich einfach ab und ging hinaus.

      Bebend vor Zorn sah Adolphine Brinkmann ihm hinterher.

      Seit wann bestand Winand darauf, dass die Frau bis in den Tod hinein ihrem Manne untertan zu sein hatte? Ihr gegenüber war er noch nie so gewesen. Ganz klar. Oder lag das nur daran, dass er Respekt hatte vor ihrer Mutter?

      Denn jeder Eingeweihte wusste, dass es besser war, sich mit Margarethe Brinkmann nicht anzulegen. Das sorgte immer nur für schmerzliche Niederlagen von einem selbst.

      Es gab nur eine einzige Person in ganz Hamburg, die in der Lage war, sich ihr wirksam genug zu widersetzen, bis dato jedenfalls, und das war eben Georg Wetken, der Anführer der Wetken-Gilde, in der die größten Hansehäuser zusammengeschlossen waren – natürlich neben den großen Hansehäusern unter der Führung des Hansehauses Brinkmann in der gleichnamigen Gilde.

      Und wie sollte sie sich jetzt verhalten? Sollte sie etwa ihre Mutter um Hilfe bitten, damit sie ihr beistand gegen Winand Lemberg?

      Aber sie ahnte schon, wie ihre Mutter diesmal reagieren würde. Eher mit Abscheu ob ihres Versagens beim Durchsetzen ihrer Ziele als mit so etwas wie Empathie für die geschundene Johanna Holbein und ihres Kindes. Anderer Leute Schicksal war ihr völlig gleichgültig, sofern dieses in ihren Plänen keine Rolle spielte. Und dass sie dermaßen das Armenhaus von Hamburg unterstützte, indem sie hier sogar ihre leibliche Tochter als heimliche Führung eingesetzt hatte, war auch keineswegs aus purer Nächstenliebe geschehen, sondern aus höchst eigennützigen Gründen, die nur sie selbst ganz genau kannte.

      Wenn ihre Tochter allein nur die Gründe bedachte, die ihr in diesem Zusammenhang selber einfielen, dämmerte ihr schon, dass es sinnlos gewesen wäre, unter solchen Umständen tatsächlich auch noch ihre Mutter einzuschalten.

      Und was blieb ihr sonst noch zu tun?

      Sie musste erst einmal abwarten. Ein wenig Zeit blieb ihr ja noch, denn Winand Lemberg hatte ja nicht angekündigt, dass er die Frau mitsamt ihres Kindes einfach so vor die Tür setzte, sondern immerhin angedeutet, dass er abwarten wollte, bis dieser Hans Holbein mit der Stadtwache hier auftauchte.

      Adolphine Brinkmann beschloss, vorerst noch nichts zu unternehmen, auch nicht Johanna Holbein davon in Kenntnis zu setzen. Es würde die junge Frau nur unnötig quälen, fand sie.

      Die Hoffnung blieb, dass ihr doch noch etwas Brauchbares zur Lösung dieses Problems einfallen würde. Sie musste sich nur erst noch wieder beruhigen, um überhaupt in die Lage zu kommen, endlich wieder einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sie ließ sich doch sonst nicht so leicht unterkriegen. Gesetz hin oder her: Da musste es doch noch etwas geben, was sie tun konnte.

      Aber was?

      2

      Was Winand Lemberg seiner Gehilfin Adolphine, die in Wahrheit ja eher seine Vorgesetzte war, wenn man es genau nahm, und weswegen er sich in seiner Männlichkeit nicht selten sehr gekränkt fühlte, nicht erzählt hatte: Er war durchaus gewillt, diese Johanna Holbein mitsamt ihrem Kind vor die Tür zu setzen. Und sei es auch nur, um ein für allemal ein Exempel für diese gekränkte Männlichkeit zu statuieren.

      Dann wären sie außerdem fein heraus, wenn dieser Hans Holbein mit der Stadtwache hier auftauchte. Er konnte dann immerhin behaupten, sie abgewiesen zu haben.

      Sollte diese Johanna doch selber sehen, wie sie klar kam. Das war ja wohl nicht sein Problem und auch nicht das des Armenhauses. Hier wurden zwar die Ärmsten der Armen aufgenommen, aber das war immer Regeln unterworfen, die einzuhalten er sich wohlweislich vorbehielt.

      Ohne Kompromisse. Egal, wie sehr Adolphine vielleicht noch mit ihrer Mutter drohen sollte.

      Wobei in diesem speziellen Fall überhaupt keine solche Drohung erfolgt war, was Winand Lemberg dergestalt deutete, dass Margarethe Brinkmann sogar ihrer eigenen Tochter dabei nicht recht geben würde. Sie hatte zwar einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Stadtwache, wie sich Winand Lemberg denken konnte, aber Schicksale wie das dieser jungen Ehefrau und Mutter waren ihr sicherlich völlig egal.

      Winand Lemberg hatte sich jedenfalls selber genau in die richtige Stimmung gebracht, um möglichst kompromisslos und im Grunde genommen auch völlig herzlos auftreten zu können, als er den ziemlich überfüllten Raum betrat, in dem Johanna Holbein und ihr kleiner Adolph vorläufig untergebracht worden waren. Sie hatten noch nicht einmal ein eigens Bett zur Verfügung gestellt bekommen. Weil keines mehr frei war. Aber sie hatten sich genügsam gezeigt und sich einen provisorischen, um nicht zu sagen primitiven Lagerplatz auf dem kalten Steinboden bereitet.

      Winand Lemberg, den das Elend im Armenhaus, das er doch offiziell leitete, wie gewöhnlich anekelte, weswegen er es möglichst vermied, sein eigenes Armenhaus zu begehen, versuchte, den Würgereiz zu unterdrücken, den der hier herrschende Gestank in seiner Kehle erzeugte.

      Und da hatte er diese Johanna auch schon entdeckt. Obwohl er sie persönlich zum ersten Mal sah. Aber sie war unverkennbar mit ihrem von brutalen Schlägen angeschwollenen Gesicht. Sie konnte kaum aus den zugeschwollenen Augen sehen, und man vermochte nur zu ahnen, dass dieses Gesicht normalerweise wunderschön anzusehen war.

      Sie umklammerte ihren ängstlich zitternden kleinen Jungen, der als erster Winand Lemberg entdeckte, diesen Mann, der hier dermaßen deplatziert wirkte wie ein aufgeblasener Pfau inmitten einer Kirche.

      Jetzt sah die junge Frau ebenfalls an diesem Mann empor, der vor ihr allzu mächtig aufragte, um nicht zu sagen bedrohlich. Sie schien schon zu ahnen, dass dieser Mann nichts Gutes von ihr wollte. Das ließ sie sogar in eine Art resignierende Starre verfallen, die sie dermaßen kraftlos machte, dass ihre Arme, die sie schützend um ihren kleinen Jungen geschlungen hatte, schlaff herunterfielen.

      Ja, gleich der Inkarnation des Bösen mochte ihr Winand Lemberg in diesem Augenblick erscheinen, als er noch näher trat, um allzu dicht vor diesem Häuflein Elend schließlich stehenzubleiben, zu dem Johanna Holbein mit ihrem kleinen Sohn geworden war.

      Er

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