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doch diese Dankesbezeugungen zwischen dem unteren Personal und dem oberen nicht üblich. Er kenne diese Inseln sehr gut, reise jedoch seit einigen Jahren lieber in südostasiatische Länder.

      Und weißt du was? Felicitas hat am Strand einen Holländer kennengelernt. Und beide haben sich unsterblich, wie sie sagte, ineinander verliebt. Sie wird in einigen Wochen zu ihm ziehen. Sie wollen heiraten. Du siehst, wie die Schicksale es fügen. Nun kommt sie doch unter anderen und viel schöneren Umständen nach dem Land der Mühlen, Tulpen und der großen Maler. Und, wie sie sagte, würde sie, so sie dem Dr. Dudszinski begegnete, ihn von Herzen umarmen, ohne dabei zu bedenken, ob er bei dieser Umarmung wieder andere Gedanken haben sollte. Ich glaube, ich hatte dir schon einmal über meine Verwunderung hinsichtlich menschlicher Schicksale geschrieben. Denn im Nachhinein könnten diese zu unserer Verblüffung zum Guten geführt haben. Welche Bedeutung haben Schicksale eigentlich? Ich werde mal in die esoterische Buchhandlung in der Akazienstraße gehen und mich diesbezüglich umschauen, ob ich nicht zufällig ein Buch über die Bedeutung von Zufällen und Schicksalen finde. Gibt es in Sydney ebenfalls esoterische Buchhandlungen? Oder soll ich dir hin und wieder ein Buch zuschicken?

      Viele Küsschen an euch beide.

      Eure Leo

      ***

       21.2.2014

       Meine geliebte Zwillingsschwester, meine Tara!

      Elisabeth, mit der ich jetzt weiterhin zusammen bin und wir nun zur Spätschicht eingeteilt sind, hatte ihrer Kusine in der Lausitz geschrieben - den Ort habe ich mir nicht gemerkt -, und tatsächlich hat Dr. Dudszinski in ihrem Krankenhaus die Stelle eines Stationsarztes und zufällig auch auf ihrer Station übernommen. Sie habe ihre Kusine nochmals eindrücklich auf diesen Sexprotz hingewiesen und diese habe nun alle Schwestern darüber informiert. Doch es soll ja auch Frauen geben, die mal richtig im Bett einen solchen erleben wollen. Aber wenn er merkt, dass die Schwestern ihn nun etwas spöttisch anschauen, wird er sich sicherlich bald unbehaglich fühlen und wiederum woanders eine Anstellung suchen. Ich bedauere ihn eigentlich. Warum hat das Schicksal ihn mit dieser Sucht ausgestattet? Dürfen wir eigentlich über einen Menschen urteilen, da wir ja nicht wissen, aus welchem Grunde er so und nicht anders ist? Hoffentlich werde ich nicht einmal als Mann mit dieser Sucht oder einer anderen bedacht.

