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Aufrichtiges Bedauern ob der kollektiven Unfähigkeit unserer Gesellschaft, den fatalen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte entgegenzuwirken und die immer schwerer umkehrbare Zerstörung unseres Lebensraumes zu beenden. Ratloses Bedauern darüber, dass bis zum heutigen Tage erbarmungslose, blutige Konflikte das Leben zahlloser Menschen zur Hölle machen, anstatt dass die Einflussreichen sich gemeinsam den wirklich drängenden Problemen unserer Zeit widmen würden.

      Alexander Gersts Statement ist berührend und stimmt nachdenklich, doch neu sind seine Einsichten selbstverständlich nicht. Stammten sie nicht von einer Art wissenschaftlichem Popstar, hätten sie mit Sicherheit nicht dieselbe Aufmerksamkeit erregt. Doch selbst ein spektakulärer Appell aus dem Weltall lässt unseren Politikbetrieb nicht aus der Alltagsroutine aufschrecken, geschweige denn uns vielbeschäftigte Berufstätige in unserem täglichen Umfeld. Schöne Worte zu schönen Bildern, vorübergehende Nachdenklichkeit, und dann geht es weiter wie gehabt.

      Wie wäre es denn, Alexander Gersts Botschaft wörtlich zu nehmen? Haben wir uns schon einmal mit der Frage beschäftigt, was wir unseren Kindern und Enkelkindern antworten würden, wenn sie uns fragten: „Was ist schief gegangen damals? Wo ist das Grün der Wälder und Wiesen hin, das auf euren Fotos zu sehen ist? Wo sind die weißen Gletscher der Alpen?“ Wie würden wir uns fühlen, wenn die folgende Generation uns eindringlich auf den Zahn fühlte: „Wieso gibt es so viele furchtbare Kriege um Wasser und Lebensraum? Habt ihr nichts gelernt aus den Weltkriegen vor 100 Jahren? Wieso habt ihr Öl und Kohle verheizt, obwohl zu eurer Zeit allen klar war, dass damit der Planet aufgeheizt und viele Gegenden der Erde zerstört und verseucht werden? Seid ihr denn vollkommen übergeschnappt gewesen, zu glauben, Wohlstand, Reichtum, Luxus könnten einfach immer noch weiter gesteigert werden? Seid ihr völlig von Sinnen gewesen, auf ewiges Wirtschaftswachstum zu vertrauen und die dabei auftretenden Probleme einfach zu ignorieren? Wo wart ihr seinerzeit, womit habt ihr euch stattdessen beschäftigt, welche Politikerinnen und Politiker habt ihr gewählt, worin euer Geld investiert? Wer hätte eurer Meinung nach die Probleme angehen sollen? Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Ging es euch nur um euren Vorteil, habt ihr nur für den Moment gelebt, nach mir die Sintflut, carpe diem, komme was wolle, sündige kräftig?“ Was würden wir antworten? Verärgert abwimmeln? „Ihr macht es euch zu leicht, es ist doch alles viel komplizierter als ihr denkt.“ Beschämt zu Boden blicken, Ausflüchte stammelnd? Es sei ja leichter gesagt als getan, sich den Herrschenden und Einflussreichen entgegen zu stellen, anders zu leben und wirklich etwas zu verändern, im großen Rahmen. Ideen gab es viele, aber kaum jemand ist vorangegangen und konnte sie durchsetzen. Alle haben doch mitgemacht! Hier und da haben wir uns ja bemüht, daneben mussten wir aber doch den Alltag absolvieren, Geld verdienen, in Urlaub fahren… Sollte es tatsächlich soweit kommen, bleibt uns wohl nichts anderes, als uns wie Alexander Gerst bei ihnen zu entschuldigen und einzugestehen: „Seht ihr, wir haben versagt. Und ihr, ihr müsst nun mit den Folgen leben und das Beste daraus machen.“

      Doch um Pessimismus und Schwarzmalerei soll es hier nicht gehen.

      Drei Monate zuvor, am 20. August 2018, stellte sich eine unscheinbare 15-jährige Schülerin mit einem Plakat vor den schwedischen Reichstag in Stockholm. Auf dem Plakat war zu lesen: „Schulstreik fürs Klima.“ Bis zum 9. September, den Tag der Parlamentswahlen in Schweden, begab sich Greta Thunberg jeden Tag aufs Neue vor das Abgeordnetenhaus, ganz allein, ohne die Unterstützung ihrer Mitschüler oder Schulleitung, geschweige denn mit irgendeiner mächtigen Organisation im Rücken. Der Kontrast zwischen dem übermächtigen globalen Bedrohungskomplex des Klimawandels und einem einsamen Teenagermädchen hätte größer und entmutigender nicht sein können. Und doch wurde Greta Thunberg zu einem David, der es mit einem schier übermächtigen Goliat aufnehmen konnte. Einem Goliat, gleich einer Hydra, deren Köpfe Profitgier, Egoismus, Hochmut und Gleichgültigkeit heißen. Zunächst berichteten nur einige schwedische Tagesmedien von Gretas stillem Protest, bevor es im Oktober einen ersten internationalen Zündfunken gab, bei einem Treffen von Thunberg mit Vertretern der britischen Bewegung „Extinction Rebellion“. Ab November bildeten sich größere Protestgruppen in zahlreichen schwedischen Kommunen. Kurz darauf griff die Bewegung, die sich unter dem Hashtag #fridaysforfuture formiert, auf andere Länder über. Seit Anfang 2019 bestreiken auch in Deutschland regelmäßig Schülerinnen und Schüler freitags den Unterricht, um für ihr Anliegen auf die Straße zu gehen: Die Gesellschaft soll ihre Sorge hören, die Politik soll endlich Maßnahmen ergreifen, um den vom Menschen mit verursachten Klimawandel abzuwehren oder zumindest abzumildern. Bisheriger Höhepunkt der von Thunberg initiierten Bewegung war der weltweite „Klimastreik“ am 20. September 2019, an dem sich weltweit, selbst in armen und kriegsgeplagten Ländern wie Afghanistan oder den Philippinen, Millionen Menschen beteiligten und ein beeindruckendes Zeichen gegen die allgemein verbreitete Gleichgültigkeit setzten.

