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Rose of India. Eveline Keller
Читать онлайн.Название Rose of India
Год выпуска 0
isbn 9783748216858
Автор произведения Eveline Keller
Жанр Триллеры
Издательство Readbox publishing GmbH
Wütend packte sie den Locher und warf ihn mit einem Schrei durch den Raum. Er knallte gegen ihr Pult und schepperte über den Boden. Als wäre ein Damm gebrochen, stürzte sie vorwärts und wischte mit beiden Händen die Unterlagen vom Tisch. Dann griff sie sich ins Gesicht und zog an der Haut, als könnte sie die Erinnerung wie eine Maske abstreifen.
Vor mehr als sechzehn Jahren war sie David Maler zum ersten Mal begegnet, und das hatte ihr bis heute manche schlaflose Nacht bereitet.
Es war eine Zeit, in der sich die Drogenszene in Zürich in einem erschreckenden Maße ausbreitete, die Bevölkerung fühlte sich bedroht, und die Ordnungshüter wurden von den Politikern aufgefordert, härter durchzugreifen. Dealer handelten offen auf der Straße, Passanten wurden in Hinterhöfen ausgeraubt und die Entzugskliniken waren überfüllt mit Junkies.
Seit einigen Wochen lief eine verdeckte Ermittlung, um eine verdächtige Studenten-Wohngemeinschaft auszuheben, in der Drogenhandel in größerem Stil vermutet wurde. Amber machte den Lockvogel. Damit wollte sie, das Küken in der Einheit, beweisen, wie gerissen sie war, dass sie zwar blauäugig war, aber keine Vorzeigepuppe, mit ihrer rotgefärbten, dauergewellten Löwenmähne. Sie würde sich in die WG „einschleichen“, und dann würden die Kollegen auf ihr Zeichen plötzlich eine Hausdurchsuchung machen und die Dealer auf frischer Tat ertappen.
Sie standen mitten im Eingang zur Disco als ihr Kollege Frank mit viel Effekt gespielt, ins Gesicht schlug. „Du dumme Gans!“ Damit wollten sie eine Situation provozieren und es klappte einwandfrei. David Maler eilte ihr zu Hilfe: „Permesso!“ Er langte Frank eine und wollte gerade nachsetzen, als ihm Amber in den Arm fiel. „Bitte, aufhören.“ Worauf sich Frank schnell davonmachte.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich einmische. Aber ich kann es nun mal nicht mit ansehen, wenn ein Mann seine Freundin schlägt.“ David zwinkerte ihr aufmunternd zu und Amber bekam weiche Knie. Er lud sie zu einem Drink ein, daraus wurden zwei. Sie unterhielten sich, sie tanzten ausgelassen, und der Abend verging wie im Fluge. Amber passte zwar nicht in sein übliches Beuteschema, etwas zu üppig und rot statt blond, aber ihr Lachen war so herrlich, er konnte nicht genug bekommen. So zog er alle Register und in ihrem Gesicht ging buchstäblich die Sonne auf. Auch anderen Gästen fiel das gutgelaunte Paar auf und sie schauten fasziniert zu. Es bildete sich eine Traube um sie an der Bar und Amber war, etwas ungewohnt, mittendrin. David hatte sie angenehm überrascht. Seinem Ruf nach war er ein oberflächlicher Playboy. Doch in der kurzen Zeit entdeckte sie an ihm, im Gegenteil, Tiefgang. Er zeigte sich verletzlich und nahm sich selber, aber auch das Leben nicht ganz so ernst. Als die Disco schloss, lud er sie zu sich nach Hause ein.
Der Morgen dämmerte bereits, als sie immer noch redeten. Amber mochte nicht an Schlafen denken, es war viel wichtiger zu erfahren, was David dachte und fühlte. David wurde mit jeder Minute ernster und ehrlicher. Er erzählte atemlos von seiner Enttäuschung über seine erste große Liebe. Amber dagegen ließ kein gutes Haar an ihrem Ex-Freund und konnte sich nicht erklären, was sie an ihm einmal gefunden hatte. Mit fortschreitender Zeit tauchten ihre Blicke immer länger ineinander, und sie vergaßen darüber, was sie eigentlich sagen wollten. Bis sie ganz verstummten und sich alles andere mit den Lippen mitteilten. Es war bereits heller Tag, als sie erschöpft voneinander ließen und in glücklicher Umarmung einschliefen.
Längst hatte Amber ihre Anweisung vergessen, und ihre Polizeikollegen wartete vergebens auf ihr Zeichen. Auf die alles verändernde Liebesnacht folgten Tage, an denen es für sie nur darum ging, Liebe zu geben und zu empfangen. Unter seiner zärtlichen Anleitung überwand sie ihre Hemmungen und erfuhr, wie sexy er sie fand. In Pausen dazwischen hatten sie sich viel mitzuteilen, vom fiesen Bruder und von der Trunksucht des Vaters. Sie träumten gemeinsam davon, im Sand zu liegen, nur sie, alleine auf einer Insel, wo ihre Herzen im Einklang mit den Wellen schlugen und sie vom Sternenhimmel zugedeckt wurden.
