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      Alex legte seine Hand in Schonhaltung auf den Schreibtisch und schaltete seinen Laptop mit der linken ein. Dies funktionierte recht gut.

      Doch schon näherte sich das nächste Problem: Das Führen der Maus mit der Linken.

      Unmöglich!

      Langsam, für seine Ungeduld zu langsam, surfte er durch das Netz. Keine Einträge über die Geschehnisse der vergangenen Nacht. Nicht einmal die findigen Lokalreporter von der HZ hatten die News. Und dies war eine News: Stadtpfarrer wegen Mordes verhaftet.

      Dann gab er den Namen „Max Giehr“ bei der Suchmaschine ein und hatte sofort 1.000 Treffer.

      Wie leicht war doch die Arbeit eines Profilers geworden seit dem Internet, und doch für die entscheidenden Zusammenhänge hatte es oft keine Antworten und Lösungen bereit.

      Max Giehr war tatsächlich der Sohn, der einzige Sohn von Albert Giehr. Giehr besaß alle in Hechingen ansässigen Firmen in der Medizinbranche und bestimmt auch noch welche darüber hinaus.

      Auf allen Bildern posierte Albert immer sehr smart mit Sohn Max, welcher, da bestand kein Zweifel, die Firmen alle einmal übernehmen sollte. Für Hechingen war Giehr Medical sehr wichtig, war dies doch zu 99 % der einzige Arbeitgeber, seit die Textilindustrie zusammengebrochen war. Auch der Bruder von Alex, Tore, arbeitete dort. Irgendwo im Konzern.

      Max war auch in den sozialen Medien sehr beliebt, und noch immer in Tübingen beim Studieren. (Wenn er mal nicht mit Vater posieren musste!)

      Also, was tat ein so junger Mensch nachts in der Wohnung eines Pfarrers? Was lag auf der Hand? Genau das, was Alex so lange fehlte:

      Sex!

      Die häufigste Verfehlung der heiligen und so keuschen Männer. Man hätte dies ja schnell unter den Teppich kehren können, und schwule Pfarrer sind ja nicht gerade selten. Weshalb wurde er mit den Ermittlungen beauftragt?

      Und was sollte er ermitteln, es könnten ja nur noch schlechtere Dinge zum Vorschein kommen und das will die gute Kirche ja nicht.

      Also warum er, der ja einen der besten Rufe hatte, Dinge ans Licht zu bringen, und nicht unter den Teppich zu kehren!

      Er gab den Namen „Alberto Meininger“ in die Suchmaschine ein.

      Dieses Mal waren es nicht so viele Treffer. Doch einer leuchtete schon förmlich heraus:

      >11.09.2012 Ernennung von Alberto Meininger durch Papst Benedikt dem 16. zum Apostolischen Protonotar.<

      „Ein Protonotar, kein Bischoff!“, schrie er durch die ganze Praxis, als aus dem Eingangsbereich ebenfalls ein Schrei zu hören war. Alex stand auf und wäre an seiner Bürotür fast mit Tina zusammengestoßen.

      „Aahhh!“, schrie er.

      „Iiiii!“, schrie Tina.

      „Ja sag mal, Chef, warst du die ganze Nacht hier?“ Alex schüttelte den Kopf.

      „Du siehst aber schlimm aus!“

      „Kannst du mir einen Kaffee machen und zwei Schmerztabletten dazulegen!“ Er drückte Tina einen Kuss auf die Wange.

      „Hee, für was war das?“

      „Dafür, dass du immer da bist!“

      „Da…danke!“ Tina lächelte.

      „Kaffee kommt, aber wieso Schmerztabletten. Hast du Migräne?“ Alex versuchte seine rechte Hand hinter seinem Rücken zu verstecken, doch vor Tina konnte man nichts verstecken.

      „Ja, wenn ich dich nicht schon so lange kennen würde … zeig mal die Hand! Die andere!“ Alex versuchte einen sehr alten, aber auch sehr dämlichen Trick und streckte Tina die gesunde Hand hin.

