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hätte er beim Straffen mehr Bewegungsfreiheit gehabt und das Augenmerk der Fischerin leichter auf seinen Brustkorb lenken können, für dessen Umfang er vor zehn, zwölf Jahren viel getan hatte, an der Kraftstation, als seine Ehe noch nicht im Eimer gewesen war.

      Am Rande von Schneverdingen bewohnte Waldemar König, 48, ein »Nurdachhaus«, das so hieß, weil es keine Seitenwände hatte, und er servierte seinen Besuchern Fencheltee in selbstgetöpferten Keramiktassen. Das alles hätte schon genügt, um Kommissar Gerolds Stimmung zu dämpfen, aber König trug außerdem einen Schnurrbart zur Schau, der waffenscheinpflichtig zu sein schien: ein beidseitig in eine neunfache Spiralform gezwirbeltes Ding, das starke Zweifel an der Intelligenz seines Besitzers nährte.

      »Kannten Sie Breddeloh persönlich?« fragte Kommissarin Fischer.

      »Nein«, sagte König, und Kommissar Gerold sah angewidert zu, wie der Befragte ein Schlückchen Fencheltee schlipperte und es dabei sorgfältig vermied, seine Barthaare zu benetzen.

      »Haben Sie denn mal ein Buch von ihm gelesen?«

      »Ja. Diesen Fehler habe ich jedoch nur ein einziges Mal begangen. Über Breddelohs Charakter steht mir kein Urteil zu, aber als Autor ist er ein Stümper gewesen.«

      »Und wo waren Sie in der Tatnacht?« fragte Kommissar Gerold. »Zwischen zehn Uhr abends und drei Uhr morgens?«

      »In einem Puff in Soltau«, sagte König und lächelte. Vielleicht aus stiller Freude über die Verblüffung, die seine Antwort ausgelöst hatte, vielleicht aber auch nur wegen der süßen Erinnerung an seine Erlebnisse in der Soltauer Lustoase. »Dort hat man mich schon um zwanzig Uhr willkommen geheißen, und wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, bin ich erst um fünf Uhr morgens wieder gegangen. Das können Mandy, Pamela, Daisy und Coco bezeugen.« Er zückte ein Kärtchen und reichte es Kommissar Gerold. »Hier finden Sie alle notwendigen Angaben, was diesen kleinen, exklusiven Club betrifft. Sie können die Damen von mir grüßen. Doch ich warne Sie: Die Tarife, die man dort verlangt, liegen ein paar Zentimeter oberhalb Ihrer Gehaltsstufe …«

      Das Lächeln, das Königs Lippen unterhalb seiner Bartgirlanden umspielte, wurde breiter, aber Kommissar Gerold blieb bei der Sache. »Wir werden das überprüfen. Und lassen Sie uns nochmal auf Ihr Verhältnis zu Armin Breddeloh zurückkommen. Seine Krimis sind größere Verkaufsschlager als Ihre eigenen. Sehe ich das richtig?«

      Wenn König sich von dieser Bemerkung vor den Kopf gestoßen fühlte, wußte er es gut zu verbergen. Es sei ihm begreiflich, sagte er, daß ein schlichtes Polizistengehirn ihn für den Mörder halte und ihm als Motiv den Neid auf Breddelohs Bestseller unterschieben wolle. »Sehen Sie sich doch mal das Ranking bei Amazon an. Im Hinblick auf Armin Breddelohs Buchverkäufe ist seine Ermordung der größte Glücksfall seines Lebens. Bei den Krimis steht sein neuer Roman jetzt auf dem ersten Platz, und Sie dürfen mir glauben, daß ich keinen Finger gerührt hätte, um irgendetwas zu diesem Hype beizutragen. Haben Sie sonst noch Fragen?«

      »Dieser ekelhafte, selbstgefällige, fenchelteeschlabbernde Hurenbock mit seinem Kotzbrockenbart!« schrie Kommissarin Fischer, als sie neben Kommissar Gerold wieder im Wagen saß. »Wieso haben wir den nicht gleich in Beugehaft genommen? Wenn ich den mal als Falschparker erwischen sollte, dann gnade ihm Gott!«

      Kommissar Gerold unterbrach sie nicht. Er aß ein Snickers, schaute aus dem Fenster und wartete das Ende des Wutausbruchs ab.