Es war der dritte Tag, den sie der Liebe huldigten, als eine junge Frau ins Zimmer platzte. „Du Lump! Lässt dich am Telefon verleugnen, während du mich mit einer anderen betrügst.“ Mit verweinten Augen und roter Nase strich sich die Hochschwangere schützend über den Bauch.
Amber erstarrte.
„Was soll das?“, wollte David wissen und sprang auf. „Ich habe die Frau noch nie in meinem Leben gesehen. Ehrlich.“
Amber raffte ihre Kleider zusammen und flüchtete ins Bad. Sie hatte es geahnt und glaubte ihm kein Wort: Alles hatte sich viel zu gut angefühlt, um wahr zu sein. Er würde es nicht ehrlich mit ihr meinen. Sie war auf seinen Tigerblick und seinen Charme hereingefallen. Und sie hatte den geplanten Polizeieinsatz verpatzt. Obendrein hatte sie, statt die Vorurteile der Kollegen zu widerlegen, dafür gesorgt, dass sie bestätigt wurden. Wütend über ihre Dummheit und von sich selbst enttäuscht, hockte sie schluchzend auf dem Klo und wusste nicht weiter.
„Aufmachen, Polizei!“, polterte es an die Wohnungstür.
Die Uniformierten überrannten beinahe den jungen Mann, der schließlich aufschloss, durchsuchten gründlich die Wohnung und fanden Kokain, Pillen und etwas Marihuana. Eine große Beute war das nicht, aber man nahm sie auch gleich mit. Sie hatte hinterher ihre liebe Not, ihrem Vorgesetzten zu erklären, wie sie da hineingerutscht war und warum sie kein Zeichen gegeben hatte. Auch so war ihr Gesicht „verbrannt“, wie es im Fachjargon genannt wurde. Man kannte sie nun in der Drogenszene, darum wurde sie zum Inneren Dienst versetzt.
Ihre Sehnsucht nach David raubte ihr das letzte bisschen Verstand, nur so war ihr Verhalten erklärbar. Vielleicht wäre es auch anders gekommen, wenn ihr David wenigstens einmal zugehört hätte und sie ihm ihre Version der Drogenfalle hätte erklären dürfen. Aber nein! Auf ihre Briefe reagierte er nicht. Ja, sie verfasste Gedichte für ihn, auch die blieben ohne Reaktion. Viele Male hatte sie vor seiner Wohnung gestanden. Einmal hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und geklingelt, doch er schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
Von Eifersucht und Liebe getrieben, verfolgte sie ihn heimlich, fotografierte ihn bei der Arbeit, in der Kneipe mit Freunden oder beim Einkaufen und notierte säuberlich Zeit und Namen der Menschen, die er traf. Das Betrachten der Fotos gab ihr das tröstliche Gefühl, an seinem Leben teilzunehmen, doch in den einsamen Nächten weinte sie sich in den Schlaf.
Eines Tages kam ihr Chef dahinter, als er in ihrem Schreibtisch einen leeren Umschlag suchte und stattdessen die Bilder ihrer Observierung fand. „Mensch, Mädchen, der Mann ist wegen Drogenbesitz vorbestraft. Das muss ich leider melden.“
Sie kündigte, um dem Rausschmiss zuvorzukommen, wollte sich das falsche Mitleid ihrer Kollegen ersparen. Inzwischen wusste sie auch, dass sie sich der Riege von Davids schwangeren Ex-Freundinnen zugesellt hatte.
Heute war sie mit Melanie aus dem Gröbsten raus. Und sie wusste: Sie würde sich kein weiteres Mal ihr sorgsam geregeltes Leben von ihm auf den Kopf stellen lassen.
Amber rief sich zur Ordnung. Jeden Augenblick würden die Leute vom Fernsehen eintreffen, und sie sollte überlegen, was zum jetzigen Zeitpunkt gesagt werden durfte. Aber sie konnte unmöglich mit flatternder Stimme und Tränen in den Augen auftreten. Sie war doch längst nicht mehr das unsichere, junge Ding von damals.
Was war schon dabei, wenn sie David verhören müsste? Wenn es der Fall erforderte, würde sie ihn vorladen und verhaften, wenn Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr bestand, genau wie andere Verdächtige auch. Ganz einfach!
Ruhig hob sie den Locher und die Papiere wieder auf und legte alles auf seinen Platz zurück. „Ist was? Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört?“ Margrit, ihre Bürohilfe, streckte besorgt den Kopf zur Tür herein.
Amber blickte ruhig an ihrem Schreibtisch sitzend auf. Nur eine schmale Kerbe darin erinnerte an ihren Gefühlsausbruch.
„Die Leute vom Fernsehen sind da. Sie warten mit dem Pressesprecher im Sitzungszimmer.“
„Danke.“
Mit vor Spannung aufgeblasenen Backen kehrte Margrit auf ihren Bürostuhl zurück und hielt der vorbeigehenden Amber den Daumen hoch.
Diese betrat den Besprechungsraum, begrüßte