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und wer von seinem Clan überlebte, wurde danach verfolgt. Er war damals bei Verwandten im Süden zu Besuch, seither hatte er seine Familie nie wiedergesehen. Er bangte um ihr Schicksal, suchte jahrelang nach ihnen, doch es war vergeblich. Ausgebrannt und lebensmüde flüchtete er zu den Gesetzlosen nach Puntland, einem der ödesten Landesteile. An dessen Küste fuhren Jahr für Jahr bis zu achtundvierzigtausend Schiffe aus aller Welt vorbei, und nicht wenige fischten das Meer leer. Die Fischer, um ihre Lebensgrundlage gebracht, beschlossen sich dagegen zu wehren. Die offiziellen Grenzwächter waren zahlenmäßig unterlegen und überfordert, also riefen die Fischer kurzerhand eine Miliz-Küstenwache ins Leben und verlangten von jedem, der passieren wollte, einen Wegzoll. Schnell sprach sich herum, was das für ein einträgliches Geschäft war und fand Nachahmer.

      Anfangs beherrschten die großen Clans das Geschäft. Doch bald wollten auch kleinere Sippen mitverdienen, denen folgten wild zusammengewürfelte Banden. Als sich Joe die Gelegenheit bot, schloss er sich einer kleinen Rotte von Fischern an. Sie hielten Schiffe mit ihren Mannschaften gefangen, die sich weigerten zu zahlen, bis sie jemand freikaufte. So entstand die heute gängige Praxis der Piraterie.

      Von Dumont besorgte er für die Bande die Ausrüstung: Schnellboote, Handys und Waffen. Sie informierten sich im Internet über alle Schiffsbewegungen, die sich zwischen dem Golf von Aden und dem Chinesischen Meer bewegten.

      Hatten sie ein Schiff in ihre Gewalt gebracht, ging es darum, die Reederei zur Lösegeldzahlung zu bewegen. Je schneller man sich über die Höhe einig war, desto schneller ließen sie sie wieder frei. Das kassierte Geld wurde außer Landes geschmuggelt, an ein Netz von Briefkastenfirmen verteilt, über geheime Bankkonten auf die Virgin Islands verschoben, bis es schließlich in Dumonts Import & Export Ltd. landete. Die Banditen vor Ort bekamen meist den kleineren Anteil und konnten dafür den erbeuteten Schmuck und das Bargeld der Reisenden behalten - auch so wurden sie richtig reich.

      Alles in allem war das ein runder Geldfluss und für Joe und Dumont sehr einträglich.

      Doch seit einem Jahr ging einiges schief: Joe und sein Vizechef Achmet hatten Pech mit der Ausrüstung, die Pannen häuften sich, dringend benötigter Nachschub blieb aus, und eine Handvoll seiner Leute war von der kanadischen Marine geschnappt worden. Ohne Waffen und Munition war es für die Piratenbande sehr gefährlich geworden; sie mussten sich wehren können oder sie würden gefangen genommen, versklavt werden, oder man hackte ihnen Hände und Füße ab, oder tötete sie. Alles reduzierte sich auf einen Überlebenskampf, und vom Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit blieb am Ende nichts.

      Joe war also mit dem Achmet nach Zürich gereist, um die Probleme zu klären oder sich nach einem anderen Waffenlieferer umzusehen. Seit vorgestern war Achmet spurlos verschwunden, und der Doktor verdächtigte nicht von ungefähr den einzigen Kontaktmann.

      Das Messer hatte sich nicht von Dumonts Halsschlagader entfernt. Joe überragte ihn um mehr als einen Kopf. Sein Gesicht war ebenmäßig, einzig eine feine Narbe zog sich vom rechten Mundwinkel über den Wangenknochen bis zum Auge hin und verlieh ihm ein schiefes Grinsen.

      Unter seinem stechenden Blick zitterten Dumonts Nasenflügel bis zum wulstigen Hals, während er schwor, nichts damit zu tun zu haben.

      „Du verlogener Hund!“, zischte Joe. „Mit dir mache ich keine Geschäfte mehr. Ich bin raus of this shit! Los, gib mir meinen Anteil. Wo ist dein Safe?“

      Der Bedrängte gewann plötzlich an Selbstvertrauen: „Das hat man nun davon, wenn man mit Wüstensöhnen ernsthaft Business macht. Bist du dumm! Ich habe kein Geld hier. Wie soll es Rendite bringen, wenn es im Tresor liegt? Überleg mal. Es ist alles investiert, um Zinsen abzuwerfen, return on investment nennt man das. Hat den Vorteil, dass es nicht geklaut werden kann“, fügte er leise hinzu.

      „Falsche Antwort!“

      Die Hand mit dem Messer zuckte kurz, und von Dumonts Ohr tropfte Blut. „Autsch, verdammt“, heulte der.

