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Ich glaub, ich krieg nen Vogel. Kai Fischer
Читать онлайн.Название Ich glaub, ich krieg nen Vogel
Год выпуска 0
isbn 9783347020474
Автор произведения Kai Fischer
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
Zwölf Russen
Während ich nun die Abteilung „Immobilienverkauf" in eigener Regie ausbaute, wurde ich trotzdem ab und an (aufgrund meines unschlagbaren Verhandlungsgeschicks und meiner unwiderstehlichen Ausstrahlung auf die Ehefrauen der Kunden) damit beauftragt, schwierige Umlegungen von Buchungen der Ferienhausgäste des Reiseveranstalters zu übernehmen. Wenn man erst einmal die Ehefrau überzeugt hatte, was für mich ein Leichtes war, dann hatte man den Ehemann gleichermaßen schnell im Sack.
Denn für fast alle Ehemänner galt und gilt das Motto “Happy wife, happy life!”, vor allem im Urlaub, der schönsten Zeit des Jahres!
Kunden wurden immer unter dem Umstand auf andere Ferienhäuser „gelegt“, wenn es entweder zu Doppelbuchungen durch weitere einbuchende Agenturen kam, Hausbesitzer ihre Häuser eigenständig vermieteten, ohne dieses vorher mit uns abzusprechen (ein typisches, gängiges Verhalten übrigens) oder wenn eine Buchung einfach in die falsche Zeile des heiligen Buchungskalenders (ein Notizheft mit vielen Linien und Kästchen wie es ähnlich auch die Lehrer damals in der Schule benutzten) eingetragen wurde. Dann hatte komischerweise auf einmal ein ganz anderes Haus die Gäste. Und wenn ferner noch eine weitere Buchung für denselben Zeitraum dazu kam, gab es ein echtes Problem.
Keine Angst, diese Situationen standen nicht auf der Tagesordnung und bekam man mit den Jahren durch die Entwicklung eines hochmodernen, genialen Computer - Buchungsprogrammes à la Einstein und die Einführung von Festverträgen mit Vermietern eigentlich recht gut in den Griff.
In dem Fall unserer zwölf Ferienhausgäste aus Russland lag es allerdings daran, dass in der Villa mit Meerblick „los años locos" (sprich, „die verrückten Jahre", sehr zutreffend der Name übrigens für diese gesamte Epoche und auch Situation) Antonio Banderas zusammen mit Michael Douglas plus Ehegattinnen und eben unsere Freunde aus Russland gleichzeitig (durch unterschiedliche Agenturen eingebucht) alle dort Urlaub machen wollten.
Michael Douglas, in Anbetracht seiner weißrussischen Wurzeln, hätte sich sicherlich gut mit unseren Gästen verstanden, aber allein vom Platz her, den dieses Anwesen hergab, konnte es nicht funktionieren. Seine Frau (Catherine meine ich) wäre mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeflippt. Das tat sie des Öfteren, heute weiß ich auch warum.
Zweiundzwanzig Jahre später sollte ich mit Mr. Douglas (MD, wie Bekannte ihn nennen, zu denen ich mich spätestens ab jetzt ja auch zählen durfte) erneut zusammentreffen, allerdings auf Mallorca, aber dazu komme ich noch in einem anderen Kapitel.
Auf jeden Fall gab es kein vergleichbares Ersatzobjekt. Und so bekam ich den Auftrag, zwei Villen in derselben Straße unseren Russen versuchen anzubieten, zuzüglich eines finanziellen Ausgleichs als Entschädigung.
Verhandlungen zu führen, darin war ich Spezialist, hatte bis dato selbst wütend herumschreiende und aggressive, deutsche Kunden bändigen können, aber wie zwölf Russen reagieren, wenn sie nicht das bekommen, was sie wollten, diese Erfahrung hatte ich noch nicht gemacht. Und so erhielt ich einen Anruf von einem der Sprachführer der Gäste in gebrochenem, nahezu unverständlichem Deutsch. Englisch leider Fehlanzeige!
Irgendwie einigten wir uns und vereinbarten einen Treffpunkt an der Hauptstraße. So fuhr ich zu dem Standort und wartete auf mein Gegenüber.
Aus einem silberfarbenen Mercedes stieg ein muskelbepackter, athletisch gebauter Zwei-Meter-Russe. Die Sonne verdunkelte sich vor mir und es schien, als ob Ivan Drago, der Koloss aus einem der unzähligen „Rocky”-Filmen sich vor mir aufbaue. Ich dachte, dass nun mein letztes Stündchen geschlagen hätte. Mein Hals war plötzlich auffallend trocken und ich musste erst einmal schlucken, bevor ich zum Sprechen ansetzte:
»Privet, wo ist denn der Rest der Truppe?«,
fragte ich ihn bei der Begrüßung, in recht freundlich lockerer Art, um zunächst einmal das Eis zu brechen. Angriff ist bekanntermaßen ja die beste Verteidigung. Obwohl es im Ernstfall bei diesem vor mir stehenden Hünen nach menschlichem Ermessen egal gewesen wäre, ob ich angreife oder mich verteidige. Das machte absolut keinen Unterschied, denn er hätte mich mit Sicherheit (schlicht und ergreifend) in Bruchteilen von Sekunden einfach zerquetscht!
