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DIE ZÜRCHER ACHSE. Eveline Keller
Читать онлайн.Название DIE ZÜRCHER ACHSE
Год выпуска 0
isbn 9783347085176
Автор произведения Eveline Keller
Жанр Триллеры
Издательство Readbox publishing GmbH
„Na, ja, es ist gleich Zwölf. Am besten geh ich schnell bei ihm vorbei, das ist nur ein kleiner Umweg. Wir sehen uns dann im Hauptquartier. Tschüss.“
Das hätte sie besser bleiben lassen. Schon als sie das rechtsmedizinische Institut betrat, schlug ihr der Geruch der Lösungsmittel unangenehm auf den Magen. Zum Glück war Reuven immer sehr sachlich und kurz angebunden, tröstete sie sich. Sie würde es nicht lange aushalten müssen. So zählte sie die Minuten bis sie sich verziehen konnte. Doch zu ihrer Überraschung war er gar nicht knapp wie sonst, der Fremde schien es ihm angetan zu haben.
„Der Tote ist zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt, schwer zu schätzen. Er muss ein entbehrungsreiches Leben gehabt haben, seine Zähne und Knochen weisen verschiedene Mangelerscheinungen auf. Darum lässt sich sein Alter nicht genauer bestimmen, mit anderen Worten, er wirkt älter, als er wahrscheinlich ist.“ Sorgsam und mit ausschweifenden Erklärungen zeigte er ihr die Stellen, an denen man dies erkannte.
„Der Mann hat einen Blutalkohol von über zwei Promille, was für ihn, den ungeübten Trinker, einer Alkoholvergiftung nahekam. Das war jedoch nicht die Todesursache. Er wurde verprügelt, starke Schläge auf Kopf und Oberkörper. Der Kiefer links und der Wangenknochen gebrochen, Nasenbein auch, Platzwunden über den Jochbeinen von Fußtritten. Er kroch ein Stück weit, wahrscheinlich wollte er seinen Verfolgern entkommen, und ist über der Wasserpfütze zusammengebrochen. Und sieh mal da.“ Er hob den Oberkörper des Toten leicht an, zwischen all den Blutergüssen und Verletzungen zeigte er auf eine Druckstelle eine Handbreite unter dem Halswirbel. „Jemand drückte ihn nach unten, in seinem Zustand war das fatal und er ist ertrunken.“
Amber nickte nachdenklich: „Bis wann kannst du mir den Bericht senden?“
„Die Details kennst du jetzt ja, und mit der Arbeit, die sich hier türmt, Morgen, frühestens.“
„Geht das nicht etwas flotter? Na, einfach schnellstmöglich.“ Sie verabschiedete sich kurzatmig und trat erleichtert ins Freie. Sie würde sich nie an den Geruch des Todes gewöhnen.
9.
Dr. Joseph Ngowami stand am Eingang des stattlichen Geschäftshauses an der Zürcher Bahnhofstrasse. Die Sonne spiegelte sich verheißungsvoll im Messingschild der Firma Dumont Import & Export Ltd. Von einer plötzlichen Nervosität ergriffen, lockerte er mit dem Zeigfinger seinen Hemdkragen. Er fühlte sich nicht sonderlich wohl im Anzug, er war ungewohnt und die neuen Schuhe drückten. Der Mao-wiss, das übliche Gewand seiner Heimat Somalia, wäre bequemer gewesen, aber er wollte sich möglichst unauffällig unter all die Geschäftsleute mischen. Entschlossen trat er ein und fuhr mit dem Fahrstuhl in die zweite Etage, schritt über Böden aus feinem italienischem Marmor und an den Wänden hingen Werke verschiedener Künstler. Am Ende des kurzen Flurs wurden seine Schritte von einem hellbeigen Spannteppich gedämpft und eine freundlich lächelnde Empfangsdame mit blondierten Haaren und Seidenfoulard begrüßte ihn. Sie saß hinter einem off-weißen Tresen aus Holz, der in ihren Schreibtisch überging. Sie beherrschte virtuos eine Telefonzentrale mit zehn verschiedenen Anschlüssen, die mit den Namen der jeweiligen Firmen bezeichnet waren, die allesamt Dumont gehörten, und aus nicht viel mehr als einem Briefkasten und einigen Bankkonten bestanden.
„Guten Tag, ma belle! Mein Name ist Doktor Ngowami. Ich habe in genau … zwanzig Sekunden … einen Termin bei Dumont. Dringend!“, sagte er mit einem Akzent, der ihn die Vokale laut aussprechen ließ. Er blickte auf seine Uhr und klopfte leicht darauf, um sich zu versichern, dass sie funktionierte. „Wenn Sie ihm das bitte melden würden.“
Ihre Mundwinkel hakten sich oben fest, ansonsten blieb sie ruhig.
„Bitte warten Sie einen kurzen Augenblick, Herr Doktor Ngowami.“
Sie trippelte um den Tresen herum und klopfte dezent an Dumonts Tür. Als sie auf die Klinke drückte, wurde sie sanft zur Seite geschoben.
