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wieder als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, brachte man die behinderten Menschen in „Anstalten der sogenannten Irren-, Krüppel- und Gebrechensfürsorge“ unter. In Preußen (1891) verhinderte die Armengesetzgebung noch die berufliche Rehabilitation und medizinische Versorgung behinderter Menschen.

      Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis etwa 1933 kümmerte man sich in der Medizin, insbesondere Psychiatrie, nun zunehmend um die medizinische Versorgung von behinderten Menschen. Gleichzeitig befasste sich die sogenannte „Krüppelpädagogik“ mit den Ursachen von Krankheit und Behinderung von Kindern und Jugendlichen. Diese durften nun getrennt von nicht behinderten Kindern auch zur Schule gehen. Der „Selbsthilfebund für Körperbehinderte“ setzte sich 1917 gegen den „Krüppel-Begriff“ und für die Verwendung der Bezeichnung „Körperbehinderung“ ein.

      Der Nationalsozialismus (1933 bis 1945) sorgte dafür, dass behinderte, sowie arme und kranke, Menschen in Heimen und Krankenhäusern zu Versuchsobjekten degradiert und dort im Zuge des „Euthanasieprogramms“ zu Hunderttausenden sterilisiert und getötet wurden. In den 30er-Jahren erschien der Begriff „Erbkrankheit“ im Erbgesundheitsgesetz.

      Im Nachkriegsdeutschland wurde die Zwangssterilisationen für Menschen mit Behinderungen abgeschafft (aber erst 2007 als grundgesetzwidrig anerkannt) Im Nürnberger Ärzteprozess (1946-47) wurden einige wenige Ärztinnen und Ärzte, hauptsächlich aus Konzentrationslagern, wegen des „Euthanasieprogramms“ verurteilt. Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (1948) berücksichtigte behinderte Menschen dennoch nicht und erst 1990 wurden Kinder mit Behinderungen in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen miteinbezogen.

      Da in der DDR möglichst alle Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt integriert wurden, so auch Menschen mit Behinderungen. Für Kinder, die erst auf Sonderschulen lernten, konnten dort auf Regelschulen wechseln. Alle anderen kamen in Pflegeheimen unter, damit die Eltern arbeiten konnten. Dem gegenüber förderte die BRD vor allem kriegs- und arbeitsverletzte Menschen und beschäftigte behinderte Menschen in Werkstätten, Sonderschulen und Berufsförderwerken.

      Selbsthilfeorganisationen wie die „Aktion Sorgenkind“ (heute „Aktion Mensch“) sammelten in den 60er-Jahren Spenden für bessere Bildungsbedingungen. Zehn Jahre später entstand dann nach Vorbildern aus den USA und Großbritannien die Behindertenbewegung oder „Krüppelbewegung“. Diese wies mit dem provokanten Wort „Krüppel“ auf die Stigmatisierung behinderter Menschen als Mitleidsobjekte hin und erreichte letztlich, dass im Jahre 1994 das Verbot der Benachteiligung aufgrund von Behinderung im Grundgesetz verankert wurde.

      Ab 1994 folgten weitere Gesetzesänderungen, die Menschen mit Behinderungen mehr Rechte einräumten (z. B. im Baurecht oder in Bezug auf die Rente). Außerdem wurde das Sonderschulsystem durch Förderzentren ergänzt. Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten (bzw. „mit geistiger Behinderung“) vereinigten sich für ein selbstbestimmtes Leben im Netzwerk „Mensch zuerst“.

      Seither setzte sich allmählich eine neue Perspektive durch. Es ist vor allem die Gesellschaft, die Menschen behindert. Die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sollte in Deutschland ab 2002 das Bundesgleichstellungsgesetz gesetzlich gewährleisten, auf internationaler Ebene gilt seit 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention. Mit dem Begriff Inklusion wird die menschliche Vielfalt gefördert, indem Menschen mit Behinderung genauso wie andere Menschen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen haben und dort auch willkommen sind.

      Wer behindert ist, ob körperlich oder geistig, sollte sich entweder umfangreich orientieren und informieren oder jemanden ganz freundlich suchen und um Hilfe/Unterstützung bitten.

