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zwei „Schwestern“ als Spielkameradinnen – die zwei Mädchen von Lothar und seiner Ehefrau. Gisela fühlte sich bei ihrer Großmutter wohl und mit sechs Jahren machte sie wenig Probleme, aber die beiden Kinder vertrugen sich nicht gut und überforderten die alte Dame.

      Als Albert und Charlotte sich verlobten, bat Charlottes Mutter darum, dass der Junge bei ihr und Charlotte einzöge, auch um sich langsam an seine neue Umgebung zu gewöhnen. Manfred war vier Jahre alt, als er zu ihnen zog. Er mochte seine neue „Großmutter“ vom ersten Augenblick an, die ihrerseits überglücklich war, für diesen kleinen, schüchternen Jungen sorgen zu dürfen. Ihre ganze Aufmerksamkeit, Liebe und Zärtlichkeit zu teilen war genau das, was die beiden brauchten.

      Manfred und seine Omi verbrachten viel Zeit zusammen damit - Spiele zu spielen, Lieder zu singen, lange Spaziergänge zu unternehmen, und Ausflüge zum Zoo. Natürlich besuchten sie auch Hanni, Omis ältere Tochter, die ein paar S-Bahn-Stationen entfernt wohnte. Hannis ältester Sohn, Achim, war im gleichen Alter wie Manfred und die beiden waren bald schon unzertrennlich.

      Charlotte und Albert planten, so schnell wie möglich zu heiraten, in eine größere Wohnung in Tempelhof zu ziehen und auch Gisela zu sich zu holen.

      „Ich werde mit meinem Pastor sprechen, damit er die kirchliche Trauung vollzieht. Er hat mir einst versprochen, mich trotz seines Ruhestands zu trauen“, erzählte Charlotte Albert, voller Vorfreude, eines Abends während eines romantischen Abendessens bei Kerzenlicht und Wein.

      Albert legte die Stirn in Falten. „Darüber müssen wir noch mal sprechen.“

      Charlotte nickte und nippte an ihrem Wein. „Ja“, lächelte sie selig, „wir müssen ein Datum für das Aufgebot bestellen, damit er es weiß und auch zu der Zeit da ist.“

      Albert war für einige Zeit ganz still und spielte gedankenverloren mit seiner Gabel.

      Charlotte schaute ihn fragend an, „was ist?“

      Er seufzte. „Ich denke, wir sollten es bei einer standesamtlichen Trauung belassen.“

      Charlotte war wie vor den Kopf gestoßen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie von einer Trauung in der Kirche geträumt, sich vorgestellt, wie sie in einem weißen Samtkleid mit einem Bouquet roter Rosen auf den Altar zuschritt, am Arm des Mannes, den sie liebte.

      „Keine kirchliche Trauung?“, fragte sie verdattert.

      Albert rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. „Ich hätte es dir schon früher sagen sollen, denke ich, aber ich bin aus der Kirche ausgetreten, nachdem Steffi gestorben ist.“

      Sie wusste, dass er wegen der Art ihres Todes und dem seines Vaters große Probleme gehabt hatte, je eine christliche Beisetzung für Steffi und seinen Vater zu organisieren.

      „Ich glaube durchaus an Gott“, meinte er. „Ich bete zu ihm so oft ich kann und ich lese die Psalter, wenn ich Zeit habe, aber ich glaube nicht daran, dass die Kirche das tut, was sie anderen predigt. Sie ist voller Scheinheiliger, die Liebe, Vergebung und all das predigen, aber wenn jemand wirklich Hilfe braucht, dann stehlen sie sich klammheimlich davon.“ Er knüllte und zupfte an seiner Serviette herum, während er seine zukünftige Ehefrau besorgt ansah.

      Charlotte dachte eine Weile darüber nach, bis sie eine schwache Antwort zustande brachte: „Aber mein Pfarrer ist keiner von denen.“

      „Ich bin mir sicher, dass er als Mensch er ein wundervoller Mann ist, aber er ist ein Vertreter einer Kirche, mit der ich nicht übereinstimme, und er wird uns nicht trauen, wenn ich kein Mitglied bin, das Kirchensteuer entrichtet.“

      „Du könntest doch wieder eintreten“, warf sie ein.

      „Das könnte ich, aber ich will es nicht – das geht gegen all meine Überzeugungen und ich wäre damit ebenso scheinheilig wie die Kirche selbst.“

      Charlotte schluckte ihre Tränen herunter und erinnerte sich an die wunderbare Hochzeit ihrer Schwester vor ein paar Jahren. „Und was nun, Albert? Was geschieht dann, wenn wir Kinder kriegen? Ich möchte sie taufen lassen.“

      Albert griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Können wir einen Kompromiss finden?“, fragte er. „Wir heiraten im Rathaus – das müssen wir ja sowieso – und zu einem späteren Datum holen wir uns den Segen deines Pfarrers.“

      „Wie viel später, Albert?“, wollte Charlotte wissen und entzog ihm ihre Hand.