      „Aaaaah! Was in Gottes Namen hast du angestellt?“

      „Ich bin gestürzt!“

      „Hier im Büro?“

      „Nein, unten am Parkdeck der Münzgasse!“

      „Wann?“

      „Was wird das jetzt? Ein Verhör?“

      „Also ich werde ja mal noch fragen dürfen! Und es sieht ziemlich entzündet aus. Da musst du in die Ambulanz!“

      Die Ambulanz! Also Klinik! Also Ärzte! Der Albtraum schlechthin für Alex. Seine Mutter behauptete, er hätte da einen Knacks weg, seit er als Dreijähriger mit einer Knochenmarksentzündung monatelang in Tübingen lag. Damals wäre fast sein Fuß amputiert worden. Alex wusste es nicht, ob dies der Grund für seine absolute Phobie vor Krankenhäusern war, jedoch würde er wegen so einer blöden Verstauchung nicht in die Klinik fahren. Nie!

      „Das ist nicht entzündet!“, sagte er barsch.

      „Wohl! Schau dir die Färbung deiner ganzen Hand an!“

      „Hmmm! Glaub mir, das ist nur Zirbe!“

      „Was?“

      „Ich habe Zirbenschnaps draufgeschüttet … und die Farbe geht nicht mehr ab.“

      „Soso, Zirbenschnaps also!“ Tina glaubte Alex kein Wort. Ihr „Soso“ findet Alex ja immer richtig erotisch, doch gerade überwog der Schmerz.

      „Ich mach dir jetzt einen Verband drauf, und dann gehst du gleich in die Notaufnahme!“ Tina stellte ein Glas Wasser und zwei Schmerztabletten auf den Schreibtisch von Alex.

      „Notaufnahme!“ Kalter Schauer lief über Alex Rücken. „Ja nie und nimmer!“, dachte er.

      „Gleich geht nicht! Wir haben wieder einen Fall und du musst zuerst einmal bis auf Weiteres alle Termine verschieben oder halt in Gottes Namen an die Konkurrenz abgeben.“

      Tina schaute nun von ihrer Arbeit des Verbindens eines mit Zirbenschnaps gefärbten Handgelenkes auf.

      „Einen Fall?!“

      Alex nickte.

      „Einen neuen Kriminalfall?“

      Alex nickte.

      „Ein Auftrag der Polizei?“

      „Alex schüttelte den Kopf.

      „Nein, ein Auftrag des Erzbistums!“, wobei sich Alex hier nicht sicher war. War es nun ein Auftrag des Bistums, oder gar direkt von Rom oder war der Protonotar selber an der Aufklärung des Mordes interessiert. Warum sonst sollte das Geld nun in bar in einem Koffer in seiner Registratur stehen. – Das Geld!

      Bei dem Gedanken schoss der Schmerz wieder in die Hand von Alex und ihm wurde schwindelig. Mit 46 war man es doch nicht mehr so gewohnt, die Nacht zum Tage zu machen. Besorgt stützte Tina ihren Chef.

      „Na, da ruf ich doch gleich ein Taxi und sag die Termine ab.“ In diesem Moment ertönte die kleine Glocke, welche Tina am Tresen stehen hatte mit der Aufschrift „Wenn keiner da - bitte läuten!“

      „Abwimmeln!“, befahl Alex und hielt sich schmerzverzerrt die Hand.

      „Abwimmeln und ein Taxi bestellen!“, konterte Tina, doch so weit kam es erst gar nicht, da Margarethe Blümle bereits im Büro von Dr. Kanst stand. Genauer gesagt stand sie zitternd und tränenüberströmt da.

      „D…ddddd…die…hbm mmm ich entlassen!“, stammelte Frau Blümle. Tina begleitete diese sofort zum ledernen Sofa und versprach, einen Kaffee zu besorgen. Dr. Kanst schloss kurz die Augen, als könnte er dem bevorstehenden Moment dadurch entfliehen, was jedoch aussichtslos erschien. Er holte tief Luft und stand auf, um einen Stuhl näher an das Sofa und somit auch näher an Frau Blümle zu schieben. Jetzt war seine Professionalität und seine unschlagbare Ader zu improvisieren gefragt.

      „Aber Frau Blümle! Nun beruhigen Sie sich doch!“

      „Beruhigen? Beruhigen, ja wie! 26 Jahre, ohne dass ich einmal krank gewesen wäre. Was nicht heißt, dass ich das nicht gewesen wäre, aber hin bin ich trotzdem. Und jetzt entlassen die mich einfach so fristlos! Was

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