Er verstand mich beachtenswert schlecht, fast überhaupt nicht und es kam zu den ersten Kommunikationsschwierigkeiten (auch das noch). Anhand von diversen Handzeichen und einigen Wörtern fand ich heraus, dass der andere Teil der Truppe erst am nächsten Tag anreisen würde. Ich atmete kurz tief durch. Eine unheimlich große Last fiel mir von den Schultern.
Daraufhin fuhren wir zu den beiden Ersatz-Villen und ich versuchte, meinem Feriengast in unserer gemeinsam entwickelten “Gebärdensprache” verständlich zu machen, dass es sich um eine Notlösung handelte. Er entgegnete relativ gelassen, dass das Vladimir, sein Boss, entscheiden würde, besser gesagt ich verstand nur die Worte „Boss” und „Vladimir".
Dieser traf sage und schreibe erst fünf Tage später ein und wir verabredeten uns zur Klärung des Problems.
Vladimir war genau das Gegenteil von Ivan, dem Zwei-Meter-Mann. Er war klein und eher etwas dicklich, mit einem riesigen Überbiss, hatte es aber irgendwie trotzdem geschafft, der Anführer des Clans zu werden. Wahrscheinlich ist es wie immer bei allen Dingen, die man im Leben erreichen will - eben nur Sache des Charakters.
Mittlerweile waren auch die anderen der Reisegruppe eingetroffen. Und es war genauso, wie man es sich vorstellt, wenn der kleinwüchsige, russische „Boss" mit seinen Mitarbeitern und „Damen" einen „Betriebsurlaub" macht.
Viele leere Wodkaflaschen standen auf den Tischen, die Aschenbecher voller ausgedrückter Zigarettenstummel und die Frauen, wahrscheinlich die Sekretärinnen (davon musste ich ja ausgehen), waren alle leicht bekleidet, wirklich sehr leicht bekleidet!
Vladimir war genau genommen tiefenentspannt (er hatte offensichtlich den Urlaubsmodus eingelegt), als ich ihm die Höhe der finanziellen Entschädigung mitteilte und den Grund, warum es nicht funktioniert hätte, sich eine Villa mit Antonio Banderas und Michael Douglas zu teilen. Er entgegnete nur gelassen in seinem Deutsch mit stark russischem Akzent:
»Prrobleme sind darr, um sie zu losen.«
»Das sagt schon ein altes rrussisches Sprrichworrt.«
»Du musst mir aberr ein Autogrramm von den beiden besorrgen oderr am besten noch, wirr machen alle einee Barrbecue zusammen«,
entgegnete er mir mit einem lauten Lachen, mit weit aufgerissenem Mund. Ich schaute in sein Gesicht und sah viele Zähne, eigentlich nur Zähne, wie bei einem Haifisch, die Augen und Nase waren verschwunden.
Das wär´s dann noch gewesen, ein Barbecue, alle an einem Tisch! Banderas, Douglas, Melanie, Catherine - Vladimir mit seinem Clan und ich. Neben mir sitzend „mein Ivan”.
Das Bild „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci, in überdimensionaler Größe, erschien mir urplötzlich wie ein Schleier vor meinen Augen und wollte von dort nicht mehr verschwinden. Ich versuchte es wegzudrücken - an etwas anderes zu denken …
Ich war auf jeden Fall sehr erleichtert, das können Sie mir glauben, denn ich hätte im Traum nicht mit dieser positiven Reaktion gerechnet. Wir fingen an, über Gott und die Welt zu plaudern, das Ganze ging so etwa vier Stunden lang. Obendrein stellte er mich einer seiner bezaubernden „Sekretärinnen” vor- in diesem Moment hatte ich das Gefühl, als weiteres Mitglied in die Reisegruppe aufgenommen zu sein. Und offensichtlich versuchte sie, mir dieses sehr intensiv (auf ihre Art) zu vermitteln.
Zum Abschied bekam ich von Vladimir noch eine emotionale „russische Umarmung". Ich musste dabei schlagartig auf die ein oder andere Weise an die Metapher „Mütterchen Russland" denken. Warum? Das weiß ich auch nicht. Vielleicht weil ich in diesem Augenblick die Empfindung hatte, ganz Russland würde mich umarmen. Obendrein beschenkte er mich zusätzlich mit einem Karton Zigaretten, obwohl ich derzeit noch gar nicht rauchte. Ihn abzulehnen wäre, glaube ich, nicht richtig gewesen!
Von nun