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aus. Lorenz erkannte, dass, wenn ein Graugansküken aus dem Ei schlüpft, das Erste, was es zu Gesicht bekommt und sich bewegt, als Mutter angesehen wird. Egal, wie dieses Tier oder dieser Gegenstand aussieht. Dieses Objekt ist die Mutter. Lorenz schreibt dazu: »Trägt man solch ein Gänseküken zu einer Gänsefamilie, bei der sich gleich alte Junge befinden, so gestaltet sich die Sache gewöhnlich folgendermaßen: Der herankommende Mensch wird von Vater und Mutter misstrauisch betrachtet, und beide versuchen, mit ihren Jungen möglichst rasch ins Wasser zu kommen. Geht man nun sehr schnell auf sie zu, dass die Jungen keine Zeit mehr zum Fliehen haben, so setzen sich die Alten wütend zur Wehr. Geschwind befördert man das kleine Waisenkind dazwischen und entfernt sich eilig. In der großen Aufregung halten die Eltern den kleinen Neuling zunächst für ihr eigenes Kind und wollen es vor dem Menschen verteidigen, wo sie es in seiner Hand hören und sehen. Doch das Schlimmste kommt danach. Dem jungen Gänschen fällt es gar nicht ein, in den beiden Alten Artgenossen zu sehen. Es rennt piepsend davon, und wenn zufällig ein Mensch vorbeikommt, so schließt es sich diesem an; es hält eben diesen Menschen für seine Eltern.« (Quellennachweis, Lorenz, >) Lorenz sprach bei dieser Art des Lernens von Prägung. Ein wichtiges Kennzeichen dieses Lernvorgangs ist die Unwiderruflichkeit. Hat ein Gössel gelernt, dass ein Mensch die Mutter ist, dann bleibt dies ein Leben lang so. Das zweite Charakteristikum ist die sensible Phase. Das Fenster, in dem etwas gelernt wird, ist nur in einer ganz bestimmten Entwicklungsphase geöffnet. Es gibt also einen ganz klar definierten Zeitraum mit Anfang und Ende.

      Biologisch ausgedrückt heißt das, in einem ganz bestimmten Entwicklungsabschnitt eines Organismus werden ganz bestimmte Gene eingeschaltet, die das Lernen bedingen. Was aber das Lebewesen lernt, hängt von der Umwelt ab. Welche skurrilen und absurden Dinge gelernt werden können, hat Eckhard Hess – ein Mitarbeiter von Konrad Lorenz – in seinen Experimenten gezeigt.

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      Prägungskarussell – das Entenküken sieht den Ball als Ersatzmutter an.

      Das Prägungskarussell

      Eckhard Hess hat die klassische Prägungsapparatur erfunden und wollte wissen, wann sich das Zeitfenster der sensiblen Phase bei Entchen und anderen Küken öffnet und schließt. Bei seinem Experiment ging er folgendermaßen vor: In einem sogenannten Prägungskarussell ließ er frisch geschlüpfte, im Brutschrank erbrütete Entchen einer Attrappe nachlaufen. Das Karussell kann man sich wie eine kleine Zirkusmanege vorstellen (Abbildung, >). Das Größenverhältnis beträgt etwa eins zu zehn. Die Begrenzung des Manegenrandes ist mit Holzbrettern eingefasst, sodass der Vogel nicht herausschauen kann, in der Mitte gibt es einen zweiten Kreis aus Holzbrettern. Die Attrappe wird zwischen inneren und äußeren Kreis gesetzt und mittels einer Apparatur im Kreis herumbewegt. Damit ist gewährleistet, dass die Versuche unter kontrollierten Bedingungen ablaufen.

      Hess setzt ein frisch geschlüpftes Küken in das Karussell. Als Attrappe dient eine Holzente mit einem Lautsprecher im Bauch. Hess schaltet die Apparatur ein: Die Attrappe bewegt sich im Kreis und stößt Entenrufe aus. Die Ergebnisse sind eindeutig: Maximal 30 bis 60 Stunden nach der Geburt sind die Entchen für den Prägungsprozess empfänglich. Innerhalb dieser genetisch determinierten Zeitspanne, so Hess, genügt es, für nur zehn Minuten dem Tier eine Attrappe oder ein Lebewesen vorzusetzen – danach sind Bindung und Erkennung irreversibel. (Quellennachweis, Celli, >) Selbst wenn man statt der Holzente einen Fußball mit Lautsprecher verwendet, laufen die Entchen der vermeintlichen »Fußballmutter« nach.

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      Zwei, die sich mögen. Auch zwischen Eisbär und Schlittenhund kann Freundschaft entstehen.

      Freundschaft unter Tieren

      Wer mit mehreren Hunden, Katzen, Wellensittichen, Papageien oder mit einer anderen Tierart zusammenlebt, wird früher oder später beobachten, dass einige von ihnen unterschiedlich starke Bindungen zu ihrem Artgenossen aufbauen. Man sieht, dass manche Tiere häufiger zusammenliegen, sich kraulen oder lecken. Unsere Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Einige von ihnen sind Freunde. Für Tierfreunde gibt es daran nicht den geringsten Zweifel.