      Über die Person Greta Thunberg, über ihre Gesundheit, ihre Herkunft, über ihre Vereinnahmung durch ein aktiennotiertes Social-Media-Startup, angebliche familiäre Verstrickungen in Geheimgesellschaften wie die Freimaurer und andere vermeintliche Seilschaften wurde seither viel berichtet und diskutiert, ebenso wie über die Frage, ob die Kinder und Jugendlichen nicht besser in ihrer Freizeit demonstrieren gehen sollten, anstatt die Schule zu schwänzen. Die üblichen Abwehrmechanismen des Komplexes aus Medien, Wirtschaft und Politik: das eigentliche Anliegen der nächsten Generation besser unter den Teppich kehren, denn zu viele Interessen finanzieller Art könnten von einer breiten gesellschaftlichen Debatte über Klimaschutz und eine nachhaltige Wirtschaftsweise beeinträchtigt werden. Doch entgegen all der feindseligen und spöttischen Reaktionen haben die Proteste ein wesentliches Ziel erreicht: Ihre Themen sind fester Bestandteil der öffentlichen Debatte geworden. Alle größeren Parteien in Deutschland haben sich im Europawahlkampf 2019 in irgendeiner Form zum Thema Umwelt- und Klimaschutz positioniert. Auf die großspurige Bemerkung des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, die Jugend soll Klimapolitik doch besser „den Profis“ überlassen, meldeten sich über 12.000 „Scientists For Future“, darunter Tausende Professoren und zwei Nobelpreisträger, um mit ihrem Fachwissen den Schülerprotesten zusätzliches Gewicht zu verleihen. Was nützt es schließlich, bei einer irrsinnig rasanten Fahrt auf einen Abgrund zu einfach nur ein wenig die Geschwindigkeit zu verringern, wie es der Finanz- und Wirtschaftselite offenkundig am liebsten wäre? Die Jugend, weitgehend gefeit gegen lobbyistische Einflussnahme und daher kaum korrumpierbar, hält den trägen, egoistischen Größen aus Wirtschaft, Politik und Medien den Spiegel vor. Kann sie den breiten Protest aufrechterhalten, wenn die Teilnehmerzahlen nachlassen? Wie soll sie reagieren angesichts der Ignoranz und der Politik des Aussitzens in den Machtzirkeln unserer Staatsgebilde?

      Ein großer, schwerer Stein ist endlich ins Rollen geraten.

      Anfang Mai 2019 verkündete ein Gericht in der südargentinischen Provinzhauptstadt Neuquén in einem von der Weltöffentlichkeit unbemerkten Verfahren sein Urteil: Sechs wegen Hausfriedensbruchs und widerrechtlicher Aneignung angeklagte Angehörige der Mapuche-Minderheit wurden in allen Anklagepunkten freigesprochen. Hintergrund des Rechtsstreits war der Widerstand gegen das Megaprojekt „Vaca Muerte“, bei dem mittels Fracking Öl- und Gasvorkommen aus dem Boden des Gemeindegebietes der Angeklagten abgebaut werden sollte. Wegen der unkontrollierbaren Umweltschäden sowie mehrerer tödlicher Unfälle in den Förderstätten ist das Projekt hochumstritten. Doch vor allem sehen sich die Nachkommen der Ureinwohner seit Jahrzehnten wiederkehrenden Anläufen von Staat und Privatwirtschaft ausgesetzt, das Land der Mapuche für umfassende Rohstoffausbeutung in Beschlag zu nehmen. So erwarb die Unternehmerfamilie Vela Ende der 1970er Jahre, unter der letzten argentinischen Militärdiktatur, Land im Territorium der Mapuche-Gemeinde, und versucht seither immer wieder, die Ureinwohner von ihrem angestammten Gebiet zu vertreiben. Das Gebiet der Gemeinde Lof Campo Maribe wurde schließlich 2014 in Absprache zwischen dem staatlichen Ölkonzern YPF und dem US-amerikanischen Energieriesen Chevron für die Förderung von Öl und Gas ausgewählt. Die Zustimmung hierfür gab ausschließlich die Familie Vela, während die dort lebenden Indigenen nicht konsultiert wurden. Das Projekt wurde vorangetrieben, obwohl die argentinische Verfassung und internationale Konventionen den Mapuche das Recht auf ihr Territorium zweifelsfrei zusprechen. Das Gericht in Neuquén schuf nun einen Präzedenzfall, der den Mapuche in einem seit über einhundert Jahren schwelenden Konflikt um Landbesitzrechte in Südargentinien und Chile erstmals ihr Recht auf ihren ureigenen Landbesitz zuspricht.

      Dieses

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