      „Lass hören: Wo ist das Geld?“

      Dumont schielte auf die Messerspitze, die sich vor seiner Nase bewegte.

      „Ich sage doch: Ich habe nichts da! Gib mir Zeit, komm in einer Woche wieder, bis dann kann ich es dir beschaffen.“

      Ein kleiner Schnitt verletzte seine Nase. „Du lügst, wenn du den Mund aufmachst. Das beleidigt meine Intelligenz.“

      Resigniert senkte Dumont den Kopf, schüttelte Joes Hand ab, ging zum Bild an der Wand. Er hängte es ab und dahinter kam ein Safe zum Vorschein.

      Joe warf das Messer spielerisch von einer Hand in die andere. „Ah, die Verständigung wird mit jedem Mal besser. – Öffnen!“

      Hatte er doch recht gehabt. Dumont war ein Geschäftsmann, der ein Bündel Banknoten und wichtige Papiere in seiner Nähe haben wollte, um notfalls sofort untertauchen zu können. Schniefend stand der neben dem Tresor und betupfte seine Wunde mit dem Taschentuch. In letzter Auflehnung schüttelte er den Kopf, worauf Joe grob nach seiner Hand griff.

      „Welchen deiner Finger brauchst du am wenigsten? Den Kleinen, der ist eh überzählig.“ Dumont wand sich, bis Joe ihn losließ, auf dessen Nicken begann er am Zahlenschloss zu drehen und nach einem kaum hörbaren Ton schwang die Tür auf. Joe schob ihn zur Seite und sah als Erstes ‚The Rose of India‘. Die Anwesenheit des kostbaren Kolliers verhieß nichts Gutes. Wo war Achmet? Er hätte den Rubin nie freiwillig hergegeben, er hütete ihn wie seinen Augapfel und glaubte an seine magische Kraft. Der Edelstein mit dem Schliff einer Rose, war von winzigen Diamanten eingefasst, war zweifellos eine strahlende Schönheit und wurde in Fachkreisen auf 25 Karat geschätzt. Joe interessierte einzig, dass er ein Vermögen wert war.

      Er griff in den Safe, da spürte er einen Pistolenlauf im Nacken, begleitet von einem leisen Klicken.

      „Lass fallen, du dreimal verfluchter Nigger!“

      Vorsichtig blickte er auf.

      „Das Messer, ganz langsam.“

      Joe ließ das Messer fallen. Da schlug Dumont die Safetür zu und klemmte Joes Hand ein. Für Fälle wie diesen hatte er im oberen Fach immer eine Pistole liegen. Er sah vielleicht nicht besonders aus, aber Dumont war schlau.

      „Eigentlich sollte ich dir gleich das Licht ausblasen, aber das würde mir den schönen Teppich ruinieren. Platzest einfach hier rein, beschuldigst mich und beleidigst meine Ehre.“

      Er war wütend, vor allem auf die, auf Joe angesetzten Killer. Sie hatten versagt. Wenn man nicht alles selbst machte!

      „Was glaubst du, wer du bist? Ohne meinen Tipp damals säßest du heute noch in der Wüste und würdest Sandkörner zählen.“ Empört spuckte Dumont die Worte in Joes Gesicht, wog das zuvor aufgehobene Buschmesser in der rechten Hand und schlug zu. „Na, wie schmeckt das?“

      Er traf Joes linke Gesichtshälfte und ein Knochen knirschte.

      „Oder das!“

      Der nächste Schlag erwischte Joe an der Schläfe und er verlor das Bewusstsein. Dumont machte galant einen Schritt zur Seite, als Joe wie ein gefällter Baum vornüberfiel, einen Stuhl unter sich begrub und regungslos liegen blieb. Schnell riss Dumont ihm die Jacke über die Schultern, um seine Arme zu fixieren.

      „Weißt du, was man mit ungehorsamen Niggern macht?“

      Erregt griff er nach der Peitsche über dem Kamin und zog sie Joe über. Ein weiterer Hieb und noch einen, wieder und wieder klatschte das Leder auf den wehrlosen Körper nieder, bis Dumont nach Atem rang. Erschöpft setzte er sich in den Sessel und rief Betty:

      „Komm, beweg deinen Hintern. Ruf Olaf und Becca. Es gibt Arbeit für die beiden, aber schnell!“

      Mit sich und der Welt wieder im Reinen, stieß er Joe mit der Fußspitze an. Doch der bewegte sich nicht.

      Pfeifend schloss er den Safe, schenkte sich einen Whisky ein und wartete.

      „Yoo – Chef. Was geht ab?“

      Dumonts Superduo fürs Grobe kam herein. Olaf, großmäulig, Schlägergesicht, mit mehr Hirn in der

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