      Gestern Abend wachte ein Mann aus der Narkose auf, dessen Tropf ich kontrollierte. Er schaute mich mit leuchtenden Augen an und zwar ganz genauso wie jene Frau Winter, von der ich dir geschrieben hatte. Er bat mich die Rückenlehne etwas hochzustellen. Dann sagte er: „Ich bin jetzt der glücklichste Mensch der Welt.“ Ich sagte, dass ich mir das sicherlich denken könne, habe er doch vier Stunden im Koma samt Reanimation, wie mir der Arzt sagte, gelegen und war um Haaresbreite dem Tod entronnen. „Meinen herzlichen Glückwunsch! Ja, Sie können jetzt mit Recht sagen, dass sie der glücklichste Mensch sind.“ Und er schüttelte ein wenig den Kopf und sagte: „Nein, ich meine es anders. Ich habe etwas erlebt, dass mich nun zum glücklichsten Menschen macht.“ Und ich fragte ihn, ob er mir das erklären könne. „Ja, das ist eine längere Geschichte. Ich hielt meinen Sohn für einen Bastard, der nicht von mir gezeugt worden war, obwohl meine Frau sogar unter Tränen beschwor, dass er der meinige sei. Denn wie mir von anderer Seite gesagt worden war, unterhielt sie während meines Militärdienstes eine heimliche Liebschaft. Und wenn ich an dem Knaben etwas zu beanstanden hatte, dann versetzte ich ihm Hiebe. Er war in ständiger Furcht vor mir. Und als er zum dritten Mal in der Schule sitzen blieb, da habe ich ihn, der damals vierzehn war, mit einem Stock auf den nackten Hintern gehauen. Und während ich haute, schrie ich ihn an: „Du elender fauler Kerl! Aus dir wird nie was werden! Du hättest nie geboren werden dürfen. Du bist nicht nur für uns Eltern eine Blamage, sondern du bist überflüssig für die ganze Menschheit!“ Er musste mit diesen Verletzungen sogar vom Arzt behandelt werden, der mich auch zu sich zitierte und ermahnte, mit Nachsicht und väterlicher Liebe meinen Sohn zu behandeln. Und als ich einen Tag darauf morgens in sein Zimmer trat, um ihn zu wecken, war sein Bett leer. Ich fand einen Zettel auf seinem Schreibtisch, auf welchem ich las: „Da ich ein Nichtsnutz, ein Bastard und überhaupt überflüssig für diese Welt bin, werde ich mich jetzt auf dem Boden aufhängen. Bitte vergebt mir, aber ich muss die Hölle Erde verlassen. Am besten ihr vergesst mich für immer, damit ihr wieder zueinander Frieden findet. Euer Werner.“ Und als ich nun meinen Körper auf dem OP-Tisch unter mir sah und beobachtete, wie die Ärzte sich über ihn beugten, wurde ich auf einmal wie mit einem großen Staubsauger nach oben gezogen. Ich sah Szenen meines Lebens und mich erschütterten die Strafen, die ich verbal oder handkräftig an und auf meinen Sohn ausließ. Dann auf einmal kam ich in eine Lichthülle hinein. Ich spüre eine Liebe, die ich vorher nie für möglich gehalten hatte. Und dann kam eine in Licht gehüllte Gestalt auf mich zu, in der ich schließlich meinen Sohn erkannte. Ich fiel vor ihm nieder und bat ihn um Vergebung, für was ich ihm angetan hatte. Er hob mich zu sich auf, umarmte mich und sagte: „Du hast genau das an mir getan, was wir vorher hier in dieser Welt miteinander abgemacht hatten. Ich musste wegen schlimmsten früherer Verfehlungen, die ich in gemeinster Weise an meinen Kindern verübt hatte, ein Gleiches in dem Leben als dein Sohn Werner erleben. Keiner, als wir die Planung für mein Leben vorbereiteten, hat sich dazu bereitgefunden, der gemeinste und wütendste Vater gegen mich mit allen seelischen und körperlichen Schrecken sein zu wollen. Du warst in einem früheren Leben mein bester Freund gewesen. Und aus Liebe oder Erbarmen für mich hattest du dich bereit erklärt, mir dieser böse Vater zu sein. Und ich danke dir, dass du nun mich von meinen früheren Seelenverfehlungen erlöst hast. Ich liebe dich.“ - Und er umarmte mich wieder und beide weinten wir jetzt Tränen der Freude. Er war auch mein leiblicher Sohn, wie er mir versicherte. Ich wolle ihn nicht haben, deshalb redete ich mir ein, er sei nicht von mir erzeugt. Und er hat mir in einer sehr liebvollen Weise vergeben. Ich bin jetzt so erleichtert und frei von all meinen Schuldgefühlen auch hinsichtlich seines Selbsttodes. Jetzt wissen Sie, warum ich sagte: Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Kann es ein wunderbareres, befreienderes Gefühl geben, als jenes, frei zu sein von aller Schuld?“

      Mir kamen bei seinem Bericht selbst die Tränen. Dann umarmte ich ihn und bedankte mich, dass er mir dieses bewegende Erlebnis erzählt hatte. Ja, jetzt habe ich schon den vierten Fall von Klinischtotgewesenen mir angehört. Ich werde selbstverständlich auch diesen Bericht in mein zukünftig zu schreibendes Buch über Nahtoderfahrungen einbringen. Du, liebe Tara, siehst, wie aufregend doch ein Krankenschwesterndasein sein kann.

      Euch beiden sende ich aus der vorfrühlingshaften Berliner Luft ganz liebe Grüße.

      Eure Leo

      ***

       26.2.2014

       Tara, meine geliebte Zwillingsschwester!

      Zu unserer Intensivstation gehören auch drei Einzelzimmer, in denen vorherige Intensivpatienten zu weiterer Beobachtung liegen. In einem von diesen liegt Herr Kurt Wolter, ein netter fünfundsiebzigjähriger Mann. Er hatte sich bei einem Sturz von der Leiter beide Schultergelenke ausgerenkt, das rechte davon auch noch gebrochen, sowie die rechte Kniescheibe zertrümmert. Und als er vor einigen Tagen entlassen werden sollte, klagte er über Atemnot. Im Röntgenlabor stellte man fest, dass er sich eine doppelseitige Lungenembolie zugezogen hatte. Gott sei Dank hatte man diese noch rechtzeitig bemerkt, sodass er noch mittels eines Blutverdünnungsmittels vor einem sicherlich bald sich einstellenden Exitus bewahrt werden konnte. Nach seiner Entlassung wird er noch länger mit einer Knieschiene herumlaufen und gegen eine weitere Thrombosegefahr auch lange Kompaktstrümpfe tragen.

      Während unserer Spätschicht läutete er. Als ich im Zimmer das Notlicht ausgeschaltet hatte und vor seinem Bett stand, sagte er, ob ich ihm bitte sein Buch aufheben könne, das heruntergefallen sei. Ich bückte mich und hob den dicken Band auf und las Goethes Werke Band 13 bis 16. Ich reichte ihm diesen zurück. Er bedankte sich und ich fragte ihn, was er gerade darin lese. Und er sagte, dass in diesem Band der 1920 erschienen Ausgabe von Goethes sämtlichen Werken der Wilhelm Meister, Dichtung und Wahrheit, Die Natürliche Tochter und auch Werthers Leiden vereinigt seien. Im letzteren lese er wieder einmal und sehe auch die Unterstreichungen und Anmerkungen, die er damals als Germanistikstudent dort eingefügt hatte. Und ich fragte, welches seine Lieblingsschriftsteller seien.

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