      Aber die Fähigkeit, Freundschaft als gegenseitige freiwillige Bindung zwischen biologisch nicht verwandten Individuen zu entwickeln, sprach man lange Zeit einzig und allein dem Menschen zu. Tiere seien dazu nicht fähig, hieß es. Erst durch die Evolutionstheorie von Charles Darwin, in der gezeigt wurde, dass zwischen Menschen und Tieren eine Verwandtschaft besteht, begann das Gebäude der scharfen Trennung von Mensch und Tier äußerst langsam zu bröckeln. Das Bild der Tiere in den Köpfen der Menschen veränderte sich, als die Menschen im vergangenen Jahrhundert damit begannen, die Tiere in der freien Wildbahn zu beobachten und zu erforschen.

      Paviane – die große Überraschung

      Barbara Smuts von der Michigan University studierte jahrelang das Verhalten von Pavianen in Kenia. (Quellennachweis, Smuts, >) Ihre Freilanduntersuchungen zeigten eindeutig, dass Paviane Freundschaften entwickeln und dass die Fähigkeit dazu von der Persönlichkeit des Tieres abhängt, obwohl sie promiskuitiv sind. Von Promiskuität spricht man, wenn sich beide Geschlechter nacheinander mit wechselnden Partnern paaren.

      Paviane paaren sich mit mehreren Weibchen und die Weibchen mit mehreren Männern. Das war die allgemeine Vorstellung vom Sexualverhalten der Paviane. Aber nachdem man Tausende Kopulationen beobachtet und die Daten ausgewertet hatte, stellte man fest, dass es Paarbindungen gibt. Die Weibchen wählen sich ihren Sexualpartner. Wer wird der Auserwählte? Es ist derjenige, mit dem das Weibchen befreundet ist. Diese Entdeckung war so überraschend wie sensationell.

      Hier einige Ergebnisse von Barbara Smuts Forschungsarbeit:

      1. Unabhängig vom Alter oder von der Dominanzstellung innerhalb der Gruppe haben Pavian-Weibchen meist ein oder zwei männliche Freunde, mit denen sie sich paaren.

      2. Männliche Paviane dagegen haben meist gar keine oder manchmal bis zu acht Freundinnen. Gleichgültig, ob dominant oder nicht, die Anzahl der Freundinnen ist davon nicht abhängig.

      3. Die Freundschaft der beiden Tiere überträgt sich auch auf die Kinder, selbst wenn das Männchen nicht der Vater war. Barbara Smuts berichtet von einem Fall, bei dem die Mutter einige Wochen nach der Geburt starb. Wenn das Kind weinte, hörte der Freund sofort auf zu fressen, ging zu dem Affenkind, gab Töne von sich und knuddelte es. Es durfte immer unter seinem Schutz fressen. Der Freund hatte eine Bindung zu dem Kind aufgebaut.

      4. Die Freundschaft der Mutter führt dazu, dass das Männchen Freundschaft mit den Kindern schließt. Der Freund verteidigt Mutter und Kind gegen andere angreifende Paviane.

      5. Wir halten fest: Pavianweibchen paaren sich mit mehreren Männchen, ob Nichtfreund oder Freund, aber in der Regel ziehen sie bei der Wahlmöglichkeit zwischen Freund und Nichtfreund den Freund vor. Oder kurz und knackig, wie es Barbara Smuts formulierte: Sex und Freundschaft gehen Hand in Hand.

      Freilandforschung ermöglicht eine neue Sicht auf unsere Mitgeschöpfe. Der Forscher lernt die Tiere als Individuen kennen. Er weiß, welch wichtige Rolle die Persönlichkeit bei seinen wissenschaftlichen Aussagen spielt. Durch das tägliche Zusammensein entwickelt sich Respekt vor den Mitgeschöpfen. Man erlebt sie in ihrem Umfeld, in ihrer Gruppe, in der sie interagieren. Daher nimmt es nicht Wunder, dass Forscher, die jahrelang das Leben der Tiere in freier Wildbahn studierten, beobachteten, dass manche Individuen einer Gruppe häufiger miteinander Kontakt hatten als andere. Dass Affen, darunter auch unsere nächsten Verwandten, freundschaftliche Bindungen mit ihrem Artgenossen eingehen, war oft nicht einfach wissenschaftlich festzustellen, aber keine allzu große Überraschung.

      Freundschaft bei Huftieren

      Die Biologin Anja Wasilewski untersuchte in ihrer Doktorarbeit, ob Pferde, Esel, Rinder und Schafe untereinander Freundschaften bilden. Es gelang ihr, Freundschaften bei diesen vier Tierarten nachzuweisen und erstmals quantitativ zu analysieren. Frau Wasilewski konnte auch

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