      Doch sie war noch lange nicht fertig. »Glaubt dieser Pestfetzen im Ernst, daß er was Besseres ist als Armin Breddeloh? Und daß er mit seinem Heidegrabschändermüll den Literaturnobelpreis abgreifen kann? Und was sollte das anzügliche Geläster über Ihre Gehaltsstufe? Darauf ist er wohl auch noch stolz, dieser miese, eingebildete, vernagelte und arrogante Schmierlappen, der sich heute abend wahrscheinlich wieder in Soltau gesundstößt! He leeft as ’n Graf un geiht in Samt un Siede, aver fründelk is he as ’n Arm vull Slangen!«

      »Stammen Sie aus Ostfriesland?«

      »Jau!«

      »Eigentlich schade, daß Sie Herrn König das alles nicht ins Gesicht gesagt haben.«

      »Dat haar ick man daun sullt …«

      »Fertig?«

      »Weet ick noch neet.«

      »Statt zu schimpfen, sollten Sie lieber ein stilles Gebet sprechen und den lieben Gott darum bitten, daß Königs Alibi wasserdicht ist. Oder würden Sie ihn gern ein zweites Mal verhören?«

      »Das nicht. Aber Handschellen würde ich ihm schon gern anlegen …«

      2

      Die Kleinstadt Hachenburg im Westerwald bot ein Bild des Friedens. Fleißige Einzelhändler dekorierten ihre Schaufenster, die örtlichen Taxibetriebe wickelten die Fahrten der Dialysepatienten ab, im Forstlichen Bildungszentrum wurde ein Rezept für Wildkraftbrühe mit Rehnudeln ausgearbeitet, und in der hochklassigen Hähnelschen Buchhandlung in der Wilhelmstraße gingen zwei Dutzend Kriminalromane von Frieder Lindenthal über den Tisch: »Blutiger Westerwald«, »Der Westerwald-Killer« und »Spiel mir das Lied vom Westerwald«.

      In diesen Romanen ging es etwas härter zu als im wirklichen Leben. Lindenthal, ein gebürtiger Hachenburger, hatte seine Heimatstadt zum Schauplatz internationaler Bandenkonflikte erkoren, und der Erfolg gab ihm recht: Selbst den Schußwechsel zwischen der GSG 9 und der Todesschwadron eines kolumbianischen Drogenkartells im Hachenburger Seniorenwohnpark hatten die Leser ihm abgekauft.

      Jetzt heizte er seine Kellersauna an. »Ich bin ein Genießertyp«, hatte er in einer Talkshow verkündet. »Ich gehe gern mal mit mir allein in die Sauna. Dann weiß ich wenigstens, daß ich mich in guter Gesellschaft befinde. Denn ich mag mich! Wer sich selbst nicht leiden kann, der ist auf dem falschen Dampfer …«

      Dieser Satz war sogar in der Washington Post zitiert worden:

      Those who do not like themselves are on the wrong steamer, as Mr. Lindenthal said, a prominent German novelist.

      Ein treuer Leser hatte ihm diese Zeitungsseite zugeschickt. Lindenthals Blick ruhte jedesmal wohlgefällig darauf, wenn er sie wieder hervornahm, und das tat er oft.

      Doch nun war eine Runde Schwitzen angesagt. Er hatte an der Gürtellinie etwas zugelegt und wollte Fett verbrennen.

      Die Kohlen glühten gemütlich, und er streckte sich auf seinem saugstarken, in pfiffigen Pastelltönen kolorierten Badehandtuch aus gekämmter ägyptischer Baumwolle aus und dachte über seinen nächsten Kriminalromantitel nach. Denn der Titel war ja das eigentliche Tittenpaket. Der mußte Goldstandard haben. Vielleicht »Westerwaldgift« oder »Tod im Westerwald« oder »Den Westerwald sehen und sterben« oder etwas in dieser Richtung …

      Wenn Lindenthal ein feineres Gehör besessen hätte, wäre er bereits aufgeschreckt, als die Terrassentür aufgebrochen wurde. Das erste Geräusch, das er bewußt wahrnahm, war eine Art Scharren. Als würde jemand etwas Schweres durch die Diele schleifen. Aber konnte das sein?

      Lindenthal stand auf und öffnete die Saunatür.

      Stille.

      »Ist da wer?«

      Eine blöde Frage. Wer hätte da schon sein sollen? Die Putzfrau kam jeden Donnerstagmittag, und heute war Montag. Außerdem hatte sie keinen Schlüssel. Und es besaß auch sonst niemand einen Schlüssel.

      Nachdem er lange genug ins Nichts gehorcht hatte, zog Lindenthal die Tür wieder zu und begab sich in die Rückenlage. Und dann kam der Geistesblitz: »Westerwaldsterben«, das war der Titel, nach dem er gesucht hatte! Eine Melange aus Western, Waldsterben und als Jagdunfälle getarnten Auftragsmorden. Chapeau! Ein würdiger Nachfolger seines Debütwerks »Oh, du tödlicher Westerwald«, das demnächst vom ZDF verfilmt werden sollte. Die Verträge waren noch nicht in trockenen Tüchern, doch man hatte ihn wissen lassen, daß Heiner Lauterbach und Veronica Ferres die Hauptrollen bekleiden wollten. Zwei absolute Superstars. Aber man wußte ja nie. Schon gar nicht im Filmgeschäft. Kein Grund, dachte Lindenthal, sich bereits jetzt die Sahne auf den Lachs zu gießen. Das konnte er später noch tun …

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