„So geht das nicht!“, empörte sie sich.
„Es geht. Sie können gehen“, widersprach er und blickte sie an, bis ihr seine rabenschwarzen Augen unheimlich wurden. Sie wandte sich hilfesuchend an ihren Chef Dumont, der überrascht aufgesprungen war.
„Was zum Teufel – ach, okay Betty“, winkte der ab.
Dr. Joe Ngowami trat in das geräumige Büro und schaute sich um. Große Fenster reichten vom Boden bis an die Decke und gaben den Blick auf die Geschäftsstraße unter ihnen frei. Auch hier war die Einrichtung in Beige und Weiß gehalten, mit golden verzierten Rändern und Beschlägen, und ein hochfloriger weißer Teppich erstreckte sich über den gesamten Boden. Einen großen Teil des Raumes beanspruchte Dumonts wuchtiger Arbeitstisch mit Glasplatte, in einer Ecke standen ein beiges Ledersofa und bequeme Sessel für Besucher. Eine kleine Bar mit Kühlschrank und ein verzierter Kamin, über dem ein typisch arabischer Krummsäbel und eine mehrschwänzige Peitsche hingen, rundeten das Bild ab.
„Joe, du hier in Europa? Sei gegrüßt, alter Freund! Wann bist du gelandet? Du kommst wie gerufen, grad eben habe ich eine brandneue Lieferung von Panzerfäusten erhalten. Da kriegst du das Augenwasser, warte bis… kchg …“
Dr. Ngowami hatte ihn am Hals gepackt und drückte ihn gegen die Wand.
„Halts Maul!“, zischte er. „Genug! Nicht nur, dass du seit letztem September versprichst, Waffen zu liefern, die sich dann in Luft auflösen, and you, son of a bitch, uns mit einer Ausrede nach der anderen tröstest: Jene, dass die Piraten vom Hawiye-Clan das Schiff gekapert hätten, fand ich die Fantasieloseste von allen. Aber als mir später ebendiese Ware für den doppelten Preis auf dem Schwarzmarkt in Eyl angeboten wurde, war mir einiges klar. Es ist mir egal, if you play both ends against the middle und du andere aufs Kreuz legst, aber mich abzuservieren, deinen jahrelangen Businesspartner, ist nicht die feine Art. Wo bleibt da die Win–win–Situation?“ Sein beißender Sarkasmus trieb Dumont die Röte ins Gesicht.
„Lass hören: Was hast du mit Achmet gemacht? Meine Geduld ist zu Ende!“
Dumont traten die Augen aus den Höhlen, er zog an der stählernen Faust und machte hustende Geräusche. So plötzlich, wie er ihn gepackt hatte, ließ Joe ihn los, und er holte hustend Luft.
„Spinnst du? Willst du mich umbringen? Wie kommst du darauf, dass ich weiß, wo dein Mann steckt? Frag die Polizei, die sind für Vermisste zuständig.“ Er schöpfte Atem.
Joe hielt ihm ein Buschmesser an die Kehle, rostig, eingekerbt, an dem bestimmt noch das Blut seines letzten Opfers klebte, und flüsterte ihm zu: „Weil ich es in meiner Nase spüre, dass du deine Hände im Spiel hast. Los spuck es aus, oder ich schlitze dir die Kehle von einem Ohr zum anderen auf.“
Dumont erschauerte. „Und wo spürst du es, wenn es regnet – im linken Zeh? Bleib mir weg mit deinem Voodoo-Zeugs, ich bin ein gottesfürchtiger Geschäftsmann.“
Martin Dumont und Dr. Joe Ngowami hatten sich vor mehr als fünf Jahren in einem Hotel in Nairobi kennengelernt. Während draußen der Monsun wütete, vertrieben sie sich an der Bar die Zeit. Man kam ins Gespräch. Der hochgewachsene Afrikaner beeindruckte den umtriebigen Handelsmann mit seinen guten Manieren und seinen Kenntnissen der deutschen Sprache. Dumont hatte eine Nase für einträgliche Verbindungen. Ihm war schnell klar, dass Joe ihm mit seinem Goethe-Diplom gute Dienste leisten konnte. So entwickelte sich nach und nach eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung, die im prosperierenden Piraten-Business mitmischte.
Joe hatte viele Namen; sein Taufname setzte sich, wie in Somalia üblich, aus dem Namen seines Clans der Isaaq, seinem Vornamen, dem Vornamen seines Vaters und dem seines Großvaters zusammen. Laut Pass war er aber Dr. Joseph Mahdi Ngowami aus Kenia. In seinem Mutterland Somalia wurde er oft ‚Daktari‘ gerufen, was auf Deutsch Doktor heißt und manchmal zu Missverständnissen führte, denn er war nicht Arzt, sondern Jurist. Aber das machte keinen Unterschied, in seiner Heimat gab es keinerlei Auskommen für die Bevölkerung, es herrschte seit zwanzig Jahren ein Bürgerkrieg, und die Wirtschaft des Landes war am Boden. Täglich starben bis zu zwanzig Menschen bei Schießereien auf offener Straße.
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