      Niemand trifft eine Schuld für unsere Behinderungen und keiner oder keine können medizinisch wirklich helfen, zumindest in den meisten Fällen. Deshalb ist es auch so einfach mit uns Behinderten klar zu kommen. Deshalb stehen keine Schuldzuweisungen und auch keine falschen Hoffnungen zwischen uns. Das gilt in der Regel für die Mehrzahl der Behinderten. Das ist Fakt und es ist gut so.

       2. Behinderung ist keine Krankheit

      Es gibt tausend Krankheiten, aber nur eine Gesundheit.

      Ludwig Börne (1786-1837),

      Eine Behinderung ist keine Krankheit, wenngleich auch Behinderte krank werden können. Das differenzierende Merkmal einer Krankheit ist die Heilungsmöglichkeit. Deshalb können auch Behinderte krank und somit krankgeschrieben werden und eine Blindarmentzündung, Grippe oder Darmkrebs bekommen.

      Andererseits kann man mit einer Krankheit auch sehr eingeschränkt sein, ohne behindert zu sein. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn nach einem Beinbruch der Fuß im Gips eingeschalt ist und man sich zwangsläufig nur mit Krücken fortbewegen kann.

       EuGH urteilt zur Abgrenzung von Behinderung und Krankheit

      EuGH, Urt. v. 11.04.2013 – C-335/11, C-337/11

      Eine heilbare oder unheilbare Krankheit, die eine physische, geistige oder psychische Einschränkung mit sich bringt, kann einer Behinderung gleichzustellen sein. Die Verkürzung der Arbeitszeit kann als eine Vorkehrungsmaßnahme angesehen werden, die ein Arbeitgeber ergreifen muss, damit Menschen mit Behinderung arbeiten können.

      In seinem Urteil hat der Gerichtshof zunächst klargestellt, dass der Begriff "Behinderung" dahin auszulegen ist, dass er einen Zustand einschließt, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist. Der Gerichtshof führt aus, dass der Begriff "Behinderung", anders als die Arbeitgeber in diesen beiden Rechtssachen geltend machen, nicht unbedingt den vollständigen Ausschluss von der Arbeit oder vom Berufsleben impliziert. Ferner hängt die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung nicht von der Art der zu treffenden Vorkehrungsmaßnahmen, wie z. B. der Verwendung besonderer Hilfsmittel, ab. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob bei den Arbeitnehmerinnen im vorliegenden Fall Behinderungen vorlagen.

      Man hat die unzähligen Erscheinungen von Behinderungen nach ihren Arten von Einschränkungen eingeordnet, die das Denk-, Lern-, Sprach-, Verhaltens- oder Wahrnehmungsvermögen beeinträchtigen. Die offizielle und rechtsgültige Definition für Deutschland liefert § 2 Absatz 1 des Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX), worin Menschen als behindert gelten, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Auf welche Leistungen die Betroffenen ab welchem Grad der Behinderung in diesem Fall Anspruch haben, regelt ebenfalls das Neunte Sozialgesetzbuch

      Die Arten von Behinderungen lassen sich in folgende Gruppen einteilen:

      • Körperliche Behinderungen, z. B. motorische Einschränkungen, Beeinträchtigungen der Seh-, Hör- und Sprachfähigkeit, chronische Krankheiten

      • Geistige Behinderungen, z. B. Lernbehinderungen, gestörte kognitive Fähigkeiten, stark unterdurchschnittliche Intelligenz

      • Seelische Behinderungen, z. B. Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Suchtkrankheiten, Psychosen

      Sowohl die Schwere von Behinderungen als auch deren Ursachen sind völlig unterschiedlich. Einige bestehen von Geburt an, andere werden erst durch einen Unfall oder eine Krankheit im Laufe des Lebens „erworben“. Gerade im hohen Lebensalter kommen viele Faktoren zusammen, die den Betroffenen auf mehrfache Art und Weise einschränken können. Ein abschreckendes Beispiel ist das von Michael Schumacher, dem erfolgreichsten Formel-1-Piloten, der in seinen Rennen Kopf und Kragen riskiert hat, wobei nie schwere Unfälle geschahen. Im Dezember 2013 zog er sich bei einem Skiunfall schwerste Kopfverletzungen zu und befindet sich seither in medizinischer Rehabilitation. Niemand kann sich daher sicher sein, wann und ob ihn ein solch schweres Schicksal trifft. Zu den unterstützenden Maßnahmen für Menschen

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