      Albert wusste nicht, was er erwidern sollte.

      „Wie viel später?“, fragte sie erneut. Unser erster Streit, dachte sie bei sich.

      Albert nahm ihre Hand und küsste sie sanft. „Wenn es dir so viel bedeutet, werde ich darüber nachdenken. Sprich mit deinem Pfarrer und wir sehen mal, was er dazu zu sagen hat.“

      Im März 1936 wurden sie in einer kleinen Feier getraut, bei der Charlottes Mutter und Großmutter, ihre Schwester Hanni mit Ehemann Max, die inzwischen schon drei Kinder hatten, sowie Alberts Kinder anwesend waren. Es war nicht die Hochzeit, die sie sich immer vorgestellt hatte, aber es war für sie beide eine bedeutungsvolle Zeremonie. Sie empfanden füreinander eine tiefe Liebe und nun waren sie verheiratet – was für ein berauschender Gedanke!

      Kurz nach ihrer Hochzeit meinte Albert, dass sie seine Mutter und seinen Bruder in Göttingen besuchen sollten. „Glaub mir, mein Schatz, ich habe wenig Lust darauf, aber ein Höflichkeitsbesuch scheint jetzt angebracht.“

      „Albert, das hätten wir tun sollen, bevor wir getraut wurden. Es war recht unhöflich, sie nicht zur Hochzeit einzuladen.“ Charlotte sah ihren Mann verärgert an.

      „Wenn du meine Mutter, Bruder und Schwägerin triffst, wirst du es verstehen. Außerdem war ich nicht sicher, ob du mich noch hättest heiraten wollen, wenn du sie erst einmal kennengelernt hast“, antwortete Albert mit einem verlegenen Lächeln.

      Charlotte schüttelte nur den Kopf. „Wie kannst du so etwas auch nur denken? Ich liebe dich und werde dich immer lieben.“ Im Stillen fragte sie sich: Wie schlimm können sie schon sein? Sie ist immerhin seine Mutter und Mütter lieben ihre Kinder – vielleicht übertreibt er nur.

      An einem schönen Frühlingstag im Mai entschied Albert, mit Charlotte und den beiden Kindern nach Göttingen zu fahren und seine Mutter zu besuchen. Er hatte ihr geschrieben und darum gebeten, dass auch Hans und Renate da sein sollten. Ihre kurze Antwort hatte folgendermaßen gelautet: „Kommt eben, wenn es sein muss.“ Albert hatte diesen Brief vor seiner Frau versteckt.

      Als es Zeit wurde zu fahren, weigerte sich Gisela mitzukommen. „Sie ist eine Hexe!“, schrie sie. „Sie ist nicht wie meine Oma in Erfurt. Sie hat mich immer in einem dunklen Raum eingesperrt und Manfred festgebunden, wenn sie rausgegangen ist – nein, nein, nein, ich komm nicht mit! Ihr könnt mich nie wieder bei ihr lassen!“ Sie stampfte mit ihrem kleinen Füßchen auf und weinte noch mehr. Kurz darauf begann auch ihr kleiner Bruder zu weinen und versteckte sich hinter dem Sofa.

      Charlotte und ihre Mutter waren verblüfft – so eine Reaktion von den Kindern hatten sie gewiss nicht erwartet. Albert hob seine Tochter hoch, drückte sie fest und versuchte, sie zu beruhigen. „Schhhh… wir werden dich nie mehr bei ihr lassen“, murmelte er, „aber wenn du solche Angst hast, dann kannst du und Manfred bei der Oma in Berlin bleiben.“ Beide hörten prompt auf zu weinen und drückten sich fest an ihre Oma, die sprachlos der Szene folgte, die sich gerade ereignet hat.

      „Lass es uns das schnell hinter uns bringen“, sagte Albert zu Charlotte, als sie losfuhren. „Es wird kein schöner Tag werden.“

      Als sie ankamen, öffnete seine Mutter die Tür und Albert konnte sie nur anstarren. Sie hatte

      flammend rotes Haar und viel zu viel Puder im Gesicht, dazu trug sie ein extrem buntes, lose hängendes Kleid. Wohl eher einen Hausmantel, dachte er. Sie ist vermutlich gerade erst aufgestanden.

      „So, so, na seht mal her – wen haben wir denn da? Meinen lieben Sohn und seine neue Frau.“

      „Guten Tag.“ Charlotte schob schüchtern

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